Eco. Life. Style.

Kategorie: Travel. Outdoor.

Reisen, die Sehnsucht nach dem Leben

„Ich habe noch ein Zimmer frei.“ In manchen Situationen hören sich diese Worte wie eine Zauberformel an. Eine, die das Glück verspricht. Eine, die die Rettung bringt. Ich befinde mich…

„Ich habe noch ein Zimmer frei.“ In manchen Situationen hören sich diese Worte wie eine Zauberformel an. Eine, die das Glück verspricht. Eine, die die Rettung bringt. Ich befinde mich gerade in einer solchen Situation. Es ist sechs Uhr morgens. Ich bin mit dem Nachtbus aus der brasilianischen Stadt Salvador ins abgelegene Vale Do Capão gereist, um im Nationalpark Chapada Diamantina zu der Ruhe zu finden, die man in Brasilien zur Zeit des Karnevals besonders suchen muss. Hier bin ich wohl richtig: Die Straßen sind menschenleer, nur ein paar Hunde streunen an mir vorbei über die Schotterwege. Mich zieht es schnurstracks zu der Herberge, in der ich ein Bett reserviert habe. Allein vom Besitzer fehlt jede Spur. Ich klopfe an sämtliche Türen, frage halb wache Gäste um Rat und klingele die Nachbarin aus dem Bett. „Er wird noch schlafen.“, so die lapidare Erklärung. Die hilft mir aber im Moment wenig. Ich möchte nach fünf Stunden mühsamer, holpriger Busfahrt nur in ein Bett.

Da kommen diese magischen Worte gerade recht. Wie in Trance steige ich zum bärtigen Brillenträger mit grauem Kraushaar, schlabbrigem Spagettihemd und kurzer Trainingshose in den verbeulten Kleinwagen. „Wohin geht’s denn?“, frage ich noch, schon ruckeln wir über die Sandstraße auf einen kleinen Hügel. Die Überraschung ist groß: Ein Zimmer ist frei? Nein, kein Zimmer, ein gemütliches, kleines Lehmhaus – eines von mittlerweile neun, das der gebürtige Salvadorianer Zeu, so heißt der Bärtige, in den Hügeln über Capão gebaut hat.

Als ich wenige Minuten später im Bett meines temporären Zuhauses liege, strömen eine Wärme und satte Zufriedenheit durch meinen Körper. Ich bin angekommen! Es sind Momente und Erlebnisse wie diese, in denen ich spüre, im Fluss zu sein. In denen ich darauf vertraue, vom Leben getragen zu werden. In denen ich merke, dass alles einen Sinn ergibt und die Dinge passieren, die passieren sollen. Momente und Erlebnisse wie diese sind ein Grund, warum ich reise.

„Reisen ist die Sehnsucht nach dem Leben.“, beschreibt der deutsche Journalist und Schriftsteller Kurt Tucholsky treffsicher meinen Drang, den ich mit 5,4 Millionen Österreicherinnen und Österreichern teile. 76,2 Prozent der Bevölkerung sind 2012 zumindest einmal im In- oder Ausland unterwegs gewesen und somit dieser Sehnsucht gefolgt, die 1336 zum ersten Mal literarisch erwähnt wurde. Damals berichtete Francesco Petrarca von einer Besteigung des Mont-Ventoux und traf damit buchstäblich ins Schwarze, ist das Wort „reisen“ doch mit dem Althochdeutschen „risan“ und dem englischen Verb „to rise“ verwandt, was soviel heißt wie: Sich erheben oder aufstehen.

Es ist eine Bewegung, die eine gewisse Anstrengung bereits in sich trägt. Wie viel Energie es kostet, eine gewohnte, gemütliche Position zu verlassen, den Allerwertesten hochzukriegen und aufzustehen, das merken wir Tag für Tag. Morgens nämlich, wenn der Wecker klingelt und wir die Wärme des Betts gegen die Hektik des Alltags eintauschen (müssen). Nicht anders ist es beim Reisen, verlangt doch ein Ortswechsel neben dem nötigen Kleingeld und der Zeit eine gehörige Portion Überwindung. Von der ersten Idee über die Vorbereitung, das Packen bis zum tatsächlichen Unterwegssein, ja, selbst das Heimkommen – bei allem müssen wir planen, tun, machen, aktiv sein.

Und doch hat schon vor über zweitausend Jahren die bürgerliche Elite des alten Roms die Mühe auf sich genommen, sich aufzumachen ins Unbekannte, dort eine Zeit zu verweilen und schließlich wieder in die Heimat zurück zu kehren. Soviel sich seither auch verändert hat, zuhause bleiben möchten die meisten von uns noch immer nicht. Im Gegenteil: Tourismus hat sich zum drittgrößten Wirtschaftszweig der Welt entwickelt. Wachsenden Freizeitbudgets, finanziellen Ressourcen, internationalen Verkehrsanbindungen sowie Reiseanbietern sei dank. Reisen gehört mittlerweile zum guten Ton, vor allem für diejenigen, die es zu Hause so schön haben „wie im Urlaub“. Anders als in unterentwickelten Ländern reisen wir in Europa, Nordamerika, Australien oder Japan meist nicht, weil wir müssen, sondern weil wir können. Da lautet die Frage weniger, ob man unterwegs ist, sondern eher wohin es diesmal geht. Je weiter, je exotischer, je ungewöhnlicher, desto besser. In der Ferne locken die Vorstellungen von günstigen Preisen, freundlicherem Menschen, sonnigerem Klima – und überhaupt ist im Ausland alles besser als das, was wir im Alltag finden. Doch es sind nicht diese Reize, die uns in die Ferne ziehen, behauptete der Gesellschaftskritiker Hans Magnus Enzensberger 1958 in seiner „Theorie zum Tourismus“, wir fliehen vor der Unerträglichkeit unserer eigenen Lebensumstände. Die boomenden Last-Minute-Angebote scheinen ihm auch heute – über 60 Jahre später – teilweise recht zu geben: Wohin es geht, ist nicht wichtig. Wir folgen der Sehnsucht, „raus“ zu kommen – aus unserem Alltag, aus unserer Routine.

„Im Reisen befriedigen wir unseren Drang, der Gewohnheit zu entfliehen. Sie birgt die Gefahr, das Außergewöhnliche mit der Zeit für selbstverständlich zu nehmen.“, beantwortet der Philosoph und Schriftsteller Alain de Botton in seinem Buch „Kunst des Reisens“ die Frage nach dem Sinn des Unterwegs seins, die Kritiker seit Beginn des Massentourismus beschäftigt. „Der erste Kuss, das erste Mal Autofahren – dieses unfassbare Gefühl von Freiheit – , die erste eigene Wohnung – die Gewöhnung an die Wunder des Alltags macht das Wunder selbst ordinär. Daher bietet das Reisen die Kehrseite unseres all zu vorhersehbaren Daseins auf dieser Welt.“ Wie recht er hat, das weiß jeder, der schon einmal unterwegs war. Auch wenn die Zeit der abenteuerlichen Entdeckungsreisen vorbei ist und selbst die abgeschiedensten Ureinwohner-Völker im Amazonas bereits besucht werden können, ist Reisen heute ebenfalls nichts anderes als ständig über Neues zu staunen, sich an die Außergewöhnlichkeit vieler Dinge zu erinnern und unzählige erste Male zu erleben. Die erste Nacht im fremden Bett. Das erste Probieren der lokalen Speisen. Der erste Spaziergang durch unbekannte Straßen – Premieren wie diese verändern unsere Wahrnehmungen, fordern uns heraus, alt eingesessene Bilder durch unsere – subjektive – Wahrheit zu ersetzen. Sie lassen neue Verknüpfungen zwischen den Nervenzellen entstehen und ein Lernen stattfinden. Oder um es mit Anatole France zu sagen: „Was ist Reisen? Ein Ortswechsel? Keineswegs! Beim Reisen wechselt man seine Meinungen und Vorurteile.“ Vorausgesetzt, wir sind wachsam. Vorausgesetzt, wir lassen es zu. Vorausgesetzt, wir lassen uns darauf ein.

Letzteres ist die große Herausforderung von heute. In keiner anderen Zeit waren wir so viel unterwegs, in keiner anderen Zeit war die Welt so klein wie heutzutage. Wir haben konkrete Vorstellungen von Ländern und Völkern. Wir glauben, sie zu kennen, weil wir wissen, wo sie liegen und wie sie heißen. Weil die USA via Fernseher näher sind als so mancher Nachbar und weil der Chat mit dem thailändischen Bekannten schneller initiiert ist als ein Gespräch mit dem eigenen Partner. Wir machen es uns mit den Abziehbildern und Beschreibungen anderer bequem, buchen Pauschalreisen sowie Cluburlaube und trotten lieber einem deutschsprachigen Reiseleiter hinterher, als uns mit Händen und Füßen verständigen zu müssen und vielleicht vom Weg abzukommen. „Ein Problem des modernen Reisens ist, dass der Gedanke an eine spontane Entdeckung stark gefährdet ist, weil man alles auf einer Webcam oder in einer Broschüre sehen kann, bevor man überhaupt dort hinfährt.“, meint de Botton und zeigt damit ein Paradoxon auf: Ja, wir wollen Aufregung, aber bitte nicht zu viel davon. Wir wollen Fantastisches finden, aber geplant und kalkuliert auf alle Eventualitäten vorbereitet sein. Wir wollen die Welt erkunden, aber ohne auf das Bekannte zu verzichten. Dann suchen wir Schutz in unserer eigenen Sprache, dem heimischen Essen und der eigenen Bräuche wie sie bei geführten Reisen oft zu finden sind. „Statt sich im Unbekannten zu finden, zahlen Urlauber Geld, um Überraschungen aus dem Weg zu gehen“, formulierte es der Bestsellerautor Ilija Trojanow plakativ, „der Sinn des Reisens ist auf den Kopf gestellt: anstatt sich der Fremde und den Fragen in der Fremde auszusetzen, zahlt man Geld, um ihr aus dem Weg zu gehen. So bleibt das Gefühl der Befremdung auf der Strecke, das Gefühl, sich zu verlieren, das Gefühl, nicht zu verstehen, das Gefühl, nackt zu sein. Es entschwindet die existentielle Überraschung“, meint Trojanow.

Doch so gut wir planen, so geschickt wir unsere eigenen Unsicherheiten austricksen wollen – es wird auf Reisen passieren: Das Unerwartete, das Überraschende, das, nach dem wir uns oft unbewusst so sehnen. Es geschieht in Form eines Busses, der nicht kommt und einen zwingt, seine Pläne über den Haufen zu werfen. Es geschieht, wenn man die vorgefertigten Routen aus dem Reiseführer verlässt und sich in den Gassen der Stadt verirrt. Es geschieht, wenn man – wie ich – der Einladung eines Fremden folgt und in einem Lehmhaus mitten im brasilianischen Tal de Capão landet, das einem die Ruhe bietet, von der man geträumt hat. „Es ist das Unerwartete, das betört“, beschreibt Trojanow diese Momente, die sich in unsere Herzen brennen und von denen wir noch lange zehren, „die meisten Reisenden kehren mit eigenwilligen Schätzen heim – mit scheinbaren Nebensächlichkeiten. Und plötzlich ist ein Zauber spürbar, den keine Planung und kein Angebot bereithalten können.“

Sich treiben lassen nennen einige diese Differenz zwischen Plan und Wirklichkeit nach der wir uns so sehnen. Freiheit nennen es andere und meinen damit eine Freiheit, die alles Bekannte auf den Kopf stellt und umwirft, was man für selbstverständlich hält. Es ist eine Freiheit, die wir in All-Inclusive-Clubs nie finden werden und die in engen Zeitplänen zwischen Job und Haushalt, Schwiegereltern und Kindern oft keinen Platz hat. Es ist aber auch eine Freiheit, die anstrengt, weil sie von uns verlangt, immer wachsam und aufmerksam zu bleiben. Um sich zurecht zu finden, um in der Fremde nicht über den Tisch gezogen zu werden, um die Eindrücke zu verarbeiten. „Das ist nicht selten eine Herausforderung und nicht immer angenehm“, sagt de Botton in einem Interview, „doch eine echte Reise muss wirken, muss beschäftigen und zum Nachdenken über Gott und die Welt anregen. Sie soll keine Erholung bringen, nicht beruhigen und einlullen. Einer der fantastischen Aspekte des Reisens besteht für mich darin, dass die eigenen Klischees infrage gestellt oder zumindest nuanciert oder ergänzt werden.“

Es sind nicht nur die Meinungen über die Außenwelt, über die Anderen, die wir auf Reisen über Bord werfen dürfen. „Der kürzeste Weg zu sich selbst
 führt um die Welt herum.“, lautet ein Zitat von Hermann Keyserling und beschreibt ein großes, wenn auch oft unbewusstes Ziel der meisten Reisen: Man fährt eine Woche irgendwo hin, kommt zurück und alles ist anders. Man selbst ist anders. Tatsächlich birgt jede Reise die Chance, inne zu halten, sich selbst zu beobachten und so ein Stück weiter bei sich anzukommen. Unterwegs (er)leben wir alles intensiver, Glück und Unglück sind oft nur Sekunden voneinander getrennt: Da stehen wir in einem Moment staunend vor einem Weltwunder wie dem Taj Mahal und sehen kurz darauf halbnackte Bettler, die Essensreste von der Straße klauben. Wie reagieren wir, wenn in Bolivien wieder einmal kein heißes Wasser vorhanden ist oder der Strom stundenlang ausfällt? Wie gehen wir mit dem Müll um, den die Beduinen in der jordanischen Wüste zurück lassen? Wie fühlen wir uns, wenn uns in Indien jede noch so arme Familie zu sich nach Hause einlädt? Erlebnisse wie diese lassen uns demütig werden und konfrontieren uns mit unseren Grenzen. Je mehr wir sehen und erleben, desto eher wissen wir, wer wir sind, was wir vom Leben wollen, was uns wichtig ist und was wir brauchen, um glücklich zu sein. Und doch wäre es ein Trugschluss, zu glauben, dass jedes Unterwegssein automatisch verändert. Ganz im Gegenteil: „Reisen garantiert keine innere Wandlung, und ich denke, das ist eins der Paradoxe des Reisens“, bringt es de Botton auf den Punkt, „mitunter trifft man Menschen, die nicht viel gereist sind. Aber was sie dabei gesehen haben, hat sie sehr verändert. Im Gegensatz dazu gibt es auch weit gereiste Menschen, die in ihren Beobachtungen fremder Orte und Menschen völlig banal sind.“

Dabei ist es eine der wichtigsten Aufgaben eines jeden Reisenden, seine Erfahrungen mit nach Hause zu nehmen. Ich spreche dabei nicht von denen, die wegfahren, um sich zu bestätigen, dass es zu Hause ja doch am Schönsten sei und sowieso alles besser funktioniere, pünktlicher und sauberer sei. Auch nicht von den „achtzig Prozent aller Reisenden“, für die „Rückkehr das glücklichste Erlebnis des gesamten Urlaubs“ ist, wie es Dietmar Bittrich sarkastisch in seinem Buch „Dann fahr doch gleich nach Haus! – Wie man auf Reisen glücklich wird“ beschreibt. Aber reisen wir nicht alle, um auch wieder heimzukehren? Gestärkt mit neuer Energie, prall gefüllt mit neuem Wissen und Eindrücken, voller inspirierender Momenten und Geschichten wie die von meiner Begegnung mit Zeu im brasilianischen Vale de Capão. Es sind diese Erlebnisse, die uns im Alltag bereichern, die wir in Gesprächen weitergeben können und die uns nähren – so lange, bis uns die Sehnsucht nach der Ferne, nach dem Leben, wieder ruft!

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Ode an die Natur

Es ist eine ungewohnte Bewegung. Mit der Ferse berühre ich zuerst den knochigen Untergrund, versuche mein Gewicht zu spüren, rolle dann achtsam bis zu den Zehen vor, damit schließlich die…

Es ist eine ungewohnte Bewegung. Mit der Ferse berühre ich zuerst den knochigen Untergrund, versuche mein Gewicht zu spüren, rolle dann achtsam bis zu den Zehen vor, damit schließlich die gesamte Fußsohle auf dem Boden aufliegt. Ausatmen nicht vergessen, muss ich mich tatsächlich erinnern, während ich langsam einen Fuß vor den anderen setze.

Hinter mir höre ich Trekkingstöcke, mit denen vorbeiziehende Wanderer in den Waldboden schlagen. In wenigen Sekunden werden sie mich überholen. Halte ich sie auf? Was die wohl von mir halten? „Stell dich der Herausforderung, alles rund um dich geschehen zu lassen und bei dir zu bleiben“, hat mir und den anderen fünf, die auf diese entschleunigte Art den Hügel erklimmen, Mag.a Andrea Mayr mit auf den Weg gegeben. Die diplomierte Lebens- und Sozialberaterin ist heute unser Guide. Nicht nur durch die Waldpfade hier im Anninger-Gebiet, vor allem in unser Innerstes. Viermal im Jahr, zum Wechsel der Jahreszeiten, führt Mayr eine Gruppe zu Wanderungen nach draußen. „Ich habe in meiner Ausbildung am eigenen Leib erlebt, wie gut es tut, bewusst Übungen in der Natur zu machen“, erzählt sie, während unsere Blicke über die Weinberge schweifen, „das ist eine große Bereicherung für mein Leben, die ich gerne an andere Menschen weitergeben möchte.“

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Dieser Meditationsschritt ist unsere erste Übung. Es ist ein bewusstes Ankommen und gleichzeitig ein Loslassen des hektischen Alltags. So einfach es klingt, birgt das achtsame Gehen nicht nur für mich ungeahnte Herausforderungen. „Ich bin es nicht gewohnt, langsam unterwegs zu sein“, spricht eine der Teilnehmerinnen in der anschließenden Reflexions-Runde allen aus der Seele. Doch genau darum geht es heute: Uns einmal nicht auf die Überholspur zu katapultieren, sondern auf unser natürliches Tempo abzubremsen. Einmal nicht Hape Kerkelings berüchtigtes „Ich bin dann mal weg“ zu rufen, sondern uns der Herausforderung zu stellen, völlig da zu sein im Hier und Jetzt.

Zur Entschleunigung gehört auch etwas Anderes. „Ich lade euch ein, eure Handys auszuschalten“, fordert uns Andrea Mayr auf, „seid einmal nicht erreichbar.“ Eine Einladung, die mir nicht unbekannt ist: Seitdem ich bei meinem ersten 10-tägigen Meditationsseminar den mobilen Off-Schalter gedrückt habe, begebe ich mich immer wieder in diese Situation. Um buchstäblich abzuschalten. Um frei zu sein für die Reise nach innen. Noch nie ist in dieser Zeit der Unerreichbarkeit Schlimmes passiert, und doch jagt sie mir immer wieder leichte Schauer über den Rücken. Selbst wenn sie – wie heute – nur einen Nachmittag dauert. Den Preis zahle ich gern, weiß ich doch, dass jedes Mal eine neue Freiheit auf mich wartet. Eine, an die wir uns erst langsam gewöhnen müssen. „Wie weiß ich, wann 45 Minuten vorüber sind?“, so lautet die unsichere Frage einer Mitgeherin, als Andrea uns bei der nächsten Übung für eine dreiviertel Stunde allein in den Wald schickt. Uhr, Wecker, Notizblock, Kontaktliste, Kalender – wie abhängig wir uns von unseren elektronischen Geräten machen, wird uns in Situationen wie diesen in aller Deutlichkeit vor Augen geführt. Völlig umsonst, wie dieser Nachmittag zeigt: Nach 45 Minuten nämlich sind alle wie durch ein Wunder – und ohne den vereinbarten „Warnpfiff“ – wieder um Andrea versammelt.

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„Versucht, miteinander in Einklang zu kommen“, das ist nicht der Beginn einer weiteren Übung, mit diesen Worten führt uns Ranger Peter im Nationalpark Donauauen in die Kunst des Ruderns ein. Dass ich auf meine natürlichen Instinkte vertrauen und einfach in der Natur sein darf, erlebe ich nämlich nicht nur bei Ritualwanderungen, sondern bei jedem „gewöhnlichen“ Ausflug ins Grün. Auch wenn ich meinen Partner Simon bis vor ein paar Minuten noch nicht einmal gekannt habe, stechen wir jetzt überraschend gleichmäßig unsere Ruder ins klare Wasser. Eintauchen, zurückziehen – unser Rhythmus hat sich wie selbstverständlich aneinander angepasst, und wir können uns auf die Erzählungen von Peter konzentrieren. Er lenkt nicht nur unsere zusammengewürfelte Gruppe im Schlauchboot, sondern auch unsere Blicke. An die Nähe von Wien und Bratislava erinnern hier nur die vorbeiziehenden Schiffe. Für mich liegt die Stadt unendlich weit weg. Wir befinden uns jetzt in Peters Welt, in der über 60 Fischarten und unzählige Insekten ihren Lebensraum haben. Dort, wo abgenagte Äste und Höhlen am Ufer an die zig Biber erinnern, die hier zuhause sind.

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„Wir möchten den Menschen nicht aus der Au ausschließen, sondern er soll alles erleben und allem begegnen können“, erklärt uns Peter bei der späteren Wanderung die Philosophie und rettet dabei behutsam eine Nacktschnecke vom Weg ins schützende Gras. Abgesehen von ihr und ein paar Libellen lassen sich heute keine Tiere blicken. Die Biber geben uns genauso wenig die Ehre wie die Seeadler, die gestern noch über den Booten ihre Kreise zogen. Muss auch nicht sein. Während wir über einen struppigen Seitenweg aufs Schotterufer der Orther Inseln kommen, schwappt in mir eine Welle der Dankbarkeit hoch. Ich lege mich auf eine Stelle mit warmem, weichen Sand und will jetzt eigentlich nur noch eines: Der Sonne beim Untergehen zuschauen. Einfach bleiben. Einfach sein. Lächeln und mich darüber freuen, dass es so schöne Flecken auf unserer Erde gibt. Orte, an denen ich einfach durchatmen, den Off-Button auf meinem Handy drücken und bewusst sagen kann: Ich bin dann mal hier!

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Wieder auf dem Jakobsweg: Tag 34, Heimreise

Heimreise, Flug ab Nizza Während des Frühstücks noch einmal strömender Regen. Auf dem Flachdach steht schon seit Tagen ein „See“. Zwei Stunden später blauer Himmel – als ob nichts gewesen…

Heimreise, Flug ab Nizza

Während des Frühstücks noch einmal strömender Regen. Auf dem Flachdach steht schon seit Tagen ein „See“. Zwei Stunden später blauer Himmel – als ob nichts gewesen wäre. Konrad schreibt seine ersten und letzten Postkarten. Wir machen einen letzten Bummel durch die Gassen von Nizza. Die letzten Kerzen entzünden wir in der L’Eglise Notre Dame und erleben noch das Ende einer Messe begleitet vom Lärm eines Sandstrahlreinigers. Eine letzte Crepe und einen Espresso im Straßencafe. Vom Flughafen ein letzter Blick auf das WIRKLICH azurblaue Meer.

Anstrengend war’s schon! Und doch möchte ich keinen Tag missen.

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Allgemeines:

Die eher individuelle Art der Übernachtungen im Doppelzimmer, wenn auch überwiegend sehr einfach, ist teurer. Für Doppelzimmer haben wir im Allgemeinen um 50 Euro, oft mit Halbpension, ausgegeben. In Schlafräumen kann man natürlich wesentlich billiger wohnen. Dort besteht oft Kochgelegenheit. Wir haben zu zweit durchschnittlich pro Tag 80 bis 100 Euro für Übernachtung, Essen und Weiteres ausgegeben.

Mein Rucksackinhalt:
Rucksackgröße 35 Liter
Kleine Toilettetasche mit Inhalt
Kleine Erste Hilfe Tasche
Wasserflasche
1 warme Strumpfhose
1 dünne Strumpfhose
1 Leggings
1 T-Shirt ohne Ärmel
2 T-Shirts mit kurzen Ärmeln
2 BHs
3 Unterhosen
1 Paar dünne Socken (für abends)
2 Paar Wandersocken
1 dünne Fleecejacke
1 langärmelige Bluse
1 Badeanzug
1 warme Fleeceweste ohne Ärmel (habe ich oft gebraucht)
1 Sonnenhut
1 Halstuch
1 Stirnband
1 Paar Handschuhe
1 Anorak
1 Reservehose (als „Abendhose“)
1 Regenhose
1 Regenschutz für den Rucksack
1 Regencape
1 leichter Schirm
1 Paar Sandalen
1 Wanderführer
1 Schreibblock
Adressbuch

Alles zusammen wiegt 9,5 Kilogramm.

Ausrüstung:
Wanderschuhe (Lowa Renegard), zwei Nummern größer
Abtrennbare Wanderhose
Wanderstöcke

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Wieder auf dem Jakobsweg: Tag 33, Nizza

Nizza, Ibishotel Konrad ist ein homme formidable – ein cooler Typ geworden: • Schon in den letzten Wandertagen konnte er häufig HINTER mir gehen • Er hat sich überwunden, eine…

Nizza, Ibishotel

Konrad ist ein homme formidable – ein cooler Typ geworden:
• Schon in den letzten Wandertagen konnte er häufig HINTER mir gehen
• Er hat sich überwunden, eine passende, modische Sommerhose zu kaufen (weder zu weit noch „Hochwasser“)
• Er kann langsam BUMMELN und großteils neben mir gehen (nicht 10 Meter vor mir)
• Wir sind SPONTAN in einem Bus eingestiegen und ZIELLOS durch Nizza gefahren
• Unpässlichkeiten wie der gestrige strömende Regen, unprofessionelle Kellner und lange Wartezeiten können wir gelassen hinnehmen.
• Konrad schreibt FÜNF Postkarten
• Ganz besonders heldenhaft und cool war die Entscheidung ZWEI Nächte bei Esther zu bleiben.

Wer und was auch immer zu dieser Wandlung beigetragen hat, dem azurblauen Himmel über Nizza sei Dank!

Heute ist es warm und windstill aber bis Mittag noch bedrohlich bewölkt. Mit dem Bus und zu Fuß erkunden wir die Stadt. Immer mehr wagt sich die Sonne hervor und beleuchtet das Meer in intensivem Blau und Türkis. Am Nachmittag ist auch der Himmel strahlend blau. Es ist windig und am Strand freuen sich die Schwimmer über die hohen Wellen. Die kleinen Gassen der Altstadt sind belebt. Auf den sehr schön gestalteten Plätzen wird die 150-jährige Zugehörigkeit Nizzas zu Frankreich gefeiert. Stelzengeher in weißen Vogelkostümen tanzen zu mystischer Musik. Trommler und Fahnenschwenker sind unterwegs.

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Die vielen Lokale, wirklich eines neben dem anderen, sind stark frequentiert. Beim Abendessen sitzt am Nebentisch ein junger Mann mit seiner Begleiterin. Im Angebot gibt es unter anderem Carpaccio soviel man essen kann. Nach dem dritten verputzten Teller lacht der Bursche in unsere erstaunten Gesichter und sagt, dass er heute nicht viel Appetit hat. Wenn er Hunger hat, isst er acht Portionen. In all diesem Trubel finden wir zufällig die Kirche der Dominikaner und erleben eine Vesper mit den wenigen Mönchen. Ein harmonischer Tagesabschluss. Bis zum Abend regnet es nicht. Mit einer roten Rose (echt) von Konrad auf dem Nachtkastl schlafe ich ein.

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Wieder auf dem Jakobsweg: Tag 32, Nizza

Nizza, Ibis Hotel Mit uns frühstückt eine amerikanische Jugendgruppe. Es geht turbulent zu. Eine mürrische Kellnerin wird noch mürrischer nachdem sie ein Tablett fallen gelassen hat. Nur eine paar Schritte…

Nizza, Ibis Hotel

Mit uns frühstückt eine amerikanische Jugendgruppe. Es geht turbulent zu. Eine mürrische Kellnerin wird noch mürrischer nachdem sie ein Tablett fallen gelassen hat. Nur eine paar Schritte sind es zum Bahnhof und wir sitzen im TGV nach Nizza.

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In Avignon steigen wir um. Es regnet und regnet! Auch hier weit und breit Weingärten. Die Rhone, die uns am dritten Tag unserer Wanderung begrüßt hat, zeigt sich uns in Avignon noch einmal. Die Züge sind auch heute voll besetzt. Zum zweiten Mal haben wir nur noch in der ersten Klasse Restplätze bekommen. Die Landschaft rast vorbei. Beim Anblick schöner Wanderwege habe ich Sehnsucht nach dem Jakobsweg. Die Cote d’Azur ist heute nicht azurblau sondern nur grau in grau. Hohe Wellen auf dem bewegten Meer, Wind und Wolken auch bei der Fahrt durch Cannes. Es regnet intensiv während dieser dreistündigen Zugfahrt. Vor uns sitzt eine englische Familie mit zwei kleinen Mädchen und sie hören die mir so vertraute Lieblingssendung meines Enkels „Dora Explorer“. Kein Regen mehr in Nizza, aber dafür bläst der Wind ordentlich. Gleich beim Bahnhof beziehen wir das kleine, aber feine Zimmer mit einem breiten Bett im Ibis Hotel im fünften Stock. Viel Verkehr, viele Menschen, viel Betrieb, Palmen, lila blühende Bäume und Oleander. Unser erster Weg führt und ins Kaufhaus Lafayette. Wir kaufen uns jeder eine Sommerhose und ein Oberteil dazu. Wanderkluft ade! 32 Tage tägliche Belastung habe ihre Spuren auf unserer Kleidung hinterlassen. Als wir das Kaufhaus verlassen, schüttet es wieder und wir fahren mit der Straßenbahn zum Hotel. Das letzte Stück rennen wir mit Schirm durch den Regen und verlassen das Haus heute nicht mehr.

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Wieder auf dem Jakobsweg: Tag 31, Nimes

Nimes, Hotel Caesar Der Himmel über Carcassonne ist bedeckt. Es ist windig und kühler geworden. Die unangenehme Asphalttippelei ersparen wir uns mit einer Busfahrt zur Festung. Viele Touristen und auch…

Nimes, Hotel Caesar

Der Himmel über Carcassonne ist bedeckt. Es ist windig und kühler geworden. Die unangenehme Asphalttippelei ersparen wir uns mit einer Busfahrt zur Festung. Viele Touristen und auch Schulklassen sind ebenfalls unterwegs. Heute ist die relativ große Basilika von SS. Nazarius und Celsus geöffnet. Das romanische Kirchenschiff ist die Basis für den gotischen Ausbau der Basilika. Ein Blickfang sind die leuchtend bunten Fenster. Bei der Figur der heiligen Anna mit ihrer Tochter Maria zünde ich heute eine Kerze für unsere Töchter, meine Schwiegertochter und unsere Enkelkinder an – auch für die zukünftigen.

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Unter anderem schmücken auch zeitgenössische Kunstwerke die Kirche. Und zwar eine Tapisserie mit einer stillenden Madonna, ein großes Gemälde mit einer sehr erotischen Madonnendarstellung. Maria trägt ein tief ausgeschnittenes Kleid. Das etwas mollige Kind steht vor ihr in den Falten ihres üppigen Seidenrockes. Eine aus sechs russischen Männern bestehende Sängergruppe interpretiert gefühlvoll und stimmgewaltig Lieder aus Russland. Welche Fülle des Lebens uns auch hier wieder demonstriert wird. So viele Geschenke, die alle unseren Rucksack nicht belasten – die uns im Gegenteil immer leichter werden lassen. Bei einem guten Glas Wein und einem wirklich exzellenten vegetarischen Essen (unter anderem Linsensalat) schließen wir den Besuch in Carcassonne ab und setzen uns in den TGV nach Nimes.

Weinanbau, so weit das Auge aus dem Fenster des Zuges reicht. Der Canal du Midi begleitet uns bis Sete. Dort mündet er ins Meer. Wasser, Schilf, Dünen und Meer – ein wohltuender Anblick. Zwei Stunden dauert die Fahrt. Im Hotel Caesar bekommen wir das letzte winzige Zimmer im Parterre mit Blick auf einen düsteren Lichthof. Im Hof eine Betonwendeltreppe zur Balustrade mit Bassena. Überall dicke Rohre durch die teilweise die WC-Spülung rauscht. Diverse rostige Klimaanlagen brummen vor sich hin. Eine Entschärfung des Anblicks soll ein Holzparavent mit verstaubtem künstlichem Efeu und Blüten bringen. Wir fühlen uns wie in einem Studentenzimmer. Von hier ist es nicht weit zum Amphitheater der ehemals römischen Stadt Nimes und dieses gilt als das besterhaltene der römischen Welt. Vor dem abendlichen Zusperren könne wir gerade noch hinein und die hohen Steinstufen bis ganz nach oben steigen – 21 Meter hoch. Zwei Ebenen mit Arkaden sind erhalten.

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Alles circa 100 nach Christus erbaut. Seit 1853 finden hier wieder Sportveranstaltungen, Events und leider auch Stierkämpfe statt, da das in dieser Stadt aus Tradition noch erlaubt ist. 15.000 Zuschauer haben Platz. Bei Erkundung des Stadtkerns trifft man auf weitere zahlreiche Spuren der Römer. Mit vielen jungen Leuten genießen wir in einem gemütlichen Lokal Tapas und Wein. Das passt gut zu unserer Studentenbude. Es hat sich gelohnt in Nimes Station zu machen.

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Wieder auf dem Jakobsweg: Tag 30, Carcassonne

Carcassonne, Hotel Bristol Hier in Toulouse hängt in unserem Hotelzimmer ein Druck von Klimt. Wir werden langsam an die Rückkehr in die Heimat gewöhnt. Im unpersönlichen Frühstücksraum die typische Atmosphäre…

Carcassonne, Hotel Bristol

Hier in Toulouse hängt in unserem Hotelzimmer ein Druck von Klimt. Wir werden langsam an die Rückkehr in die Heimat gewöhnt. Im unpersönlichen Frühstücksraum die typische Atmosphäre eines Stadthotels. Jeder sitzt schweigend an seinem ungemütlichen Tisch. Welch ein Gegensatz zum gemeinsamen Frühstück mit Louis Revel, mit Esther und an anderen schönen, gastfreundlichen Plätzen auf dem Jakobsweg. Es ist Sonntagvormittag und noch sehr ruhig in der Stadt Toulouse. Die Gehsteige sind verschmutzt. Unser erstes Ziel ist die Basilika Saint Sernin.

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Ein Fresko zeigt den Heiligen, wie er an einen Stier gebunden durch die heutige Rue du Taur gezogen wird. Für die Wallfahrer wurde im 11. Jahrhundert die Basilika erbaut und jeden Nachmittag werden die Jakobspilger des südlichen Weges durch Frankreich hier begrüßt. Wir sehen einen einzigen Pilger mit seinem Rücksack in der Basilika. Vor einer Marienikone (das gleiche Motiv, von mir abgeschrieben, hängt in Höflein) zünde ich meine Kerze an. In der Bank vor mir sitzt eine Afrikanerin mit grauem, kurzem Haar, das perfekt zu ihrer grauen Bouclèjacke passt. Die aufgestickten Perlen auf ihrer Jacke harmonieren mit den grauen Rosenkranzperlen in ihrer Hand. Ein sehr berührendes Bild in diesem großen Gotteshaus. Eine Familie versammelt sich um den Altar für eine Taufe.

Langsam wacht die Stadt auf. Die Straßen werden belebt. Am breiten Fluss Garonne bei der Pont Neuf übt eine Sängerin Opernarien. Die wenigen Fußgänger bleiben stehen und applaudieren ihr. Etwas ganz besonderes ist die Cathèdrale Saint Etienne. Das Ergebnis einer Verbindung von zwei voneinander abgetrennten und unvollendeten Gebäuden. Gebaut zwischen dem 13. und 14 Jahrhundert. Paul Riquet, der Erbauer des 400 Kilometer langen Canal du Midi ist hier begraben. Mittags speisen wir in einem feinen Fischrestaurant. Wir sind natürlich in Wanderkluft, was anderes haben wir ja nicht – ganz im Gegensatz zu den französischen Familien, die hier ihr traditionelles Sonntagmittagsmenü einnehmen. Entsprechend unserer Kleidung werden wir weniger zuvorkommend behandelt. Kleider machen Leute! Die vorbeigehenden Menschen aus verschiedenen Nationen und Kulturen  spiegeln die Geschichte Frankreichs wider.

Nachmittags setzen wir uns in den Zug nach Carcassonne. Die Züge sind voll besetzt. Immer wieder begegnet uns der Canal du Midi und in dieser endlosen Ebene viele Weingärten. Auch heute liegt unser Hotel direkt am Canal du Midi. Viele Hausboote liegen hier vor Anker.

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Die Stadt selber ist schäbig. Berechtigterweise als Weltkulturerbe anerkannt ist die bestens erhaltene Festungsanlage um die alte Stadt. Wir starten unseren Fußmarsch zur Festung. Auf der Straße tanzt ein Paar im perfekten Stil zur Musik aus dem Autoradio. Schön anzuschauen. Auf der Festung trifft man – auch jetzt am Abend – noch viele Besucher in den kleinen Gassen mit den vielen Geschäften und Lokalen. Wir verschaffen uns einen Überblick über die imposante Anlage und essen in einer belebten Tapasbar Ziegenkäse mit Honig gekrönt mit einem Gläschen Wein. Mmh! Auf sehr holprigem Steinpflaster führt der steile Weg hinunter zur alten Brücke Pont Vieux über den Fluss Ande, der viel vom Regen aufgewühltes braunes Wasser führt. Zwei Möwen attackieren einen Fischreiher, der auf einem Stein im Wasser sitzt. Er bleibt stoisch sitzen und weicht geschickt den Angriffen aus. Als es ihm zu bunt wird setzt er sich ein paar Meter weiter auf einen anderen Stein und eine der Möwe besetzt den eroberten Stein. Die andere lässt sich in der Nähe nieder. Alle drei sind zufrieden. Die Wolken verdichten sich und wir beeilen uns ins Hotel zurück zu kommen.

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Wieder auf dem Jakobsweg: Tag 29, Toulouse

Toulouse, Hotel Terminus Als wir aufstehen liegt dichter Nebel über dem Lot und der Brücke. Ich habe schlecht geschlafen. Hatte wieder einmal das altbekannte Ziehen in den Beinen und der…

Toulouse, Hotel Terminus

Als wir aufstehen liegt dichter Nebel über dem Lot und der Brücke.

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Ich habe schlecht geschlafen. Hatte wieder einmal das altbekannte Ziehen in den Beinen und der rechten Hüfte. Wahrscheinlich von der steilen Asphaltstraße. Wir beschließen, die Jakobswegwanderung hier in Cahors zu beenden und in den nächsten Tagen mit der Bahn nach und nach Richtung Nizza zum Abflug in die Heimat zu fahren. Kein Rucksack drückt mehr die Füße in den Boden als wir bei Sonnenschein in Cahors über die alte, völlig intakte Wehrbrücke (Pont Valentre) aus dem 14. Jahrhundert zur Quelle Fontaines des Chartreuses (schon bei den Kelten ein Kultplatz) gehen.

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Aus einem großen natürlichen Becken sprudelt das Wasser in den Lot. Ich genieße diesen kraftvollen schönen Platz. Für nachmittags kaufen wir uns Zugtickets nach Toulouse. Auf dem Place de Ganetta essen wir noch einmal unser traditionelles Mittagessen: Käse, Baguette, Apfel. Den Espresso und die Tarte aux Pommes gibt es danach im gemütlichen Straßencafe. In der Kathedrale hören wir die glockenhellen Stimmen einer Sängerin bei der Probe. Unsere Kerzen zünden wir zum Dank für die geglückte und bereichernde Pilgerwanderung an. Sehr, sehr viel wurde uns geschenkt und das ohne Blasen (Konrad hatte nur zwei problemlose Blasen) oder andere gröbere körperliche Probleme. Eine Stunde, die Konrad im Musèe de Resistence verbringt, schlendere ich ganz langsam durch die kleinen Gassen und nehme viele Details auf. Beim geöffneten Gefängnistor wird ein Mädchen mit einer großen Tasche abgewiesen und geht weinend davon. In einem Häuserwinkel ein schwarzer Garten mit fast schwarzen Pflanzen, die angeblich von Magiern und Zauberern verwendet werden. Es ist ein Garten der Aktion Le Jardin-Secrets, der geheimnisvollen Gärten. Ich fühle die Leichtigkeit nach der ich mich immer wieder sehne. Am Bahnhof dann das Gefühl, dass die Welt uns gehört. Die Wolken verdichten sich wieder – die Stimmung ist sonnig.

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Mit dem Zug fahren wir durch eine ebene Landschaft mit nur wenigen kleinen Hügeln. Am Canal du Midi entlang kommen wir nach Toulouse – eine Millionenstadt mit all ihren Nebenwirkungen. Drogen- und Alkoholkranke mit ihren Hunden sitzen und schlafen beim Bahnhof und in den Straßen. Buntes und fröhliches Treiben auf den Plätzen und den vielen Straßencafes und Restaurants. In der Eglise Notre Dame du Taure kommen wir gerade zu einer Messe zurecht. Am Altar eine schwarze Madonna mit Kind, beide im Festgewand. Ein junger Mann hält behutsam sein neugeborenes Kind im Arm. Ich wünsche meinem Schwiegersohn Ernst dass er diese Freude im August auch ungetrübt erleben darf. (Am 10. August ist meine Enkelin Marie gesund zur Welt gekommen!) Zum Abschied erinnert mich das kraftvolle Orgelspiel an Roland. Ganz schön müde macht das Laufen durch die Stadt. Lärm und Schmutz sind Energieräuber. Es ist sehr schwül.

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Wieder auf dem Jakobsweg: Tag 28, Cahors

Gehzeit: 6 Stunden, Cahors, Hotel Chartreuse*** Der Himmel heute ist hellblau. Die Vögel erzählen sich noch aufgeregt zwitschernd vom gestrigen „Weltuntergang“. Angeblich gibt es heute den ganzen Tag keine Einkehrmöglichkeit…

Gehzeit: 6 Stunden, Cahors, Hotel Chartreuse***

Der Himmel heute ist hellblau. Die Vögel erzählen sich noch aufgeregt zwitschernd vom gestrigen „Weltuntergang“. Angeblich gibt es heute den ganzen Tag keine Einkehrmöglichkeit und kein Geschäft. Umso schöner ist es als wir nach eineinhalb Stunden das Häuschen des 52-jährigen Maurice sehen, in dem er Kaffee, Getränke und Kuchen anbietet. Nach einem Schlaganfall ist er etwas eingeschränkt. Er zeigt uns eine Schuhschachtel mit Ansichtskarten aus aller Welt und bittet uns ihm eine Karte aus Wien zu schicken. Was ich dann auch von zu Hause aus tue. Vorwiegend auf einem alten Römerweg von Steinmauern umsäumt verläuft der schöne, aber oft sehr steinige, Weg (Fußmassage).

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Auffallend die vielen Ligusterbüsche. Der karge Boden erlaubt auch hier kein hohes Wachstum der Sträucher und Bäume. Mittags sind wieder dunkle Wolken am Himmel. Es ist sehr schwül. Auf den Wegen die nassen Spuren des gestrigen Gewitters. Nach 5,5 Stunden Gehzeit geht es auf ein Plateau, das wir überqueren und von dem wir bald einen beeindruckenden Blick auf die Stadt Cahors haben. Eine Schleife des Lot umrahmt die Stadt. Sehr schön! Der Abstieg auf den Serpentinen einer Asphaltstraße geht ordentlich in die Füße und Beine. Und ich bin froh in dem zwar unpersönlichen, aber bequemen und sauberen ***-Hotel anzukommen. Die Badewanne hat ausnahmsweise einen Stoppel! Wir haben einen kleinen Balkon zum Fluss. Die Sträucher der Hotelwiese stehen unter Wasser und auf der Autobrücke über den Lot staut sich der Verkehr. Immer wieder hört man das Folgetonhorn der Feuerwehr. Konrad ist auf dem Weg zum Pilgerbüro, als es wieder zu schütten beginnt. In der Stadt trifft er noch einmal Barbara. Trotz Schirm kommt er durchnässt zurück und freut sich ebenfalls über die Badewanne mit Stoppel. Cahors war schon von den Römern besiedelt. Reste der römischen Anlagen gibt es noch. Im 13. Jahrhundert war Cahors ein bedeutender Handelsplatz. Jetzt wird der Weinbau forciert. Der andauernde, starke Regen zwingt uns im Hotel zu bleiben. Wir essen im Restaurant wieder den köstlichen Rocamandurkäse mit Honig auf Salat. Der große Speisesaal ist voller Bustouristen. An einem Tisch zwanzig Münchner. Es gibt eine Weinbar, an der man sich zum Pauschalpreis selbst bedienen kann. Ein Franzose wandert etliche Male vom Tisch zur Bar. So kommen auch Kilometer zusammen…

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Mit dem Rad unterwegs durch Europa

Vor drei Jahren habe ich durch Zufall auf meiner Geburtstagsfeier Reinier kennengelernt, der damals das erste Mal mit dem Rad quer durch Europa unterwegs war. Nachdem er drei Jahre später…

Vor drei Jahren habe ich durch Zufall auf meiner Geburtstagsfeier Reinier kennengelernt, der damals das erste Mal mit dem Rad quer durch Europa unterwegs war. Nachdem er drei Jahre später der Radtrips noch immer nicht müde ist, habe ich ihn zu einem Interview über seine Reisen mit dem Rad und seine Erlebnisse auf diesen Trips gebeten. Auch wenn mehr das Budget als die Nachhaltigkeit ausschlaggebend für das Transportmittel war, gehört Radfahren doch zu den umweltfreundlichsten Transportmitteln, also eindeutig ein Fall für The bird’s new nest! Reinier – jeweils links im Bild – stammt aus den Niederlanden, daher haben wir uns in Englisch unterhalten – im Anschluss findet ihr eine Übersetzung auf Deutsch.

Edda: When did your bike travels start, was there any specific reason for going by bike?

Reinier: The first time I took a bicycle out for traveling purposes was after I finished teaching my first semester as media lecturer in the summer of 2011. I had studied for a while, made some money, but didn’t have the cash to pay for motorized travel. Still, I wanted to leave for a long time, so I sat down to strategize. The first option was hitch-hiking, the second was to ride a bike. I realised later that these forms of travel are complete opposites, but as it goes with opposites they sort of meet again at the other side where the circle closes. Hitch-hiking works on complete dependence on circumstances: your travel will take you. Traveling by bike allows complete independence: it is you and your bike who decide where to go. The two ways of travel meet each other in their closeness with serendipity: both outcomes cannot be foreseen. I chose the bike because it allows for travel outside of the network of hubs: planes, buses and highways lead to hub in the network. Bicycles can visit these hubs, but most time is spent in between them. This mode of travel really focuses your attention on those non-places that are on no general tourist itinerary.

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How many trips by bike have you done alltogether? How many days did you travel in average?

After returning last Wednesday from Tuzla in Bosnia and Herzegovina, I have made four long distance trips, one each summer. After I cycled to Turkey the first time, doing 5.500 kilometers in five and a half months, I thought i would never ride a bike anywhere again. But when summer 2012 came around, I started to become jumpy. Before May I had set out the next plan: a trip around the Baltic Sea. I rode 6.000 kilometers in three months. Last summer I wanted to slow down a little and rode from Bordeaux to Porto, an easy 1.500 kilometers in less then a month. This year I wanted to return to the Balkans and Poland, cherished destinations that I have each visited a handful of times now. I took the train to Gdansk to follow the Wistla river to it’s source near the Slovakian border and then headed to Zagreb, central Bosnia and Montenegro. The total of this trip was 3.000 kilometers in almost two months.

How much time do you spend planning each trip?

The time I spent planning my trips has gone down massively. Before I set out on my first trip, I spent months gathering the right material, weighing one sleeping bag against another, wondering what panniers to buy. My planning has always been more about material than route: itineraries can be changed at any moment. So now my trips come together more organically. I might set a starting point or and end date, and figure out a way to get there. If I can’t make it somewhere in time, there are always buses and trains, although both present their own challenges when it comes to fitting a travel bike. Now that I have the material, I could basically leave tomorrow again. And that is a nice feeling.

To which countries have you travelled by bike? Which countries can you recommend for bike trips, which not?

I have traveled by bike in The Netherlands, Germany, Austria, the Czech Republic, Slovakia, Hungary, Croatia, Bosnia and Herzegovina, Serbia, Bulgaria, Greece, Turkey, Cyprus, Poland, Lithuania, Latvia, Estonia, Finland, Sweden, Denmark, France, Spain, Portugal and Montenegro. I can recommend almost all of these destinations, be it for different reasons. To give an example: Bosnia and Herzegovina is wonderful because there is simply very little heavy traffic and there are no highways, so all roads are pretty accessible. Added to the beautiful nature and fantastic people, I can very much recommend it. But when it comes to bicycle infrastructure, there are very few bicycle shops in Bosnia, whereas Poland, for instance, has one in every medium sized town. Poland is very affordable, people are helpful and most of the terrain is easy for bicycles, but sometimes the roads get a bit busy. Sweden is paradise for wild camping, as it is legally allowed, but food is extremely expensive and you might find that when you’re riding by yourself in Sweden, it can be a bit lonely. The one place I cannot recommend to anyone without a death wish is Cyprus. From the moment I rolled off the boat, it seemed like I was in a computer game with angry motor traffic trying to cut me off at every possibility they had. It got so bad that I simply stopped and hitched a ride from a truck, with the bike in the back. For hitch-biking, Cyprus turned out to be a great destination.

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Are you still using the bike you started your trips with? How often have you had to fix your bike while traveling?

When I started I bought a second hand Koga Myata, a bike that despite it’s Japanese sounding name is as Dutch as it gets. It is the kind of bike made for long distance travel, a so-called trekking or tour bicycle, and has served me ever since. I have had the idea to buy a more sturdy one, as this one is lightweight, but since I’ve realised I prefer asphalt over off-road, this one serves me pretty well.

When it comes to maintenance, there are no shortcuts. If bike travel taught me anything, it is to solve your problems as soon as they pop up. Riding for a while without a well functioning brake might seem ok because it allows you to avoid spending money and time on the repair, but in the end it makes you drive slower and therefore lose the joy of cycling, as you are taking into account all the little defects. When something stops sounding right, it is time to intervene and investigate: a tyre that is not correctly placed might go bust over time when not addressed, and loose cables annoy you. In a more general sense, a bike is like the human body: parts need to be renewed constantly for the whole to function. A chain does 2.000 kilometers, a casette 6.000, brake pads depend on the kind of terrain, but inadvertently wear. This year I broke my seat: the aluminium simply snapped. So while I still ride the same bike I bought in 2011, most of it has been replaced and is no longer original.

Where do you spend your nights?

While I’m cycling, I have a variety of ways to spend the night. I usually bring a tent, which makes me completely self-sustained. When I travel with a companion, the tent is often the preferred destination for the night and then I like to do wild camping. But alone, nights in dodgy locations can be quite long, and campsites offer not only a shower, but also some people to chat to after a long day on the bike. By myself, I prefer to stay with people through the online communities Warmshower.org and Couchsurfing.org. Whereas Couchsurfing is known more and has a bigger user-base, Warmshowers is specifically for bike tourers and has a much more useful interface, as it lists people’s actual location on the map. When I started out, Couchsurfing had that option too, but their recent commercialisation has led me further away from them. Still, I owe much of the friends I’ve made over the years to Couchsurfing and I’m still hosting through both networks when I’m at home.

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Do you prefer to travel alone or with company?

When it comes to traveling alone or with company, I find myself in a split. I really love to ride together, and being in tandem allows you to take bolder steps more easily, like camping on an abandoned dockyard, or taking a badly indicated but promising turn-off. However, the freedom you have when you are by yourself is incredible and priceless. There is no need to talk anything over, discussions are internal and take place in a split second. An advantage of travel in a group is having people to talk to, the advantage of being alone is being able to make contact so much more easily. You simply have to: if you don’t talk to anyone, you will be by yourself. It is a great motivation.

Have you ever been in any kind of dangerous situation on your trips?

I guess the most dangerous situations on my bike trips sprang from underestimating traffic conditions, or simply having no options. If you’re halfway through a canyon and you have to cross a 700 meter long tunnel with faltering light, that will not be the best experience and might not be that safe either. But I tend to ride defensively. Contra intuition, that does not mean that you make yourself small and position yourself on the furthest possible edge of the road. I ride in such a way that I always have about a meter to sway to on my right side. By being out on the road more, cars will automatically slow down, and if they come too close, you have space to move into. If you sit all the way to the right, they might think they can pass and the smallest move to the left can cost you. It is all about managing expectations: you will be safest when cars expect you to do the weirdest things.

What have been the best experiences you made during those trips?

It is very hard to pinpoint the best experiences, as the whole bike traveling adds up. It receives value through all of its compnents: you have to work to get to your destination ,which gives satisfaction. You have short and long term goals (where do I turn left? How do i get to the next city? On which continent do I want to end up?) which give structure and order. Because of the bike, many people like to have a chat and are curious, which helps to build contacts and friendship. All of it together creates the priceless experience.

Have you inspired people to travel like you do?

When I meet people and explain them my way of travel, they are often impressed. I like to talk it down: I’m not exceptional in my strength or endurance, anyone can do it. I believe that the mental treshold is higher than the physical one: once you realise you can travel by bicycle, the body follows without any problems. We’re sturdy animals, a few centuries ago we all worked the field everyday. Taking a five hour spin each day sounds like a holiday compared to other things the human body gets used to. And I have given some people the little push they needed in the direction of cycle tripping.

Has travelling this way changed you somehow?

It is hard to tell in what way bike travel has changed me. For me it feels more like it enabled me to be more of what I already liked in myself. The activity, the social contacts, the way of travel that allows you to get close to your destination. These are all things I already enjoyed before, but it feels like bike travel showed me the way to most succesfully and enjoyably combine them.

Any advice for people who are now inspired to travel by bike?

There is no blue print,and there are no rules. If you want to ride 30 kilometers a day and survive by picking flowers on the side of the road and sell them in villages while sleeping at the local chruch, you can. But if you want to ride 120 kilometers a day, sleep in hotels and eat restauant food, that’s equally fine. One day, four days, a week, a month, a year, all trips can be fun. And for me it has always been pretty clear: if you don’t feel like cycling anymore,stop cycling. Don’t hold onto something you don’t enjoy. I’ve stopped several times with the idea not to cycle the day after,only to find my legs itching to get back to it by 10 AM the next day. So be warned, you might get addicted.

 

Und hier die Übersetzung:

Edda: Wann bist du das erste Mal mit dem Rad auf Reisen gegangen? Gab es einen bestimmten Anlass dafür?

Reinier: Die erste Radreise habe ich unternommen, nachdem ich mein erstes Semester als Medien-Dozent auf der Universität abgeschlossen hatte. Das war im Sommer 2011. Ich hatte einige Zeit studiert, ein bisschen Geld verdient, aber nicht genug für motorisiertes Reisen. Trotzdem wolle ich eine Zeitlang auf Reisen gehen, also hab ich mich hingesetzt, um eine Strategie zu entwickeln. Eine Möglichkeit war Trampen, die andere Möglichkeit, das Rad zu nehmen. Erst später erkannte ich, dass das zwei völlig gegensätzliche Formen des Reisens sind. Aber wie das mit Gegenteilen so ist, sie treffen sich am Ende doch irgendwann dort wieder, wo der Kreis sich schließt. Trampen basiert auf einer völligen Abhängigkeit von den Umständen: Die Reise nimmt dich mit sich. Radfahren erlaubt komplette Unabhängigkeit: Du und dein Rad – ihr entscheidet wohin es gehen soll. Diese beiden Formen des Reisens treffen sich dort wieder, wo der Zufall ins Spiel kommt: In beiden Fällen kann das Ergebnis nicht vorhergesehen werden. Ich habe mich für das Rad entschieden, weil man damit auch außerhalb der Zentren reisen kann: Flugzeuge, Busse und Autobahnen führen alle zu den Zentren des Netzwerkes. Mit dem Rad kann man die Zentren zwar auch erreichen, aber die meiste Zeit verbringt man dazwischen. Bei dieser Art des Reisens kannst du dich wirklich auf diese Nicht-Plätze jenseits der typischen Touristen-Routen fokussieren.

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Wie viele Radtouren hast du insgesamt schon unternommen? Und wie viele Tage bist du im Durchschnitt gereist?

Am Mittwoch bin ich aus Tuzla zurückgekommen, einer Stadt in Bosnien und Herzegowina. Inklusive dieser Reise habe ich nun schon vier Langstrecken-Touren hinter mir, jeden Sommer eine. Das erste Mal bin ich in die Türkei gefahren und habe 5.500 Kilometer in fünfeinhalb Monaten hinter mich gebracht. Ich dachte, ich könnte mich niemals wieder auf ein Rad setzen. Aber als der Sommer 2012 kam, bin ich unruhig geworden. Noch im März hatte ich mir einen neuen Plan überlegt: Eine Tour an der Ostsee. Ich fuhr 6.000 Kilometer in drei Monaten. Letzten Sommer wollte ich es dann ein wenig langsamer angehen und fuhr von Bordeaux nach Porto, das waren leichte 1.500 Kilometer in weniger als einem Monat. Dieses Jahr sollte es wieder auf die Balkanhalbinsel gehen und nach Polen, also in Gegenden, die ich nun schon einige Male besucht habe und sehr schätze. Ich nahm also den Zug nach Danzig, um der Weichsel zu ihrem Ursprung nahe der slowakischen Grenze zu folgen und steuerte dann Zagreb an. Insgesamt habe ich 3.000 Kilometer in knapp zwei Monaten zurückgelegt.

Wie viel Zeit benötigst du, um deine Touren zu planen?

Die Zeit, die ich mit der Planung meiner Touren verbringe, hat sich stark reduziert. Vor meiner ersten Tour habe ich Monate damit verbracht, die richtige Ausrüstung zusammenzustellen, habe Schlafsäcke verglichen und nach der richtigen Fahrradtasche gesucht. Meine Planung drehte sich immer mehr um die Ausrüstung als um die Route: Eine Reiseroute kann man ja jederzeit ändern. Inzwischen entstehen meine Routen eher zufällig. Ich lege den Ort fest, von dem aus ich starten möchte oder das Datum, an dem ich an einem Ort ankommen will und überlege dann, wie ich dorthin komme. Wenn ich nicht rechtzeitig da bin, dann gibt es immer Busse oder Züge, obwohl beide ihre Herausforderungen bereitstellen, wenn es darum geht, ein Rad zu transportieren. Jetzt, da ich die Ausrüstung zusammenhabe, könnte ich eigentlich gleich morgen schon wieder abreisen. Und das ist ein schönes Gefühl.

Welche Länder hast du bei deinen Reisen besucht? Welche kannst du für Radtouren empfehlen, welche nicht?

Ich habe Radtouren durch die Niederlande, Deutschland, Österreich, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Kroatien, Bosnien Herzegowina, Serbien, Bulgarien, Griechenland, die Türkei, Zypern, Polen, Litauen, Lettland, Estland, Finnland, Schweden, Dänemark, Frankreich, Spanien, Portugal, und Montenegro gemacht und kann fast alle Gegenden empfehlen, allerdings aus unterschiedlichen Gründen. Um ein Beispiel zu nennen: Bosnien Herzegowina ist wunderbar, weil es dort kaum Verkehr oder Autobahnen gibt, die Straßen sind also gut befahrbar. Dazu noch die schöne Natur und die tollen Menschen –ich kann es sehr empfehlen. Allerdings gibt es nur wenige Fahrradgeschäfte dort. In Polen hingegen gibt es in jeder mittelgroßen Stadt eines. Polen ist günstig, die Menschen sind hilfsbereit und das Gelände ist mit dem Fahrrad leicht zugänglich, aber manchmal ist auf den Straßen viel los. Schweden ist ein Paradies, wenn man wild Campen möchte, das ist dort auch erlaubt. Aber das Essen ist sehr teuer und es kann etwas einsam werden, dort alleine mit dem Rad unterwegs zu sein. Der einzige Ort, den ich wirklich niemandem empfehlen kann, ist Zypern. Vom Moment an als ich das Boot verlassen habe, hatte ich den Eindruck in einem Computerspiel zu sein, weil ich bei jeder Möglichkeit, die sich bot, von Autos geschnitten wurde. Das war so schlimm, dass ich dann einfach angehalten habe und mich von einem LKW habe mitnehmen lassen. Zum Trampen war Zypern am Ende super.

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Bist du noch mit dem Rad unterwegs, mit dem du deine ersten Touren gemacht hast? Wie oft musstest du dein Rad während deiner Reisen reparieren?

Für meine erste Tour habe ich mir ein gebrauchtes Koga Miyata gekauft, ein Rad das trotz des japanisch klingenden Namens in den Niederlanden hergestellt wird. Es ist für Langstrecken-Touren gebaut, also ein sogenanntes Trekking- oder Tourenrad, und steht mir seitdem zu Diensten. Ich habe zwischendurch überlegt, mir ein robusteres Rad zu kaufen, da dieses sehr leicht ist, aber dann habe ich gemerkt, dass ich lieber auf Asphalt fahre als im Gelände, so passt mir dieses hier sehr gut. Was die Instandhaltung angeht, so gibt es keine Patentlösung. Wenn das Reisen mit dem Rad mich eines gelehrt hat, dann, dass man seine Probleme in dem Moment lösen muss, in dem sie auftauchen. Man kann schon eine Weile mit einer schadhaften Bremse fahren, weil man so kein Geld ausgeben muss und keine Zeit für die Reparatur drauf geht. Aber am Ende bedeutet das nur, dass du langsamer fährst und den Spaß am Fahren verlierst, wenn du an all die kleinen Defekte denkst. Wenn irgendwo komische Geräusche herkommen, dann sollte man eingreifen und herausfinden, was los ist. Ist der Reifen nicht richtig montiert, wird er irgendwann platzen und lose Kabel machen auch Ärger. Generell gesprochen, ist ein Fahrrad wie der menschliche Körper: Die Teile müssen regelmäßig erneuert werden, damit das Ganze funktioniert. Eine Kette hält 2.000 Kilometer, eine Kassette 6.000 Kilometer, bei den Bremsbelägen hängt es von der Art des Geländes ab, aber sie nutzen auch so ab. Dieses Jahr ging mein Sattel kaputt, das Aluminium brach einfach. Also, ich benutze zwar immer noch das gleiche Rad, das ich damals 2011 gekauft habe, aber ein Großteil wurde ersetzt und entspricht nicht mehr dem Original.

Wo verbringst du deine Nächte?

Beim Reisen mit dem Rad stehen mir einige Möglichkeiten offen, wie ich die Nacht verbringe. Normalerweise habe ich ein Zelt dabei, das mich komplett unabhängig macht. Wenn ich zu zweit reise, nutzen wir auch am liebsten das Zelt und dann campen wir auch gerne wild. Aber wenn ich alleine unterwegs bin, dann kann die Nacht in einer abgelegenen Gegend ziemlich lang sein. Zeltplätze bieten nicht nur Duschen, sondern man kann dort auch mit den anderen Leuten quatschen nach einem langen Tag auf dem Rad. Wenn ich alleine fahre, dann übernachte ich auch bei Leuten, die ich über Online-Communities wie Warmshower.org und Couchsurfing.org finde. Couchsurfing ist bekannter und hat mehr UserInnen, Warmshowers richtet sich vor allem an Biker und ist nützlicher aufgebaut, da es den tatsächlichen Wohnort der Leute auf der Karte anzeigt. Als ich anfing, hatte Couchsurfing diese Option auch noch, aber die kürzliche Kommerzialisierung hat mich eher abgestoßen. Dennoch schulde ich den Freunden, die ich über die Jahre bei Couchsurfing kennengelernt habe eine Menge und bin in beiden Netzwerken aktiv, wenn ich zu Hause bin.

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Reist du lieber alleine oder in Gesellschaft?

Bei der Frage, ob ich lieber alleine oder in Begleitung reise, bin ich gespalten. Ich mag es wirklich gerne gemeinsam zu reisen, denn dann ist man mutiger und campt auf einer verlassenen Werft oder nimmt eine schlecht ausgeschriebene, aber vielversprechende Abfahrt. Auf der anderen Seite ist die Freiheit, die du hast, wenn du alleine mit dir bist, einfach unglaublich und unbezahlbar. Man muss keine Rücksprache halten, Diskussionen führst du innerlich und sie dauern nicht einmal eine Sekunde. Der Vorteil des Gruppenreisens ist, dass man immer Leute zum Reden hat, der des Allein-Reisens, dass man viel einfacher neue Kontakte schließt. Du musst ja, denn wenn du mit niemandem sprichst, bleibst du allein. Das ist eine gute Motivation.

Hast du auf deinen Reisen auch einmal gefährliche Situationen erlebt?

Ich glaube, die gefährlichsten Situationen auf dem Rad entstanden, weil ich die Verkehrsbedingungen unterschätze habe beziehungsweise keine anderen Optionen hatte. Wenn du auf halbem Wege durch eine Schlucht bist und einen 700 Meter langen Tunnel durchqueren musst, in dem das Licht flackert, dann ist das nicht die tollste Erfahrung und wohl auch nicht besonders sicher. Aber ich fahre eher defensiv. Entgegen der Intuition heißt das nicht, dass man sich klein macht und sich am äußersten Ende der Straße hält. Ich fahre so, dass ich immer einen Meter Platz habe auf meiner rechten Seite. Wenn man sich mehr auf der Straße hält, fahren die Autos automatisch langsamer und wenn sie zu nahe kommen, hat man Platz, um auszuweichen. Wenn du zu weit rechts fährst, denken sie vielleicht, sie können vorbei fahren und eine kleine Bewegung nach links kann gefährlich werden. Es geht hauptsächlich darum, die Erwartungen zu lenken: Du fährst am sichersten, wenn die Autofahrer davon ausgehen, dass du irgendetwas Bescheuertes tust.

Was waren die schönsten Erfahrungen während deiner Touren?

Es ist schwer, das festzumachen, da sich die ganze Reise aufaddiert. All ihre Komponenten tragen zur Bewertung bei: Du musst dich anstrengen, um dein Ziel zu erreichen, das befriedigt. Du hast kleine und große Ziele, die Struktur und Ordnung bringen (Wo biege ich links ab? Wie erreiche ich die nächste Stadt? Auf welchem Kontinent möchte ich ankommen?). Wegen des Fahrrads kommt man mit vielen Leuten ins Gespräch, dadurch schließt man Kontakte und Freundschaften. All das zusammengenommen ist eine unbezahlbare Erfahrung.

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Hast du Leute dazu inspiriert, so wie du zu reisen?

Wenn ich den Leuten erzähle wie ich reise, reagieren sie oft beeindruckt. Ich rede es dann gerne klein: Ich bin nicht ausgewöhnlich stark oder ausdauernd, jeder kann das machen. Ich glaube, dass die mentale Hürde größer ist als die physische: Wenn du realisierst, dass du mit dem Rad reisen kannst, folgt dein Körper automatisch. Wir sind robuste Lebewesen, vor einigen Jahrhunderten haben wir noch den ganzen Tag auf Feldern gearbeitet. Ein fünfstündiger Ausflug am Tag klingt da wie Urlaub, verglichen mit den Bedingungen, an die sich der menschliche Körper sonst so gewöhnen muss. Ich habe ein paar Leuten auch schon mal einen kleinen Stupser in Richtung Radreisen gegeben, wenn nötig.

Hat dich das Reisen verändert?

Ich kann schlecht sagen, wie mich das Reisen verändert hat. Nach meinem Empfinden hat es mir ermöglicht, mehr ich selbst zu sein. Die Aktivität, die sozialen Kontakte, die Art so zu reisen, dass man seinem Ziel nahe kommt – das sind alles Dinge, dich ich zwar schon vorher genossen habe, aber das Radreisen hat mir gezeigt, wie ich sie besonders erfolgreich und angenehm kombinieren kann.

Hast du einen Rat für Leute, die nun inspiriert sind, selbst eine Radtour zu unternehmen?

Es gibt da keine Blaupause oder Regeln. Wenn du 30 Kilometer am Tag fahren möchtest, und dein Überleben sichern, indem du Blumen am Straßenrand pflückst und in Dörfern verkaufst und deine Nächte in der örtlichen Kirche verbringen, dann kannst du das machen. Aber wenn du 120 Kilometer am Tag fahren möchtest, in Hotels schlafen und in Restaurants essen, dann ist das genauso in Ordnung. Ein Tag, vier Tage, eine Woche, ein Monat, ein Jahr – das kann alles Spaß machen. Und für mich war eigentlich immer ziemlich klar: Wenn man keine Lust mehr hat zu fahren, dann hört man auf. Zwing dich nicht zu etwas, das dir keinen Spaß macht. Ich habe mehrfach angehalten und überlegt am nächsten Tag zu pausieren, aber am nächsten Morgen hat es mich in den Beinen gejuckt und ich wollte wieder aufs Rad. Also sei gewarnt, du könntest süchtig werden.

 

Habt ihr schon einmal eine längere Radtour unternommen? Oder träumt ihr davon, irgendwann einmal mit dem Rad durch Europa – oder sogar durch die ganze Welt – zu reisen?

Vielen lieben Dank an Verena für die Übersetzung!

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