Eco. Life. Style.

Kategorie: Science. Technology.

Coronavirus: Hysterie oder berechtigte Angst?

Dieser Beitrag wurde in Zusammenarbeit mit dem Infektionsbiologen Dr. Doğan Doruk Demircioğlu erstellt. Keine Desinfektionsmittel mehr. Leergeräumte Supermarktregale. Ein bisschen erinnert der aktuelle Zustand an eine Apokalypse. Wir reden nicht…

Dieser Beitrag wurde in Zusammenarbeit mit dem Infektionsbiologen Dr. Doğan Doruk Demircioğlu erstellt.

Keine Desinfektionsmittel mehr. Leergeräumte Supermarktregale. Ein bisschen erinnert der aktuelle Zustand an eine Apokalypse. Wir reden nicht vom T-Virus des Spieleklassikers Resident Evil. Wir reden von SARS-CoV-2, auch bekannt als Coronavirus.

Was uns Angst macht sind die Schutzanzüge, die Quarantänebestimmungen, die ausgerufenen Notstände. Eine kurze Erklärung: Es gibt gegen SARS-CoV-2 bislang keine Impfung, gegen die jährlich epidemisch und pandemisch vorkommende Influenza, die echte Grippe, hingegen schon. Medizinisches Personal ist gegen Influenza geimpft, kann sich also weit entspannter mit Influenzapatienten befassen als mit Coronavirus-Infizierten. Würde medizinisches Personal keine Schutzanzüge und keine Atemmasken tragen, so wären in kürzester Zeit alle Betreuungspersonen selbst erkrankt und temporär außer Gefecht. Es ist also eine logische Konsequenz, medizinisches Personal in Schutzanzüge wie im oben schon erwähnten Resident Evil zu packen. Das hat grundsätzlich erst einmal nichts mit der Gefährlichkeit des Virus zu tun, sondern damit, dass man in den Wintermonaten, in denen zusätzlich die Influenza kursiert, nicht auf medizinisches Personal verzichten kann.

Bild: leo2014 / pixabay.com

Des Weiteren soll eine Ausbreitung möglichst verlangsamt werden. Man möchte schließlich Risikogruppen wie ältere oder vorerkrankte Personen schützen. Je langsamer sich das Virus verbreitet, desto mehr Zeit gewinnt man zur Entwicklung eines Medikaments oder Impfstoffes. Dies ist auch der Grund für die Quarantänemaßnahmen, die getroffen werden. Natürlich hört sich das für uns erst einmal beängstigend an, wenn ganze Städte abgeriegelt werden. Diese Maßnahmen dienen dazu, die Verbreitung des Virus zu verlangsamen, weshalb sie grundsätzlich erst einmal sinnvoll erscheinen.

Aber fangen wir von vorne an

Im Prinzip ist die gegenwärtige Coronavirus-Epidemie nichts Neues, sind wir doch jedes Jahr im Winter mit Millionen Infektionen diverser Viren konfrontiert, die meist nur harmlose Atemwegsinfektionen auslösen, eine sogenannte Erkältung. Nennen wir sie beim Namen: Rhino-, Entero- und Mastadenoviren oder Viren der Familien der Corona- und Paramyxoviridae. Wir sind also permanent potenziellen viralen Infektionen ausgesetzt, ohne sie zu bemerken. Zugegeben: An einer Erkältung stirbt heutzutage in der Regel keiner mehr.

Was manche Viren so gefährlich machen kann, ist ihre Wandlungsfähigkeit. Das liegt in der Natur des Virus. Insbesondere RNA-Viren, zu denen auch das Coronavirus gehört, tun nichts anderes, als sich in unterschiedlicher Häufigkeit zu verändern. Genauer gesagt: Die Gesamtheit ihrer Gene, das sogenannte Genom, wird in seiner Abfolge zufällig verändert, das Virus mutiert also und es entstehen neue Varianten dieses einen Virus. Durchaus kann so auch eine gefährlichere Variante als der Vorgänger entstehen. Das Influenza-Virus macht das jede Saison, weshalb wir jedes Jahr eine neue Impfung benötigen.

Nun steigt also die Nervosität jeden Tag weiter an, weil ein in China neu aufgetretenes Virus mit dem kryptischen Namen SARS-CoV-2 (kurz für Severe Acute Respitory Syndrome-Coronavirus-2) seit Dezember 2019 sein Unwesen treibt. Die durch diese Infektion ausgelöste Krankheit der oberen Atemwege wurde COVID-19 getauft, was für Corona Virus Disease 2019 steht.

Die Rolle der (sozialen) Medien

Leider schaffen es Medien – klassisch wie sozial – immer wieder, an Massenpanik grenzende Zustände hervorzurufen. Es wäre wünschenswert, das eine oder andere Klatschblatt würde seine reißerischen Artikel und den Liveticker zu jedem Neu-Infizierten etwas homöopathischer dosieren. Die Flut an richtigen und falschen Informationen führt regelrecht zu einer Infodemie, einem von der WHO eingeführten Begriff. Analog zu einer Epidemie werden Informationen und Fehlinformationen auf der ganzen Welt in beispielloser Geschwindigkeit verbreitet und lösen nichts anderes aus als Panik, schüren Rassismus oder führen sogar zu sozialen Unruhen und Aufständen.

Warum schreiben wir also trotzdem den wahrscheinlich fünf-millionsten Artikel über dieses Virus? Weil wir finden, dass dieser Infodemie Einhalt geboten werden muss. Auch erreichen uns immer mehr Anrufe von besorgten Freunden und die ersten Hamsterkäufe in unserer Region fanden auch schon statt. Langsam aber sicher kann so noch mehr Panik entstehen, mit potenziell sehr ungutem Ausgang für uns alle. Es scheint fast so, als sei am Ende nicht mehr das Virus das Problem, sondern der Mensch selbst: Homo homini lupus – Der Mensch ist des Menschen Wolf.

Daher ist es unser Ziel mit diesem Artikel die Quintessenz der tausenden Mainstream- und Fach-Artikel kurz und prägnant zusammenfassen, um vor allem eines zu erreichen: mitzuhelfen, eine absolut unnötige Panik zu verhindern.

Selbstverständlich haben wir die Wahrheit nicht gepachtet und müssen uns auf das verlassen, was wir an Informationen bekommen: aus den Medien, aus Fachzeitschriften, aber auch von Epidemiologen oder Kollegen. Ergänzend zu den Informationen können wir jedoch unser Fachwissen als Infektions- und Mikrobiologen einbringen. Aus diesem Grund beantworten wir euch auch sehr gerne Fragen. Entweder hier in den Kommentaren oder direkt auf Facebook beim Posting zu diesem Beitrag.

SARS-CoV-2? Was ist das überhaupt?

Fakt ist: Beim Coronavirus handelt es sich um eine sogenannte Zoonose, also eine vom Tier auf den Menschen übergegangene Infektionskrankheit, welche ihren Ursprung laut Berichten der chinesischen Regierung auf einem Markt in der chinesischen Großstadt Wuhan hat.

Natürlich läuft die Suche nach der Herkunft auf Hochtouren und es wurde und wird geforscht und spekuliert. Im Prinzip war so ziemlich alles schon der mögliche Ursprung: Fledermäuse, Gürteltiere, Hühner, Schweine, Schlangen und sogar ein Labor in Wuhan. Momentan scheint wieder die Fledermaus zu führen. Kurzum: Man weiß es nicht.

Fakten und Zahlen

Laut WHO gibt es mit dem Stand 3. März 2020 80.304 Infizierte und 2.946 Tote in China und 10.566 Infizierte mit 166 Toten im Rest der Welt. Somit haben wir eine Letalitätsrate (Sterberate) von 3,67 Prozent für China, wohingegen nur 1,57 Prozent der Infizierten in anderen Ländern sterben. Dies liegt vermutlich zum einen daran, dass man anfangs nicht wusste, wie man mit dem Virus umgehen soll. Die Länder, die jetzt viele COVID-19-Fälle zu beklagen haben, profitieren bereits von dem Wissen, das die chinesischen Mediziner im Lauf der letzten Wochen erworben haben. Zum anderen war es die große Anzahl an Infizierten, die das chinesische Gesundheitssystem an seine Grenzen brachte. Es war letztlich nicht mehr zu bewältigen, da tausende Infizierte in Wuhan medizinische Versorgung benötigten.

Im Vergleich die saisonale Grippe (Influenza): 182.000 Infizierte und 954 Tote in Deutschland im Jahr 2018, sprich eine Letalitätsrate von 0,5 Prozent. In der Grippesaison 2017/2018 starben allein in Deutschland laut RKI 25.100 Menschen in Folge einer Grippe-Infektion.
Verglichen mit seinen berühmten Cousins SARS (löste die Pandemie in den Jahren 2002/2003 aus) und MERS ist die Sterberate von SARS-CoV-2 sogar deutlich geringer. An einer Infektion mit SARS starben seit 2003 9,6 Prozent der Infizierten, an MERS seit 2012 sage und schreibe 34,4 Prozent.

Die Dunkelziffer an mit dem Coronavirus Infizierten liegt wahrscheinlich sehr viel höher, was wiederum die Letalitätsrate nach unten drücken würde. Die wenigsten lassen sich wegen ein bisschen Husten vom Arzt auf das Coronavirus testen beziehungsweise gibt es auch Träger des Virus, die keine Symptome aufweisen.

Inwiefern ist die Letalitätsrate vom Alter abhängig?

Bild: statista.com

Typisch für jede Infektionskrankheit: Es trifft oftmals Menschen mit beeinträchtigtem Immunsystem und das ist bei SARS-CoV-2 nicht anders. Hierzu gehören zum Großteil ältere Menschen, wie man an der obigen Grafik sehen kann. Aber auch Vorerkrankungen, hier insbesondere Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen, spielen eine Rolle. Kinder unter neun Jahren sind bislang keine an einer Infektion mit dem Coronavirus gestorben. Auch erkranken Kinder weniger häufig An COVID-19. Man erforscht aktuell noch, woran das liegt. Es gibt zwar einige Hypothesen, den wirklichen Grund hierfür hat man jedoch noch nicht gefunden.

Wie ansteckend ist das Virus?

Im Vergleich mit den Masern beispielsweise ist das Coronavirus wenig ansteckend. Epidemiologen fanden heraus, dass ein Masernpatient im Schnitt 12 bis 18 Personen ansteckt, wohingegen das Coronavirus es auf gerade einmal drei Ansteckungen im Durchschnitt schafft.

Wie lange überlebt das Virus auf Oberflächen?

Das wurde natürlich auch schon untersucht, allerdings an verwandten Viren, namentlich den Auslösern von SARS und MERS. Man geht davon aus, dass sie bis zu neun Tage bei Raumtemperatur auf Oberflächen überleben können.

Gibt es schon Medikamente gegen das Virus?

Noch nicht, aber es gibt einige vielversprechende klinische Studien, unter anderem mit einer Kombinationstherapie zweier bekannter Medikamente. Auch arbeiten sehr viele Firmen aus dem Bereich der Diagnostik an Schnelltests sowie einige Pharmafirmen an einer Impfung, die in etwa einem Jahr auf dem Markt sein könnte. Kurzum: Die ganze Welt forscht an einem Medikament.

Bild: Herney / pixabay.com

In Acht nehmen sollte man sich nicht nur generell vor Falschinformationen, leider nutzen viele Unternehmen die jetzige Situation aus, um auf Kosten uninformierter Personen Geschäfte zu machen. Das geht vom Verkauf von weit überteuerten OP-Masken, die nachweislich nicht gegen das Coronavirus schützen bis zu angeblichen Heilmitteln – auf Amazon wurden kürzlich rund eine Million angebliche Heilmittel und überteuerte Produkte entfernt. Als wäre das nicht schon gravierend genug, versuchen auch Apotheken von der Epidemie zu profitieren, so wurde bei stichprobenartigen Anrufen in österreichischen Apotheken mehrmals Globuli (!) als Heilmittel empfohlen.

Und schlussendlich noch das Wichtigste: Wie verhindert man eine Ansteckung? Helfen Masken?

Folgende Grundregeln sollten in diesem Fall beachtet werden:

  1. Hände waschen (30 Sekunden mit Seife!)
  2. Wenig Körperkontakt (vor allem mit Kranken)
  3. Richtig niesen und husten. Entweder in die Armbeuge oder in ein Taschentuch und dieses sofort entsorgen.
  4. Menschenansammlungen meiden
  5. Masken helfen, aber nur, wenn sie mindestens die Bezeichnung FFP2 tragen. Das Problem: Die Tröpfcheninfektion erfolgt häufig über die Augen. Insofern helfen Masken vor allem dann, wenn ein Erkrankter sie trägt und damit verhindert, andere anzustecken.

Wir fassen zusammen

Basierend auf den Fakten ist Panik nicht nötig und sowieso nie ein guter Ratgeber. Genau genommen sollten wir uns überlegen, warum viele von uns nicht gegen Influenza oder Masern geimpft sind. Wir brechen in Panik aus, weil ein neuartiges Virus hier ankommt, gegen das es keine Impfung gibt. Und andere Viren, die für uns gefühlt ein alter Hut sind, ignorieren wir und halten es nicht einmal für nötig uns überhaupt impfen zu lassen.

Nichtsdestotrotz sollte man, und das gilt natürlich besonders für ältere Menschen oder solche mit Vorerkrankungen, vorsichtig sein. Hierbei gilt es, die Hygieneregeln einzuhalten und entsprechend achtsam durchs Leben zu gehen. Regeln, die man ohnehin einhalten sollte. Das geht jedoch ganz klar auch ohne zwanzig Liter Sterillium im Vorratsschrank.

Fazit: Wir werden alle sterben. Vermutlich aber der Großteil von uns nicht am Coronavirus. Darauf zu achten, dass wir Fakten statt Fiktion verbreiten und aufeinander Rücksicht nehmen ist aber generell nie ein Schaden. Auf eine gute Gesundheit!

 

Diesen Artikel schrieben wir mit bestem Wissen und Gewissen und mit den Informationen, die uns vorliegen. Verschwörungstheorien konnten wir bislang nicht bestätigen.

46 Kommentare zu Coronavirus: Hysterie oder berechtigte Angst?

»Wir alle haben das Bedürfnis, uns als Teil der Natur zu begreifen.« Plötzlich Gänsevater Michael Quetting im Interview

Michael Quetting (44), Laborleiter am Max-Planck-Institut in Radolfzell, führte ein Forschungsprojekt mit Graugänsen durch. Doch was als Tierversuch geplant war, endete für ihn in einer einzigartigen Lebenserfahrung, bei der er…

Michael Quetting (44), Laborleiter am Max-Planck-Institut in Radolfzell, führte ein Forschungsprojekt mit Graugänsen durch. Doch was als Tierversuch geplant war, endete für ihn in einer einzigartigen Lebenserfahrung, bei der er zu sich selbst zurückfand und sich wieder als Teil der ihn umgebenden Natur begriff. In seinem Buch Plötzlich Gänsevater, das als Spiegel-Bestseller gelistet ist, beschreibt er die Erlebnisse mit den Graugänsen, angefangen bei der Geschichte von Nils Holgersson, die er den Gänsen noch im Ei vorliest, bis hin zur Entlassung seiner Schützlinge in die Freiheit.

Ich habe den sympathischen Autor im Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell getroffen und mit ihm über seine Erfahrungen gesprochen, über sein Ankommen bei sich selbst, über Tierversuche und über sein neues Buch.

Cat: Micha, kannst du mir vielleicht erstmal das Projekt ganz kurz skizzieren?

Michael Quetting: Bei uns dreht sich alles um Tierwanderung. Das können auch andere Tiere als Vögel sein, zum Beispiel Aale, die von Schottland nach Nordamerika schwimmen. Wir haben uns damals sehr für Vögel interessiert und vor allem für eine neue Generation von Datenloggern. Durch diese aufkommende Handynutzung wird die Sensorik total günstig, beispielsweise Beschleunigungs-, Lage- oder GPS-Sensoren. Also dachten wir, wenn die so günstig sind, packen wir die auf ein Messgerät, so streichholzschachtelgroß, und schauen, ob wir diese Daten auswerten können, wenn wir das Gerät einem Tier, in unserem Fall einem Vogel, auf den Rücken binden.

Um welche Daten geht es da genau?

Beispielsweise um Windgeschwindigkeit oder -richtung. Wenn jetzt zum Beispiel ein Bergsteiger im Himalaya in einem Basislager sitzt, kann er auf unserer Animal-Tracker-App sehen, die Streifengans Schorschi fliegt gerade an Annapurna vorbei auf 7.000 Meter, dann könnte er die Livedaten von Schorschi abfragen und wüsste dann, wie die Windgeschwindigkeit da oben ist. Im Moment weiß niemand, wie der Wind 2.000 Meter über Radolfzell ist, das kann man bisher nur näherungsweise bestimmen.

Was ist das denn für eine App? Kann die jeder runterladen?

Mit der App Animal Tracker kann jeder besenderte Tiere melden und deren Migrationsroute nachvollziehen. Und ja, jeder kann sie runterladen, sie ist gratis. (Anmerkung Cat: Ich habe die App am Abend nach dem Interview getestet und bin total begeistert. Es ist absolut spannend zu sehen, wie weit manche Vögel fliegen, aber auch die Routen von bestimmten Säugetieren kann man mit der App nachvollziehen.)

Flugroute eines Steinadlers in der App Animal Tracker. Foto: Cat

Auf Facebook habe ich gelesen, dass man dir vorwirft, es sei ethisch nicht korrekt gewesen, was ihr gemacht habt, weil ihr der Gänsemutter ihre Eier weggenommen habt. Wie stehst du dazu?

Das ist definitiv so, es ist ethisch wahrscheinlich nicht korrekt. Es war als Tierversuch geplant, aufgeschrieben, eingereicht und von der Ethikkommission in Freiburg als Tierversuch genehmigt. In erster Linie war es ein Forschungsprojekt zur Gewinnung von wissenschaftlichen Daten und die Tiere waren Forschungsplattformen, fliegende Messplattformen, reduziert gesagt. Da war erstmal nichts mit knuffigen Gänsekindern und so, das kam alles erst später. Die Prioritäten haben sich total verschoben. Zum Schluss war es Gänsefamilie mit Gänsevater mit Nebenbeiwerk wissenschaftliches Experiment.

Es gibt andere Versuchsleiter, die sagen, nach Abschluss des Experiments sind die Tiere zu euthanasieren, weil sie keine Möglichkeit mehr haben, sich in der Natur zurechtzufinden. Bei mir war das von Anfang an eine Bedingung. Ich habe gesagt, ich mache das nur, wenn die Tiere nachher in die Freiheit entlassen werden. Egal, was das für die bedeutet. Die Chance, dass eine geprägte Graugans in der Freiheit zurechtkommt, ist natürlich geringer als wenn sie dort groß wird. Es lauern einfach viele Gefahren da draußen. Die Gans kennt dann keine Angst vor Füchsen und weiß auch nicht, wie sie sich verhalten muss, damit der Fuchs sie nachts nicht frisst. Klar, das ist in ihrem genetischen Programm schon auch verankert, aber durch die Prägung haben sie definitiv einen Nachteil.

Foto: Michael Quetting

Woher hattest du denn diese Eier? Ich meine, was wäre ansonsten mit den Küken passiert?

Die Eier waren von einem Züchter in Norddeutschland.

Wozu züchtet er die?

Die Eier sind eine Delikatesse.

Das heißt, du hast den Gänsen ja eigentlich das Leben gerettet, oder?

Im Prinzip schon, ja.

Warum hast du das bisher noch nie so kommuniziert, wenn der Vorwurf kam? Das würde das Argument ja entkräften, schließlich hast du dem Muttertier dann gar nicht die Eier weggenommen.

Es ist mir einfach egal, es interessiert mich nicht. Den hardcore-militanten PETA-Freaks kannst du eh erzählen, was du willst.

Ja, da gibt’s vermutlich ein paar sehr dogmatische Exemplare. Du hast aber sicher auch schon vielen Gänsen das Leben gerettet, weil du sie jetzt nicht mehr isst, oder?  

(lacht) Ja, wahrscheinlich. Ich habe halt eine sehr intensive, persönliche Beziehung zu ihnen aufgebaut.

Aber nicht, weil du sagst, sie sind besonders intelligent oder irgendwas, warum man sie nicht mehr essen sollte.

Nein, Quatsch, es ist total bigottes Verhalten! Es gibt keinen Grund, warum ich keine Gänse esse, aber Rinder oder Schweine. Ich kann kein rationales Argument anführen, wo ich sagen würde, ich esse keine Gänse, weil… Wobei es natürlich immer noch mehr Sinn macht, eine Wildgans zu essen als ein Schwein aus Massentierhaltung. Dann lieber eine Graugans, die irgendein Jäger schießt.

Da hast du vermutlich Recht. Aber kommen wir zurück zu deinem Projekt. Wie sah so ein normaler Arbeitstag aus während des Projekts?

Eigentlich war es kein richtiger Arbeitstag. Ich musste gegen halb fünf oder fünf aufstehen und ins Bett ging es wieder, wenn es dunkel wurde. Der Tag war schon relativ lang.

Aber obwohl der Tag auf seine Art so stressig war, bist du doch in eine neue Welt eingetaucht, ganz ohne Computer, Menschen und den Stress, den man sonst so hat. Ich glaube, heute nennt man das Detox.

Jaja, auf jeden Fall, das war eine sehr besinnliche Zeit, in der man bei sich selber ankommen und in sich reinschauen konnte. Notgedrungen natürlich.

Hat sich das Ganze auf dein Privatleben ausgewirkt?

Ich hatte zu der Zeit eigentlich kein Privatleben. Meine Kinder kamen dann schon nach den ersten zwei, drei Wochen mal am Wochenende und haben sogar da übernachtet. Die ersten Wochen wollte ich aber wirklich niemanden sehen, damit die Gänse sich auf mich fokussieren.

Das ist sicher auch nicht so leicht, wenn man sein Privatleben für so ein Projekt vollständig aufgibt. Was war denn ansonsten die größte Herausforderung für dich?

Das ist eine gute Frage. Es gab viele Herausforderungen, aber ich glaube, die größte war, sich überhaupt auf das Ganze einzulassen. Wenn du dich nicht darauf einlässt, funktioniert es nicht. Wenn du denkst, ich mach‘ das jetzt einfach mal wie so einen normalen Arbeitstag, ich reiße acht Stunden runter und geh‘ dann wieder heim, das funktioniert halt nicht. Dein Leben ist einfach ganz anders in diesen drei Monaten.

Ja, das glaube ich dir, aber es gab ja sicher auch viele schöne Momente. Was war dein schönstes Erlebnis während des Projekts? 

Es gab viele schöne Erlebnisse. Aber ich glaube, die schönsten Erlebnisse waren schon, die Gänse aus dem Brutautomat rauszuholen, sie das erste Mal anzufassen, diesen Kontakt herzustellen und natürlich das erste Mal mit ihnen zu fliegen, das war schon sehr beeindruckend.

Foto: Michael Quetting

 Sicher auch, dass sie dann wieder mit dir gelandet sind.

Genau, es sind halt sehr soziale Tiere. Die wissen genau, dass sie dich da nicht verlieren dürfen.

Aber nach und nach waren sie ja dann irgendwann alle weg. Machst du dir manchmal Gedanken, was aus ihnen geworden sein könnte oder weißt du es sogar?

Nein, wissen tu ich das nicht. Von zwei weiß ich es, weil sie jetzt in einem Tierpark leben und einen hat man mal gesehen mit seiner eigenen Familie.

Woran erkennt man deine Gänse denn?

Die sind beringt, es gibt nicht so viele Graugänse, die beringt sind. Die Frau, die die Gans gesehen hat, hat sie fotografiert und auf dem Foto konnte man die Nummer auf dem Ring lesen.

Dann können wir ja in Zukunft Ausschau nach ihnen halten. Inwiefern hat die Zeit mit den Gänsen so rückblickend dein Leben oder dich selbst verändert?

Zum einen war das der Abschluss einer relativ schwierigen Zeit damals mit meiner Scheidung, da war das schon cool, mal drei Monate zu haben, in denen man sich nur um sich selber und um die Tiere kümmern muss. Aber auch, dass man in der Natur sein und bei sich selber ankommen kann. Da hat sich in gewisser Weise der Kreis geschlossen. Andererseits ist es natürlich auch so, wenn du mal so nah mit und in der Natur lebst für ein paar Wochen, dann wird dir auch bewusst, dass du einfach ein Teil von diesem großen Ganzen bist, dann öffnet sich dein Blick für andere Sachen, die du sonst gar nicht mehr wahrnimmst.

Was zum Beispiel?

Keine Ahnung, beispielsweise Insekten. Oder dass die Sonne aufgeht und dich wärmt, dass um dich herum alles lebt, dass es ganz viele soziale Systeme gibt, die da miteinander interagieren, dass Tiere Beziehungen untereinander haben, wie dieses Fasanenpaar, das ich in meinem Buch erwähnt habe, dass es aber auch so klassische Beziehungen sind, wie dass er immer rausläuft und guckt, ob die Luft rein ist und sie dann hinterherläuft. Solche Sachen halt.

Was würdest du denn Menschen, die diese Erfahrung nicht gemacht haben, mit auf den Weg geben?

Mit auf den Weg geben würde ich denen, dass es ganz wichtig ist, dass man sich Zeiten für sich selber schafft, um sich selber anzuschauen, um in Kontakt mit sich selber zu kommen. Viele Menschen sind überhaupt nicht mehr im Kontakt mit sich selber. Diese Bedürfnisbefriedigung liegt ja immer im Außen. Der Mensch versucht, seine Defizite dadurch zu befriedigen, dass er immer im Außen ist. Aber die eigentliche Zufriedenheit kriegt man nicht im Außen. Die kriegst du nur, wenn du nach innen schaust.

Foto: Michael Quetting

Peter Wohlleben hat ja auch diesen Bestseller geschrieben, Das geheime Leben der Bäume. Was glaubst du, warum sind diese Bücher, die sich mit Natur beschäftigen, gerade so erfolgreich?

Bedingt durch diese schnelllebige Internet-Informationsflutwelt, die dich rein kognitiv schon total überlädt, ist dieses Bedürfnis danach, sich als Teil der Natur oder eines universellen Systems zu begreifen, immer größer geworden. Das ist ja archaisch tief in jedem von uns verwurzelt. So wie andere Grundbedürfnisse des menschlichen Seins, wie der Trieb sich fortzupflanzen oder auch einfach sich geliebt zu fühlen.

Apropos Fortpflanzung, welche Gemeinsamkeiten gibt es zwischen der Erziehung von Menschen- und Gänsekindern?

Oh, da gibt’s einige. Auf beide musst du dich einlassen, du darfst nichts anderes nebenher machen. Die zeigen dir schon, wo die Musik spielt. Die tollen Sachen, die du erleben kannst, mit Menschen- oder Tierkindern, die entstehen erst, wenn du dich drauf einlässt. Man kann Gänsekindern natürlich auch nur bedingt Grenzen setzen und bestimmte Sachen, die einen nerven, wie diese Kackerei oder so, das kannst du ihnen nicht abgewöhnen, das machen die halt. Die Möglichkeiten sind begrenzt.

Nils Holgersson lebt ja auch eine Zeitlang mit Gänsen zusammen. Den Spitznamen bekommst du also sicher sehr oft. Nervt der dich schon?

Das kommt daher, dass ich den Gänsen, als sie noch im Ei waren, immer aus Nils Holgersson vorgelesen habe. Das hab‘ ich halt blöderweise mal gesagt und seitdem sagt das irgendwie jeder. Also es nervt mich eigentlich nicht, ich finde die Geschichte ja ganz nett.

Hast du schon ein neues Buch geplant?

Ja schon, aber ich habe noch keinen Verlag gefunden. Ich habe das zweite Buch deswegen geschrieben, weil ich einer gewissen Bevölkerungsschicht mal die Augen öffnen wollte. Das wäre auch definitiv mein letztes Buch in die Richtung gewesen.

Was hast du denn geschrieben oder ist das geheim?

Nee, gar nicht. Bedingt durch die Ehe mit einer Pferdenärrin, deren Lebensinhalt ausschließlich aus der Liebe und dem Umgang mit Pferden und anderen Tieren bestand und eben durch diese Gänsegeschichte habe ich viel mehr Einblick in Tier-Mensch-Beziehungen bekommen. Wie kann sowas aussehen und was passiert da? Dann wird dir erstmal bewusst, wie krank solche Tier-Mensch-Beziehungen oft sind, obwohl die meisten Leute denken, sie tun alles für ihr Tier. Guck dir mal die vielen Reiterinnen an, die ihr Pferd vierundzwanzig Stunden am Tag in eine enge Box stellen, in der es sich kaum umdrehen kann, holen es höchstens einmal am Tag für eine halbe Stunde raus, sitzen drauf und pesen durchs Gelände. Und dann wundern sie sich, dass ihr Pferd krank wird. Weil es den ganzen Tag in einer engen Box steht und aufgeschütteltes Heu fressen muss, von dem es eine Staublunge bekommt. Ach, da gibt es zigtausend Beispiele.

Find ich ein super Thema und bin gespannt darauf. 

Vielen Dank, Micha, für das schöne und interessante Interview und dafür, dass mich ein Buch endlich mal wieder in seinen Bann gezogen hat!

Plötzlich Gänsevater macht Wissenschaft emotional und zeigt uns, wie grenzen- und bedingungslos Liebe sein kann. Das Buch lässt uns träumen und abtauchen, es lässt uns staunen, lachen, aber auch weinen. Und das Wichtigste: es lässt uns für einen Moment den Atem anhalten.

6 Kommentare zu »Wir alle haben das Bedürfnis, uns als Teil der Natur zu begreifen.« Plötzlich Gänsevater Michael Quetting im Interview

Mobilität von Morgen: Der Faktor Gewicht

Ein Beitrag nur über Fahrzeuggewichte und das schon zu Beginn dieser Kolumne? Ja, denn egal welche Antriebskonzepte sich in Zukunft durchsetzen werden, Autos müssen deutlich leichter und somit ressourcenschonender werden. Um…

Ein Beitrag nur über Fahrzeuggewichte und das schon zu Beginn dieser Kolumne? Ja, denn egal welche Antriebskonzepte sich in Zukunft durchsetzen werden, Autos müssen deutlich leichter und somit ressourcenschonender werden.

Um Gewicht in Bewegung zu setzen braucht man Energie, das ist beim Auto nicht anders. Physik lässt sich nicht aushebeln und daher gilt immer folgendes: Je schwerer ein Auto ist, desto mehr Energie wird benötigt um es in Bewegung zu setzen. Somit lässt sich alleine durch Gewichtsoptimierung schon heute vieles richtig machen.

Gewichtszunahme in den letzten Jahrzehnten

Moderne Autos sind oft doppelt so schwer wie ihre Urahnen, dies liegt zu einem hohen Anteil an der Tatsache, dass Autos mittlerweile enorm sicher geworden sind. Dimensionierung und Steifigkeit bringen notwendigerweise einfach einen höheren Materialverbrauch mit sich. Zudem möchte heute niemand mehr wichtige Sicherheitseinheiten wie Airbags oder Sicherheitsgurte in seinem Auto missen. All das braucht auch Platz und bringt Gewicht mit sich.

Trotzdem schaffen es heute immer mehr Kleinwagen ihr Gewicht wieder unter einer Tonne zu halten. Da aber nicht jeder mit einem Klein- oder Kompaktwagen seine Bedürfnisse abdecken kann – sei es durch eine größere Familie oder weil oft viel transportiert werden muss – kommt es zwangsweise zum Mehrgewicht.

Mehrgewicht durch Extras

Dennoch ist bei modernen Autos viel Einsparungspotential vorhanden. Ein großer Teil des Mehrgewichts lässt sich nämlich mit einem Wort beschreiben: Luxus. Und dieser wird beim Autokauf definitiv unterschätzt. Dabei ist es durchaus möglich, alleine mit Zusatzausstattung das Fahrzeuggewicht um bis zu eine halbe Tonne zu erhöhen. Gewicht, das im Betrieb eben auch in Bewegung gesetzt werden möchte.

Große Räder liegen momentan im Trend. Dabei schwankt hier die Gewichtszunahme im Vergleich zur ausreichenden Beräderung zwischen 22 und 40 Kilo. Weitere 40 Kilo zusätzlich holt man sich mit einem Glasdach an Bord. Eine elektrisch einfahrbare Anhängerkupplung bringt satte 80 Kilo auf die Waage. Der Rest summiert sich auch recht schnell: Lederausstattung, Musikanlage, dritte Sitzreihe, Navi und vieles mehr.

Hinzu kommen Steuergeräte, Sensoren und Kameras für diverse Assistenzsysteme wie Spurhalteassistent, Regensensor und Toter-Winkel-Warner. Dieser Punkt wird in den nächsten Jahren noch dramatisch ansteigen, wenn Autos alleine fahren sollen. Dabei wird der Elektronikschrott bald zum nächsten Problem. Alleine das elektrische Bordnetz eines durchschnittlichen Wagens wiegt etwa 40 Kilo. Etwa zwei Kilometer Kabel sind dabei in Summe verbaut. In besonders luxuriösen Fahrzeugen arbeiten im Innenraum zusätzlich um die 100 Stellmotoren, etwa für die elektrische Verstellung von Sitzen, Lenkrad oder Kopfstützen. 1.500 Watt Dauerleistung sind dabei keine Seltenheit und dieser Strom muss im Motor erst einmal produziert werden.

Der Trend SUV

Der immer weiter zunehmende Trend zum SUV ist Umweltschützern ein besonderer Dorn im Auge. SUV ist die Abkürzung für „Sport Utility Vehicle“. Zusammengefasst lässt sich dieses als Geländewagen ohne Geländeeigenschaften bezeichnen. Was nun schon ziemlich fragwürdig klingt, wird jedoch immer häufiger als Rechtfertigung heran gezogen, wenn es um die Frage nach einem eventuellen Mehrverbrauch gehen soll. Im Gegensatz zu früheren Exemplaren werden nämlich Allradantrieb, Leiterramen, Differentiale und viele weitere Extras nicht mehr zwangsläufig verbaut, was einerseits Gewicht sparen soll, gleichzeitig den Nutzen aber ad absurdum führt.

SUV bauen also nicht mehr auf speziellen und damit schweren Fahrgestellen auf. Vielmehr werden – stark vereinfacht ausgedrückt – normalen PKW andere Karosserien aufgedrückt. Dieses Umstyling macht leicht 300 Kilo Mehrgewicht aus, denn diese Autogattung lebt vom üppigen und bulligen Erscheinungsbild. Hinzu kommen größere und breitere Räder, was sich im erhöhten Rollwiderstand auswirkt – und eine höhere Bodenfreiheit erhöht den Luftwiderstand. Dass ein SUV also nicht mehr als seine technikspendende Basis verbraucht ist daher physikalisch schwer zu begründen. Aus rein optischen Gründen nehmen wir damit einen deutlichen Mehrverbrauch in der Produktion sowie im täglichen Betrieb einfach hin.

Kritische Praxiserfahrungen entzaubern gerne auch den Weltretter Hybridauto, denn hier macht der Akku den Löwenanteil an Mehrgewicht aus. Ist dieser leer, schleppt man Ballast mit sich herum. Das ist aber eine größere Geschichte, der in einem anderen Beitrag mehr Raum gewidmet werden wird.

Leichtbau in der Autoindustrie

Autos müssen also in Zukunft unabhängig vom Antriebskonzept deutlich leichter werden, um weniger Ressourcen zu verbrauchen. Tatsächlich tun sie das auch und werden sogar wieder kleiner, wenn auch nur ein paar Zentimeter. Jedoch sind die Sprünge nach unten vor allem in jenen Fahrzeugklassen vorbildlich, welche auf sehr schwerem Niveau gestartet sind. 300 Kilo weniger pro Fahrzeug hören sich erst einmal gut an. In Relation zu einem verbleibenden Gewicht von über zwei Tonnen relativiert sich dieser Wert jedoch wieder.

Es bleibt jedoch unwahrscheinlich, dass mittelfristig weitere Gewichtsreduktionen durch deutliche Schrumpfung der Abmessungen und den merklichen Verzicht von Komfort erfolgen werden. Der Wechsel auf leichtere Materialien ist hier vorprogrammiert und erzeugt wieder eine Verschiebung des Energieaufwands vom Fahrzeugbetrieb in die Produktion, hierzu gibt es im Laufe dieser Kolumne auch noch mehr zu lesen. Nur negativ darf man das jedoch nicht sehen. Mit immer besseren Computersimulationen lassen sich die positiven Stoffeigenschaften sehr gut kombinieren und dadurch kleiner dimensionieren.

Gut geschummelt ist halb gewonnen

Aktuell greift man jedoch für schöne Werte auf dem Papier gerne in die Trickkiste. Das Leergewicht muss im fahrbereiten Zustand, also inklusive allen Betriebsflüssigkeiten inklusive Tank angeben werden. Letzterer wird einfach kleiner dimensioniert und durch die geringere Füllmenge können so gut 30 Kilo eingespart werden. Schon lässt sich damit werben, dass das neueste Modell leichter wurde. Zudem kostet der größere und damit praxistauglichere Tank nun zusätzlich Aufpreis. Eine einfache Gewinnoptimierung, denn geordert wird dieser vom Kunden natürlich. An der Serienausstattung wird ebenfalls gespart, wenn auch der Verzicht von Ersatzrad und Wagenheber in Relation zur Nutzung und Absicherung durch Pannendienste tatsächlich etwas Sinn macht.

Zusammengefasst macht das Mehrgewicht bereits ohne Berücksichtigung der Produktion einen merklichen aber vor allem beeinflussbaren Unterschied aus, hauptsächlich beim Anfahren bzw. Beschleunigen. Die Faustregel, je 100 Kilo Mehrgewicht benötigt man einen halben Liter Treibstoff auf 100 Kilometer zusätzlich, hat jedoch ausgedient. 0,3 Liter sind heute im Schnitt realistischer. Der globale Effekt ist dennoch beachtlich, immerhin fahren weltweit über eine Milliarde Autos.

Wer sich ein Auto kauft, sollte gut überlegen, welche Fahrzeuggröße er tatsächlich braucht. Zurückhaltung bei den Extras drücken den Verbrauch nochmals. Wer dann auch noch regelmäßig unnützes Gerümpel aus dem Auto räumt, statt es mit sich durch die Gegend zu fahren, der erreicht im Kleinen schon sehr viel.

2 Kommentare zu Mobilität von Morgen: Der Faktor Gewicht

Mobilität von Morgen: Zu schön, um wahr zu sein?

Politische Abhängigkeit, ölverschmutzte Ozeane und Strände, elendiges Tierleiden, Waldsterben, Ölsandendlager mitten in Städten oder in jüngster Zeit Fracking – all diese Entwicklungen heißt niemand gut, nehmen wir aber trotzdem in Kauf….

Politische Abhängigkeit, ölverschmutzte Ozeane und Strände, elendiges Tierleiden, Waldsterben, Ölsandendlager mitten in Städten oder in jüngster Zeit Fracking – all diese Entwicklungen heißt niemand gut, nehmen wir aber trotzdem in Kauf. Seit man sich Gedanken über den Schutz der Umwelt – in diesem Fall hinsichtlich unseres Erdölverbrauchs – macht, fragt man sich gleichzeitig auch, ob Autofahren überhaupt noch vertretbar ist. Nicht selten bleibt einem kaum eine Wahl oder nur eine sehr unkomfortable. Da kommen uns Schlagwörter wie umweltfreundliche, nachhaltige, grüne oder gar CO2-freie Mobilität gerade recht. Klingt zu schön um war zu sein. Ist es leider auch.

Grundsätzlich müssen wir diese Begriffe vom Marketing befreien. Der Natur ist es völlig egal, dass wir uns mit einem System selbst geißeln und täglich von A nach B und wieder zurück müssen. Dabei kann das Fahren an sich schon nicht umweltfreundlich sein. Das wäre höchstens der Fall, wenn Autos aus dem Boden wachsen, im Betrieb Sauerstoff erzeugen und sich irgendwann selbst kompostieren würden. Es geht also um Schadensbegrenzung bei der Wahl des Fahrzeugs.

In dieser Kolumne wird das komplexe Kapitel Verkehr aufgefächert und einzelne Aspekte werden genauer beleuchtet. Unter den Themen finden sich tatsächliche Nachhaltigkeit, Biosprit oder warum die aktuelle Elektromobilität der Umwelt schadet statt nützt. Außerdem werden fragwürdige politische und wirtschaftliche Vorgaben und Entscheidungen näher beleuchtet. Auch die Auswirkungen der vermeidbaren Kurzlebigkeit und die reine Fokussierung auf den Verbrauch beziehungsweise den damit direkt zusammenhängenden CO2-Ausstoß schaffen im Ganzen betrachtet mehr Probleme und Schadstoffe als sie bekämpfen sollen.

Einige Aspekte bergen durchaus Diskussionsstoff – an Zahlen und ganzheitlichen Betrachtungen wird es nicht mangeln. Die Betrachtung der Komplexität des Produktes Auto von der Rohstoffgewinnung über Produktion, Betrieb und Wartung bis hin zur Entsorgung birgt belegbare Überraschungen. Gesamt betrachtet etwa ist ein Hummer (SUV) für die Umwelt weniger schädlich als das Vorzeigeobjekt Hybridauto. Wir betrachten jedoch immer nur den Verbrauch und CO2-Ausstoß, den ein Auto im Betrieb erzeugt. Das ist vergleichbar damit, als würde man bei der Klimabelastung des Fleischkonsums nur den Energieaufwand des Schlachtens berücksichtigen. Nur noch etwa 15 Prozent des Ressourcenverbrauchs beim Auto fällt heute auf den Betrieb in Form von Treibstoff. Die Ersparnis im Betrieb verschiebt sich seit einigen Jahren auf die Produktion.

Lässt man lokale Gesundheitsnachteile beiseite, fährt man am umweltfreundlichsten sein eigenes oder ein anderes bereits produziertes Auto (Gebrauchtwagen) so lange wie möglich weiter. Im Idealfall ist dieses besonders kompakt, leicht und wird von mehreren Personen genutzt. Mittelfristig ist auch Erdgas klar vorzuziehen, da es noch mehr als einige Jahre dauern wird, bis die Elektromobilität tatsächlich sauberer als konventionelle Antriebe wird.

Alle neugierig Gemachten sowie bisher skeptisch Gebliebenen können sich jedenfalls auf eine interessante Kolumne und auf tiefer gehende Informationen freuen.

 

3 Kommentare zu Mobilität von Morgen: Zu schön, um wahr zu sein?

Symbolisches Tierblut auf meiner Haut: Alternatives Einkaufen (Teil 3)

Nach dem ersten Teil der Serie „Symbolisches Tierblut auf meiner Haut“, der einen ersten Einblick in den derzeitigen Stand betreffend Tierversuche und Kosmetik gegeben hat, sowie den zweiten Teil, der sich…

Nach dem ersten Teil der Serie „Symbolisches Tierblut auf meiner Haut“, der einen ersten Einblick in den derzeitigen Stand betreffend Tierversuche und Kosmetik gegeben hat, sowie den zweiten Teil, der sich damit auseinander setzt, wie Unternehmen versuchen zu verschleiern, dass für ihre Produkte Tierversuche durchgeführt wurden, folgt nun der dritte und letzte Teil dieser Artikelserie.

In der Vergangenheit haben bereits etliche Tierversuche für diverse Stoffe stattgefunden, deshalb ist es kaum möglich, ein Produkt zu entwickeln, für dessen Rohstoffe garantiert noch nie ein Tier leiden musste. Bei den folgenden Siegeln geht es also weniger darum, absolut ewige Tierversuchsfreiheit zu versichern, als mehr einen Stichtag festzulegen, ab dem man dies auch wirklich zu 100 Prozent garantieren kann.

Ich möchte hier nun Auszeichnungen aufzählen, die sich umfassend mit der Problematik auseinandersetzen und dank denen man „beruhigter“ einkaufen kann, soweit man sich mit deren Kriterien identifizieren kann: The Leaping Bunny, die Positivliste beziehungsweise Marke des Deutschen Tierschutzbundes e.V. / IHTN und die Positivliste von PETA Deutschland e.V. (beziehungsweise PETA USA).

The Leaping Bunny

leaping_bunny_DSC_0051

Eines der strengsten, wenn nicht das strengste aller Siegel. Wie der Name schon verrät, ist auf diesem internationalen Siegel ein springender Hase zu sehen, umgeben von zwei Balken und zwei Sternen. Hinter der Kennzeichnung stecken mehrere internationale Tierschutzorganisationen, die sich zusammengeschlossen haben. Es wird weltweit die gesamte Produktpalette (!) der jeweiligen zertifizierten Unternehmen geprüft – sobald auch nur ein Produkt in einem Land, welches Tierversuche verlangt, vertrieben wird, darf es diese Auszeichnung nicht mehr tragen. Dies bezieht sich – im Gegensatz zum EU-Gesetz – auf alle Inhaltsstoffe (nicht nur jene, die offiziell als Kosmetik definiert werden). Deshalb gibt es diese Auszeichnung auch für Haushaltsprodukte. Beim Leaping Bunny-Siegel dürfen die Firmen den Stichtag der Tierversuchsfreiheit selbst wählen, ab diesem müssen die Produkte zu 100 Prozent tierversuchsfrei sein (gültig für alle Lieferanten, Labore, Inhaltsstoffe und den Vertrieb in sämtlichen Ländern). Auch muss ein Kontrollsystem in die Lieferkette eingebaut werden, welches regelmäßig von einem unabhängigen Kontrollinstitut überprüft wird. Kommt ein Unternehmen gänzlich ohne Tierversuche aus, gehört aber einem Mutterkonzern an, der dies nicht tut, darf das Siegel verwendet werden, das entsprechende Unternehmen wird aber auf der Online-Shopping-Liste  beziehungsweise in der PDF-Shopping-Liste  gesondert (mit einem Quadrat) gekennzeichnet, wie zum Beispiel The Body Shop, welcher zu L’Oréal gehört. Anmerken möchte ich hier auch, dass die Listen leider nicht ganz aktuell sind – ich habe bei meiner Recherche mehr Produkte mit dieser Auszeichnung in Österreich gesehen, als hier angegeben.

IHTN / Deutscher Tierschutzbund e.V.

IHTN_Hase
Auf diesem Zeichen ist ein Hase mit schützender Hand zu sehen. Verwendete Inhaltsstoffe dürfen ab dem 1. Januar 1979 nicht mehr an Tieren getestet worden sein. Wurde nach diesem Datum ein Tierversuch durchgeführt, darf das Unternehmen in keinem Zusammenhang mit der entsprechenden Firma stehen. Allgemein ist keine wirtschaftliche Abhängigkeit zu Firmen erlaubt, die Tierversuche durchführen oder in Auftrag geben. Auch dürfen ausgezeichnete Firmen ihre Produkte nicht in Länder exportieren, wenn damit Tierversuche verbunden sind. Sobald die Gewinnung eines Stoffes mit Tierquälerei, Ausrottung oder der Tötung von Tieren zu tun hat, darf dieser ebenso nicht mehr verwendet werden. Um dieses Siegel zu erhalten, muss eine rechtsverbindliche Erklärung abgegeben werden, dass die Standards eingehalten werden. Bei Falschangaben droht eine Strafe von bis zu 10.000 Euro. Anmerken möchte ich, dass dieses Logo nicht alle Firmen, die auf der Positivliste stehen, auf ihren Produkten tragen – eine Firmenliste findet ihr hier.

PETA-Positivliste

PETA Hase
Um auf dieser Liste aufscheinen zu dürfen beziehungsweise den PETA-Hasen tragen zu dürfen, müssen die Firmen schriftlich versichern, dass sie weltweit keine Tierversuche bei Endprodukten oder für Rohstoffe durchführen oder durchführen lassen. Auch dürfen sie ihre Produkte nicht in Ländern vermarkten, in denen Tierversuche gesetzlich vorgeschrieben sind. Anders formuliert heißt es auf der Website auch, dass Firmen klar Stellung gegen Tierversuche beziehen müssen. Verdutzt hat mich persönlich dann allerdings, dass auf einigen Produkten der selben Marke der PETA-Hase abgebildet ist, auf anderen nicht… ?

Andere Auszeichnungen

BDIH_Siegel
Auch das BDIH-Siegel hat zwar in seinen Richtlinien kurz mit drei Sätzen das Verbot von Tierversuchen beziehungsweise Rohstoffen, die nach 31. Dezember 1997 getestet wurden, angeführt, wird aber zum Teil auch von Kosmetikfirmen mitentwickelt. Ebenso beziehen sich die Richtlinien leider auch nur auf kosmetische Rohstoffe, sind also in diesem Punkt nicht weiter entwickelt als das EU-Gesetz. Ende 2013 gab es eine Presseaussendung, in der es hieß, die Tierversuchsfreiheit gelte weltweit und die „Konformität mit dem BDIH-Siegel sei bei einem Export nach China gefährdet“ – bis jetzt wurden aber weder die Richtlinien auf der Homepage aktualisiert, noch gab es meines Wissens nach eine weitere Aussendung dieses Thema betreffend.

keine empfehlung veganblume natrue eco cert
Andere Logos, wie zum Beispiel die Veganblume oder das NATRUE-Label, möchte ich nicht empfehlen, da diesen Auszeichnungen keine ausgefeilten Regelungen für Tierversuche zugrunde liegen und diese ihren Schwerpunkt in anderen Bereichen haben. Das NATRUE-Label verweist beim Thema Tierversuche beispielsweise auf das EU-Recht (Problematik „Chemikalien“), welches lediglich global ausgeweitet wird – auch wird dieses Siegel meist einzeln für jedes Produkt einer Firma vergeben, hat also nichts mit der allgemeinen Firmenpolitik zu tun. Auch die Natur- bzw. Biokosmetik-Auszeichnung ECOCERT verweist beim Thema Tierversuche in einem einzigen kurzen Satz lediglich auf das EU-Gesetz mit all seinen Schlupflöchern.

Wie umständlich wird Shopping ab jetzt, wenn ich die Tierschutz-Logos berücksichtigen möchte? Kann ich noch in „normalen“ Geschäften einkaufen gehen?

Ja, entsprechende Produkte sind beispielsweise bei dm, Müller, in anderen Drogeriemärkten, Parfümerien oder Reformhäusern und Bio-Supermärkten zu finden. Nach einer kurzen Gewöhnungsphase hat man auch schnell herausgefunden, welche Produkte man wo kaufen kann. Je nachdem, welchen Siegeln man persönlich den Vorzug geben möchte, wird es leichter oder etwas aufwendiger, entsprechende Artikel zu finden.

Weil es im Wirr-Warr der Logos meine liebste Auszeichnung ist, möchte ich euch noch einige damit ausgezeichnete Firmen, deren Produktsortimente und vermarktende Geschäfte auflisten:

Firmen mit Leaping-Bunny-Logo

firmen leaping bunny logo

Urtekram: Verschiedene Shampoo-Varianten, Balsam, Bodylotion, Duschgel, Handseife, Deo, Handcreme, Tagescreme, Body-Scrub, Lippenbalsam, Body-Butter, Fußcreme, Produkte fürs Baby, Conditioner, Zahnpasta – immer größer werdendes Sortiment gesehen bei: dm, Reformhaus, in Österreich: BIPA
Santaverde: Gesichtsreinigung, Gesichtstoner, diverse Gesichtscremen, Augencreme, Gesichtsmasken, Anti-Aging-Produkte, Duschgel, Körpergel, Bodylotion, Handcreme, reines Aloe-Vera-Gel beziehungsweise -Saft – gesehen bei Marionnaud
Bulldog (Skincare For Men): Waschgel, Feuchtigkeitscremen, After Shave Balsam, Deo, Duschgel, Rasiergel und Rasiercreme – gesehen bei dm, in Österreich: BIPA
Intelligent Nutrients: Shampoo, Contitioner, Haarpflegeöl, Haarspray und -Gel, Gesichtspflegeprodukte, Körperpflege-Produkte, Lippenpflege und -gloss – gesehen im Reformhaus
Montagne Jeunesse: Gesichts- und Haarmasken, Körperpflegeprodukte – gesehen bei Müller, in Österreich: BIPA

Auch Reinigungsprodukte mit diesem Siegel sind vorhanden:
Ecover: Sämtliche Reinigungsartikel wie Scheuermilch, Bad-Reiniger, Kalk-Entferner, Allzweck-Reiniger, Bodenseife, Glas-Reiniger, WC-Reiniger, Weichspüler, Fleck-Entferner, Aktivsauerstoff-Bleiche, Woll- und Feinwaschmittel, Flüssigwaschmittel, Spülmittel und Spülmaschinen-Tabs – umfassendes Sortiment gesehen bei dm, Müller

Persönliche Erfahrungen

Geschultes Personal in einem von vier Fällen (zwei Reformhäuser, zwei Parfümerien). Beim Nachfragen erklärte mir eine Mitarbeiterin zum Beispiel stolz, dass all ihre Produkte tierversuchsfrei seien und ich keine Bedenken haben müsse – das habe sie erst auf einem Seminar gelernt. Auf mein Beharren hin fragte sie aber noch ihre Kollegin und voilá – plötzlich blieben von dem riesigen Sortiment nur noch drei Marken über, alle aber leider auch ohne Siegel… In nur einer Parfümerie erhielt ich wirklich gute und umfassende Auskunft über entsprechende Firmen. Nach der Recherche für diese Artikelserie kann ich nur sagen, dass große Firmen (bei kleinen Unternehmen mag es ja vielleicht anders sein, weil zu viel Aufwand und Kosten), die kein entsprechendes Siegel führen, leider meist auch einen Grund dafür haben.

Fazit: Augen auf!

Es fanden in den letzten Jahren genügend Tierversuche statt – es sind bereits ausreichend Stoffe erforscht, um sämtliche Artikel herstellen zu können. Ich denke, niemand kann beim heutigen Angebot sagen, dass diese Mittel „nicht funktionieren“ und weiter erforscht und verbessert werden müssen. Es würde theoretisch reichen, auf die bereits vor Jahren getesteten Inhaltsstoffe zurückzugreifen. Wenn es aber doch gänzlich neue Artikel sein sollen, sollten die Unternehmen nicht nur fortschrittlich und kreativ sein, was angebliche produktbezogene Revolutionen angeht, sondern auch die Forschung betreffend, um gänzlich auf Tierleid verzichten zu können. Auch würde ich mir wünschen, dass Unternehmen Ethik vor Profitgier stellen und gänzlich auf dubiose Märkte verzichten.

Welche tierversuchsfreien Marken und Produkte sind eure Favoriten? Und wo kauft ihr diese ein?

4 Kommentare zu Symbolisches Tierblut auf meiner Haut: Alternatives Einkaufen (Teil 3)

Symbolisches Tierblut auf meiner Haut: Märchen & Mythen (Teil 2)

Nach dem ersten Teil dieser Artikelserie – Umzingelt von Tierversuchen? – folgt nun der zweite Teil über all die Tricks und Maschen, derer sich Unternehmen bedienen, um zu vermeiden, dass die…

Nach dem ersten Teil dieser Artikelserie – Umzingelt von Tierversuchen? – folgt nun der zweite Teil über all die Tricks und Maschen, derer sich Unternehmen bedienen, um zu vermeiden, dass die Herstellung ihrer Produkte mit Tierversuchen in Zusammenhang gebracht wird.

Die Marketing-Masche

Die meisten Konzerne versuchen natürlich, das Durchführen von Tierversuchen für ihre Produkte zu verschleiern; wer möchte denn schon symbolisches Blut an seiner Haut kleben haben? Die Aussage „Dieses Unternehmen testet nicht an Tieren“ klingt zwar gut, sagt jedoch nichts aus über an Dritte übergebene Forschungsaufträge, um ein Beispiel zu nennen. Auch die Aussage „Dieses Unternehmen engagiert sich gegen Tierversuche“ heißt nicht, dass nicht irgendeine aktuelle Verbindung zu diesen besteht. Vor allem macht es stutzig, wenn als erstgelistetes Argument dazu der Punkt „Firma XY testet keine Fertigprodukte an Tieren und gibt auch keine entsprechende Tests an Dritte weiter“ angeführt wird – denn das ist Vorgabe des Gesetzes und hat mit Engagement wohl kaum zu tun.

Kreativ wird es auch, wenn es darum geht, zu begründen, warum das entsprechende Unternehmen auf keiner Positivliste (mehr dazu im dritten Teil der Artikelserie), vermerkt ist. Ein Zitat hierzu: „Die deutsche Rechtssprechung geht davon aus, dass nicht allen Verbrauchern bekannt ist, dass theoretisch jeder in der Kosmetik eingesetzte Rohstoff irgendwann einmal an irgendeinem Ort der Welt im Tierversuch getestet sein könnte. Produktaussagen wie “Ohne Tierversuche” gelten daher als Irreführung. Aus diesem Grund findet sich der Name XY auch nicht auf den positiven Listen der Tierschutzorganisationen.“ (Quelle: Blanc et Noir – Vegan Beauty Blog) Interessant. Schaffen es doch andere Unternehmen auch, auf solchen Liste aufzutauchen. „Wir versichern, dass kein Kosmetik- oder Körperpflegeprodukt bzw. deren Inhaltsstoffe an Tieren getestet wurde“, klingt auch nicht so übel, lässt der Betonung wegen allerdings darauf schließen, dass andere Produktkategorien sehr wohl getestet werden. Hier kann ich nur empfehlen, die Statements gründlich durchzulesen und kritisch zu hinterfragen. Denn der erste Eindruck ist leider oft täuschend.

Tierversuche_Statement_REACH

Des Weiteren trifft es sich für die Unternehmen nur zu gut, sich auf die Gesetzeslage und die darin enthaltene Notwendigkeit von Tests beziehen zu können. Schließlich sind doch alle nur um das menschliche Wohlergehen besorgt, für das nun eben mal Tiere herhalten müssen. Frei nach dem Motto: „Es ist leider gesetzlich so, dass Chemikalien getestet werden müssen – uns sind die Hände gebunden“. Einige Konzerne sind immerhin so ehrlich und geben ihren Standpunkt zu Tierversuchen auch offen und unverschleiert zu. Einige Statements zum Thema Tierversuche könnt ihr auf dieser Seite nachlesen: Blanc et Noir – Vegan Beauty Blog

Sinnhaftigkeit von Tierversuchen in der Kosmetik

Der Mensch ist ein „Gewohnheitstier“ und Tierversuche leider seit etlichen Jahren Standard, weil etabliert und bekannt. Sie sind aber nicht nur eine Qual für die Versuchstiere, oftmals sind sie für Menschen auch irrelevant, weil sich das Ergebnis nicht übertragen lässt. Ein anderer Körperbau, eine feinere Nase, eine andere Lebensweise – es gibt etliche Stoffe, die beim Tierversuch vielversprechend sind, bei der klinischen Prüfung am Menschen allerdings versagen. Ebenso spricht die lange Dauer der Versuchszeiträume von ein bis zwei Jahren gegen diese Anwendungen. Obgleich Tierversuche momentan oftmals noch kostengünstiger sind, ist es hoffentlich lediglich eine Frage der Zeit bis Alternativen in Serie gehen und auch diesbezüglich punkten können.

Das Traurige an der Sache ist auch, dass es Möglichkeiten gäbe, gänzlich auf Tierversuche zu verzichten. Es gibt zum Beispiel die Möglichkeit In-vitro-Verfahren („Reagenzglas-Verfahren“) zu nutzen oder die Vorgänge mit Biochips nachzuvollziehen, um nur zwei Alternativen aufzulisten. Die Vorteile der sogenannten In-vitro-Verfahren sind unter anderem die Reproduzierbarkeit, die höhere Empfindlichkeit und die Möglichkeit, Tests mit Human-Material durchzuführen. Hierbei ließen sich die Ergebnisse auch wirklich mit dem menschlichen Körper vergleichen. Auch die Anzahl der zeitgleich durchführbaren Tests wäre kaum beschränkt, die Ergebnisse lassen in etwa ein bis fünf Tage auf sich warten.

In den letzten Jahren hat sich zum Glück schon sehr viel getan, es fehlt aber leider immer wieder an Forschungsgeldern. Während die tierexperimentelle Forschung in Deutschland Gelder in Milliardenhöhe zur Verfügung hat, werden tierversuchsfreie Methoden nur mit ein paar Millionen gefördert. (Quelle: Ärzte gegen Tierversuche e.V.)

Beispiele und Zahlen

Betroffene Lebewesen sind allen voran Mäuse und Ratten, gefolgt von Kaninchen, Meerschweinchen, Hunden und Katzen, zum Teil auch bestimmte Affen-Arten – in Österreich sind zum Beispiel nur Tests an Menschenaffen verboten. Um festzustellen, ob es zu Hautirritation bei bestimmten Substanzen kommt, wird Albino-Kaninchen das Mittel auf die geschorene Rückenhaut gerieben. Auch die Auswirkungen von Stoffen unter UV-Licht werden auf der bestrahlten Haut von Mäusen, Meerschweinchen oder Kaninchen untersucht. Und obwohl es sowohl für Augen- als auch Hautreizungen Alternativmethoden ohne den Einsatz von Tieren gäbe, wurden 2013 in der EU (!) Tierversuche dafür durchgeführt.

Solange man das Leiden von Nagern und anderen Tieren aber auf nur einen Teilbereich der Anwendungsgebiete reduziert (in diesem Fall Kosmetik), möchte ich allerdings keine Behauptungen aufstellen, welcher Versuch wofür verwendet wird. Inwieweit Schleimhaut- und Augenreizungen sowie Hautverätzungen nun offiziell in den Bereich Kosmetik, Seren oder eine andere Kategorie fallen, möchte ich hier nicht beurteilen. Fakt ist, dass Tierversuche von der Grundlagenforschung über Medizin bis hin zum chemischen Gesichtspunkt reichen und europaweit (!) pro Jahr Versuche an 11,5 Millionen Tieren durchgeführt werden, während es weltweit 115 Millionen Tiere jährlich betrifft (Quelle: Cruelty Free International).

Wie ihr feststellen könnt, ob eure Lieblings-Produkte im Zusammenhang mit Tierversuchen stehen oder nicht, erfahrt ihr im dritten und letzten Artikel.

Keine Kommentare zu Symbolisches Tierblut auf meiner Haut: Märchen & Mythen (Teil 2)

Symbolisches Tierblut auf meiner Haut: Umzingelt von Tierversuchen? (Teil 1)

Mein Zugang: Nichts ahnend. An einem gemütlichen Abend saß ich in der Badewanne und weil ich nichts zu Lesen bei der Hand hatte, griff ich nach dem Duschgel in der Hoffnung, einen…

Mein Zugang: Nichts ahnend. An einem gemütlichen Abend saß ich in der Badewanne und weil ich nichts zu Lesen bei der Hand hatte, griff ich nach dem Duschgel in der Hoffnung, einen interessanten Text auf der Rückseite zu finden. Diesen habe ich dann, neben einem kurzen Marketing-Absatz und den Inhaltsstoffen, auch tatsächlich gefunden: „Hergestellt ohne Tierversuche“ stand da. Das war nicht die Art von Text, die ich erwartet hatte. Zuerst dachte ich noch, dass das in der heutigen Zeit logisch sei, die Wissenschaft müsse doch schon längst soweit sein, auf diese verzichten zu können. Leider weit gefehlt.

Die ersten Zweifel kamen auf, als ich mein zweites Duschgel – die gleiche Marke, andere Sorte – unter die Lupe nahm: „Hergestellt ohne künstliche Aromen“ stand auf dem Platz, der bei der anderen Flasche den Tierversuchen vorbehalten war. Es folgte eine langwierige und umfassende Online-Recherche zu dem Thema und die Feststellung, dass vermutlich so gut wie all meine Kosmetikprodukte mit Tierversuchen in Verbindung stehen. Was leider auf den Großteil der im Fernsehen und in den glänzenden Magazinen beworbenen Kosmetika zutrifft. Unternehmen, die gänzlich ohne Tierversuche auskommen sind offensichtlich eine Seltenheit – und entsprechende Produkte ein Glücksgriff im Drogeriemarkt-Regal oder aber eher eine gezielte Suche nach diesen. Die Liste dieser Artikel ist quasi genau das Gegenteil von bekannten und vielfach beworbenen Produkten.

Kurzer Exkurs: Geschichtliches

Die Thematik der Tierschutz-Gesetze geht bis zur Zeit vor Christi Geburt zurück, wurde aber speziell im 19. Jahrhundert vermehrt aufgegriffen, mit der Forderung, diese zu verstärken. 1930 gab es diesbezüglich bereits mehr als 700 Vereine und Organisationen in Deutschland und schließlich machten sich die Nationalsozialisten das beliebte Thema zu Nutze: Viele Pelzhändler, Mediziner und Biologen waren Juden, in deren Kultur auch das Schächten (Ausbluten) verankert war. Dieses wurde, ebenso wie sämtliche Tierexperimente, vom NS-Regime per Gesetz verboten.
Für „kriegswichtige“ Projekte und für die „Volksgesundheit“ wurden aber schon zu dieser Zeit Ausnahmen zugelassen.

Aktuelles

Seit 11. März 2013 gibt es ein neues EU-Gesetz, welches Tierversuche für kosmetische Endprodukte sowie deren Rohstoffe verbietet. Entsprechende Produkte dürfen auch nicht mehr eingeführt werden. Ein schönes Zwischenziel, bei dem es allerdings noch einige offene Fragen und Unklarheiten gibt. Rohstoffe, die ihren Anwendungspunkt beispielsweise nicht ausschließlich (!) in kosmetischen Produkten finden, gelten als Chemikalie. Und Chemikalien fallen unter die Chemikalien-Richtlinie, für die europaweit Tierversuche verlangt werden, sofern es nicht zumindest sehr ähnliche, bereits getestete Stoffe gibt, durch die eine Vorhersage der Eigenschaften möglich wird. Auch wenn ein Inhaltsstoff in den medizinischen Bereich eingeordnet werden kann, sind Tierversuche meist gesetzlich vorgeschrieben.

Ebenso dürfen Konzerne nach wie vor außerhalb Europas Tiertests für Beauty-Produkte und deren Inhaltsstoffe durchführen, solange betroffene Einzelartikel nur nicht am europäischen Markt landen. Auf der anderen Seite gibt es nämlich Länder wie China – Hongkong & Taiwan ausgenommen -, die (erneute) Tierversuche zwingend vorschreiben und auch keine anderswo bereits anerkannten Alternativmethoden akzeptieren. Dies führt nun dazu, dass sich Unternehmen entscheiden müssen, an Tieren getestete Produkte am chinesischen Markt zu verkaufen und dafür auf den europäischen zu verzichten, oder umgekehrt.

Anmerken möchte ich auch, das sich dieses EU-Gesetz lediglich auf Produkte bezieht, die nach dem 11. März 2013 auf den Markt eingeführt wurden. Alle davor erschienenen Artikel sind von der Tierversuchsfreiheit ausgeschlossen und müssen auch nicht gesondert gekennzeichnet werden. Zu guter Letzt bleibt diesbezüglich noch zu sagen, dass die Durchsetzung und Kontrolle dieses Verkaufsverbots jedem einzelnen EU-Staat obliegt, wobei davon ausgegangen werden darf, dass nicht alle die Mittel hierfür haben.

Tierversuche? Nein, danke!

Man könnte nun natürlich sagen, dass das egal ist und für das eigene (europäische) Duschgel eventuell keine Tierversuche stattgefunden haben, sofern die Inhaltsstoffe nicht auch zum Beispiel Verwendung in Waschmitteln oder ähnlichem finden und somit als Chemikalie gelten, aber so lange ein Unternehmen irgendwo auf der Welt Tierversuche für irgendetwas durchführen lässt, finanziere ich mit dem Kauf dessen Produkte auch genau dies. Tierleid und die Firmen, die diese Tests in irgendeiner Form „gut heißen“ oder als notwendig erachten, möchte ich nach Möglichkeit aber nicht unterstützen, mit keinem noch so geringen Beitrag. Es gibt Alternativen und es gibt Firmen, die ohne Tierversuche auskommen.

Mehr dazu im zweiten Teil dieser Artikelserie.

 

Quellenangaben und weitere Infos:
http://de.wikipedia.org/wiki/Tierversuch
http://www.aerzte-gegen-tierversuche.de/de/infos/kosmetik-chemikalien/118-kosmetik-und-tierversuche
http://www.tierschutzbund.de/kosmetik-positivliste.html
http://www.kontrollierte-naturkosmetik.de/richtlinie.htm
http://kosmetik.peta.de/

9 Kommentare zu Symbolisches Tierblut auf meiner Haut: Umzingelt von Tierversuchen? (Teil 1)

Kritikpunkte am Begriff „Nachhaltigkeit“

In meinem sprachwissenschaftlichen Beitrag über Nachhaltigkeit bin ich den Ursprüngen des Begriffes ein wenig auf den Grund gegangen. Heute möchte ich einige Stimmen zu Wort kommen lassen, die auf der…

In meinem sprachwissenschaftlichen Beitrag über Nachhaltigkeit bin ich den Ursprüngen des Begriffes ein wenig auf den Grund gegangen. Heute möchte ich einige Stimmen zu Wort kommen lassen, die auf der sprachlichen Ebene einer „nachhaltigen Entwicklung“ nicht so viel abgewinnen können. Was mein Interesse geweckt hat, war ein Abschnitt im Brockhaus-Lexikon (Bd. 19, 2006, S. 235), der mit der Überschrift „Kritik“ gekennzeichnet ist. Vier Punkte werden dort im Weiteren aufgeführt, die darauf eingehen, dass der Begriff Nachhaltigkeit beliebig, ideologisch täuschend, utopisch oder schier illusionär sei. Doch was für eine Argumentation verbirgt sich dahinter?

brockhaus2

Nachhaltige Entwicklung als Beliebigkeit

Grundsätzlich sei niemand dagegen, nachhaltig zu wirtschaften, das Wort aber sage inhaltlich nichts Konkretes aus, ist dort zu lesen. „Das Nachhaltigkeitspostulat sei inhaltlich leer. […] Unter der Flagge der n. E. [= nachhaltige Entwicklung] könne man trotzdem für komplett gegensätzliche Dinge eintreten.“

Das heißt, wenn ich es in meine eigenen Worte übersetze: Etwas als nachhaltig zu bezeichnen, sei schwammig. Das Argument richtet sich gegen den inflationären Gebrauch, der vor allem in wirtschaftlichen Betrieben Einzug gehalten hat. Nachhaltigkeit ist schick, en vogue, das ultimative Verkaufsargument. Festgelegte Kriterien, wann etwas als nachhaltig gilt und wann nicht, gibt es bisher nicht. Es ist im höchsten Maße relativ, denn gemessen an einem bisherigen Standard kann da schon etwas als nachhaltig gelten, was anderen ökologisch denkenden und handelnden Menschen, die Haare zu Berge stehen lässt. Mich persönlich erinnert dieses Argument auch ein bisschen an die fortwährende Diskussion, wann etwas wirklich „Bio“ ist und wann nicht, denn auch hier gibt es in vielen Bereichen noch Unklarheiten und – sagen wir mal – „Interpretationsspielräume“.

Nachhaltige Entwicklung als ideologische Täuschung

Damit verwandt ist auch das zweite Argument, das im Brockhaus Erwähnung findet: „Der Nachhaltigkeitsbegriff verdecke die Interessen der realen Akteure und die faktischen Machtkonstellationen. Jeder benutze n. E. wie es ihm passt, um damit – moralisch aufgeladen und politisch korrekt – seine Interessen durchzusetzen.“ Auf dieses Argument verweist beispielsweise der Professor für Betriebswirtschaftslehre Michael Weisensee in seiner 2012 erschienenen Schrift „Nachhaltigkeit ausländischer Direktinvestitionen in der Volksrepublik China“.

Wo es keine einheitlichen Kriterien gibt und wo pekuniäre Interessen im Vordergrund stehen, dort überrascht es nicht, wenn ein Begriff auch von den Akteuren missbraucht wird beziehungsweise in die Waagschale geworfen wird, um den eigenen Argumenten mehr Gewicht zu verleihen. Michael Weisensee kritisiert in diesem Zusammenhang die Unbestimmtheit konkreter Konsequenzen und eindeutiger Handlungsnotwendigkeiten. Auch hier wird deutlich, dass der Begriff einer nachhaltigen Entwicklung kontextabhängig genutzt wird und in unterschiedlichen Zusammenhängen eben auch verschiedenen Bewertungsskalen unterliegt.

Nachhaltige Entwicklung als utopische Hoffnung

Ein Blick in die vielfältigen Beiträge auf der Seite von „The bird’s new nest“ genügt, um festzustellen: Wenn es darum geht, sich mit Nachhaltigkeit zu beschäftigen, sind der Fantasie und der Fülle an Themen kaum Grenzen gesetzt. Hier stehen Texte über nachhaltiges Reisen, über Kosmetik, Kleidung und Ernährung, aber auch über Psychohygiene und Sinnfindung. Doch was die einen als Bereicherung empfinden, kann den anderen schon mal ein Dorn im Auge sein, zumindest wenn man sich das dritte kritische Argument anschaut, das der Brockhaus benennt: „Der Begriff der n. E. sei überladen. Wenn Nachhaltigkeit als Sammelbegriff für alles verwendet werden soll, was ‚edel, hilfreich und gut‘ sei, würde dies uneinlösbare Erwartungen wecken.“

In meinen Augen werden hier mehrere Ebenen gehörig durcheinander geworfen. Nehmen wir doch mal die folgende Definition von Nachhaltigkeit zur Hand: „Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass zukünftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.“ Beim Weltgipfel 1992 in Rio de Janeiro haben die Regierungschefs diese Formulierung akzeptiert. Um was für Bedürfnisse es sich handelt, ist hier nicht festgelegt, ebenso wenig nehmen die Politiker hier eine Bewertung („edel, hilfreich und gut“) vor. Sicher, im Einzelnen kommen wir nicht darum herum, unsere Bedürfnisse und Ziele zu konkretisieren. Aber ganz nebenbei: Ein Begriff allein weckt keine Erwartungen.

Nachhaltige Entwicklung als schiere Illusion

„Angesichts der Ratlosigkeit, welche Akteure in einer demokratischen Gesellschaft eine ‚wirkliche‘ Politik der Nachhaltigkeit durchsetzen könnten, gelte der ‚Generalverdacht des Illusorischen‘“, schreibt der Brockhaus an vierter Stelle. Auch dies riecht stark nach dem Erwartungsargument (siehe oben). Armin Grunwald und Jürgen Kopfmüller gehen in ihrem Buch „Nachhaltigkeit“, das 2012 im Campus Verlag erschien, noch genauer darauf ein: „Nachhaltige Entwicklung diene der Beruhigung der Gesellschaft angesichts dramatischer Zukunftsprobleme. Sie suggeriere, dass, wenn man nur lange genug darüber rede, die Probleme schon irgendwie gelöst werden könnten. Nachhaltige Entwicklung habe daher den Charakter eines kollektiven Selbstbetrugs.“

Allerdings verweisen die Autoren angesichts solcher „Fundamentalkritik“ eher auf deren Funktion als Ansporn. Auch sie plädieren dafür, die Kritik zu nutzen, um das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung konkreter auszugestalten, anzupassen und zu optimieren.

Soviel zum Brockhaus. Und was denkst du darüber? Für wie sinnvoll hältst du den Begriff „Nachhaltigkeit“? Und wie kommen wir deiner Meinung nach von einer abstrakten Idee zu konkreten Handlungsstrategien, Bewertungen und Diagnosen?

1 Kommentar zu Kritikpunkte am Begriff „Nachhaltigkeit“

Licht ins Dunkel: Energiesparlampen, Teil 1

Bei jedem von uns hängen oder stehen sie in verschiedensten Formen um uns Licht zu spenden – Lampen. Uns allen ist klar, sie benötigen Strom. Aber wie viel davon ist notwendig und…

Bei jedem von uns hängen oder stehen sie in verschiedensten Formen um uns Licht zu spenden – Lampen. Uns allen ist klar, sie benötigen Strom. Aber wie viel davon ist notwendig und welches Leuchtmittel ist das ökologischste?

Im Rahmen der Ökodesign-Richtlinie 2005/32/EG1 hat die EU beschlossen, dass energieineffiziente Leuchtmittel schrittweise bis zum Jahr 2016 nicht mehr produziert und in den Großhandel gebracht werden dürfen. Speziallampen (zum Beispiel in Kühlschränken, Backöfen) sind von dem Verbot nicht betroffen.

Was ist eigentlich so schlimm an der Glühbirne?

Herkömmliche Glühlampen erreichen die Energieeffizienzklassen D, E, F oder G. Bei einer Skala von A bis G ist das natürlich nicht sehr effizient. Der hohe Stromverbrauch kommt daher, weil die Glühbirne nur etwa fünf Prozent der elektrischen Leistung in sichtbare Strahlung umwandelt. Die restlichen 95 Prozent sind hauptsächlich Infrarotstrahlen, die für das menschliche Auge nicht sichtbar sind. Lediglich die Wärme, die dadurch abgegeben wird, nehmen wir wahr. Das bedeutet, dass die Glühbirne tatsächlich sehr ineffizient arbeitet.Warum sich die Glühbirne trotzdem über 100 Jahre durchgesetzt und in dieser Zeit kaum verändert hat, ist schnell erklärt: Die Glühbirne ist umweltschonend in der Herstellung, enthält keine giftigen Stoffe – nur Glas, ein bisschen Blech für das Schraubgewinde, geringe Mengen an Edelgas und den Wolframfaden (Glühfaden) -, sie ist überall einsetzbar, billig an jeder Ecke zu bekommen und wenn sie kaputt geht, muss sie nicht wie Sondermüll behandelt werden. Eigentlich perfekt, wenn da die Sache mit dem hohen Stromverbrauch nicht wäre.

Dann also in Zukunft nur noch Energiesparlampen kaufen?

Wenn es rein um die Energieausbeute und den Verbrauch im Haushalt ginge, könnte man diese Frage mit einem klaren Ja beantworten. Betrachtet man die Kompaktleuchtstofflampe (so heißt die umgangssprachlich genannte „Energiesparlampe“ eigentlich) jedoch näher, gibt es einige Punkte die dagegen sprechen. Das Erste, was auffällt, wenn man eine Energiesparlampe benutzt ist, dass sie nach dem Einschalten nicht gleich ihre volle Leuchtkraft hat. Bis zu mehreren Minuten kann es dauern, bis die ganze Helligkeit vorhanden ist. Außerdem ist nicht jede Kompaktleuchtstofflampe dimmbar. Nur eine speziell angepasste und noch teurere Birne kann für diese Zwecke genutzt werden.

Der Teufel liegt im Detail

Leider sind das nicht die einzigen Nachteile. Warum Energiesparlampen nämlich so sparsam sind, liegt in ihrem Aufbau. Anders als eine Glühbirne wird nicht einfach ein Glühdraht zum Leuchten gebracht, sondern jede Kompaktstoffleuchte ist im Grunde eine kleine Leuchtstoffröhre. Durch Heizwendeln werden geringe Mengen von Quecksilber erhitzt, bis dieses in den gasförmigen Zustand übertritt. Das Gasgemisch wiederum erzeugt ultraviolette Strahlung. Da die ultraviolette Strahlung für das menschliche Auge nahezu unsichtbar ist, befinden sich auf den Wänden der Glasröhre drei bis fünf verschiedene Leuchtstoffe, die das UV-Licht in sichtbares Licht umwandeln.Jeder von uns kennt das Licht einer mehr oder weniger flackernden Leuchtstoffröhre. Technisch ist die Kompaktleuchtstofflampe genau dasselbe. Damit das unangenehme Flackern aber Geschichte ist, befindet sich in jeder Energiesparlampe ein elektronisches Vorschaltgerät, welches das Flackern zwar nicht verhindern kann, aber die Frequenz derart erhöht, dass es vom menschlichen Auge nicht wahr genommen werden kann. Ob das jedoch schädlich für das Nervensystem ist, kann man noch nicht genau sagen. Außerdem gibt das Vorschaltgerät wie jedes elektronische Gerät Strahlung ab, den so genannten „Elektrosmog“. Zwar können laut Studien „keine Überschreitungen der Grenzwerte festgestellt werden“, dennoch ist die Belastung mit der eines Schnurlostelefons zu vergleichen und es wird empfohlen, Energiesparlampen nicht im unmittelbaren Kopfbereich zu montieren. Man sollte jedoch beachten, dass ein Mobiltelefon nur mit Strahlung funktionieren kann, eine Lampe sollte eigentlich nur leuchten, summiert sich aber trotzdem mit der Strahlung aller anderen Geräte im Haushalt.

Fünf Milligramm Quecksilber verseuchen 5.000 Liter Wasser

Der größte Nachteil ist jedoch das giftige Quecksilber, welches in den Lampen enthalten ist. Auch wenn es nur eine geringe Menge ist – gesetzlich erlaubt sind derzeit 3,5 Milligramm pro Lampe <50 Watt -, ist es dennoch eine hochgiftige Substanz. Fünf Milligramm Quecksilber können bereits 5.000 Liter Wasser verseuchen. Zwar sollte theoretisch das Quecksilber bei einer intakten Energiesparlampe nicht austreten können, eine Untersuchung des deutschen Umweltbundesamtes ergab jedoch sehr wohl eine geringe Abgabe an die Raumluft. Auch wenn das Fazit wie folgt ausfiel: „Die hier gemessenen niedrigen Konzentrationen sind in einem realen Wohn- oder Arbeitsraum vermutlich vernachlässigbar gering.“ Geht eine Lampe kaputt, verteilt sich das vorhandene Quecksilber definitiv im Raum und in der Atemluft. Mittlerweile gibt es auch Energiesparlampen, die das Quecksilber in Form von Amalgam bündeln. Im ausgeschalteten Zustand kann das Quecksilber somit auch bei einer zerbrochenen Lampe nicht mehr verdampfen, im eingeschalteten Zustand, in dem die Teilchen voneinander getrennt sind, sehr wohl. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn eine eingeschaltete Stehlampe umfällt oder Gegenstände die Lampe treffen.

Umweltschäden schon vor der Nutzung

Zu bedenken ist außerdem bei jedem Kauf einer Lampe, dass für den Bau von elektronischen Teilen, wie sie eben auch in der Energiesparlampe vorhanden sind, Seltene Erden verwendet werden, von denen es weltweit nur wenige konzentrierte Vorkommen gibt. Sieben Prozent dieser wertvollen Ressourcen gehen in die Produktion von Leuchtmitteln.Der Abbau von Seltenen Erden erfolgt über Säuren, mit denen die Metalle aus den Bohrlöchern gewaschen werden. Der dabei vergiftete Schlamm bleibt zurück. Überdies fallen große Mengen an Rückständen an, die giftige Abfälle enthalten (Thorium, Uran, Schwermetalle, Säuren, Fluoride). Der Schlamm wird in künstlichen Teichen gelagert, die insbesondere im größten Förderungsland China aufgrund fehlender Umweltauflagen keinesfalls sicher sind. Neben dieser Gefahr für das Grundwasser besteht ein permanentes Risiko für das Austreten von Radioaktivität, da viele Seltene Erden hauptsächlich in Verbindung mit radioaktiven Mineralien wie Thorium oder Uran vorkommen.

Sondermüll mit Folgen

Energiesparlampen sind Sondermüll. Ausgebrannte oder zerbrochene Lampen dürfen auf keinen Fall einfach in den Restmüll geworfen werden, da sonst das vorhandene Quecksilber in unsere Umwelt gelangt und so auch in die Nahrungskette. Des Weiteren befindet sich durch das elektronische Vorschaltgerät in jeder Energiesparlampe einiges an Elektroschrott. Beim Verwertungsprozess fallen rund fünf Masseprozent an Aluminium an, dieses verwendet die Metallindustrie weiter. 90 Prozent der Lampe sind Natron-Kalk-Glas, das unter anderem zur Herstellung von Glaswolle als Dämmmaterial verwendet wird. Die restlichen 5,5 Prozent sind quecksilberhaltige Abfälle. Diese können jedoch nicht recycelt, sondern nur gesammelt und wie Atommüll endgelagert werden.In Wien gibt es neben den 19 Problemstoffsammelstellen auf den Mistplätzen noch 54 stationäre und mobile Möglichkeiten, Problemstoffe zu entsorgen. Außerhalb Wiens gibt es viele weitere Problemstoffsammelstellen, wo die Lampen zurückgegeben werden können. Auch Elektrofachhändler und Supermärkte ab einer Verkaufsfläche von 150 Quadratmeter sind in Österreich dazu verpflichtet, Energiesparlampen anzunehmen – zumindest dann, wenn damit der Kauf einer neuen Lampe einhergeht.

Auch in Deutschland stehen bundesweit Wertstoffhöfe und Sammelstellen zur Verfügung, die Energiesparlampen kostenlos entgegennehmen. Viele Händler nehmen ebenfalls Lampen zurück. Gesetzliche Regelung gibts es dafür jedoch keine. In der Schweiz ist die Entsorgung sehr einfach organisiert. Ausgediente Leuchtmittel können in über 450 Sammelstellen und im Handel jederzeit kostenlos zurückgegeben werden.

Entsorgung zerbrochener Lampen

Zerbricht eine Energiesparlampe, müssen sofort Fenster und Türen geöffnet werden, um den Raum gut zu lüften. Auf keinen Fall darf man zum Staubsauger greifen, denn dieser verteilt das Quecksilber im ganzen Raum und erhöht die Gefahr des Einatmens. Die Reste müssen vorsichtig mit Besen und Schaufel zusammengekehrt werden. Von einem Teppich lassen sich die Reste mit einem Klebeband ablösen. Quecksilber verdampft langsam, aber doch, bei Raumtemperatur – so kann ein kleines Quecksilberkügelchen in einer Parkettritze seine Wirkung über einen langen Zeitraum entfalten. Sollte der Fall eintreten, dass eine Lampe im eingeschalten Zustand zerbricht, weil zum Beispiel die Leuchte umfällt, wird empfohlen, alle Türen zum Zimmer zu schließen, die Fenster zu öffnen und den Raum für etwa eine halbe Stunde zu verlassen. In jedem Fall sollte man die Stelle, an der die Lampe zerbrochen ist, mit einem nassen Tuch reinigen. Chemieexperten empfehlen, die Lampenreste, Kehrbesen und Tuch dann in einen verschließbaren Behälter zu stecken, diesen luftdicht zu verschließen und mit einem Zettel „Achtung, kann Quecksilberreste von Kompaktleuchtstofflampen enthalten“ bei einer Problemstoffsammelstelle abzugeben.

Alternative: LED

Leuchtdioden (Light-emitting diode, LED) sind klein, robust, schaltfest und dimmbar. Sie verfügen über eine deutlich höhere Lichtausbeute als Glühlampen bei einer äußerst hohen Lebensdauer von bis zu 100.000 Stunden und können damit im Vergleich rund 80 Prozent Energie einsparen. Die Weiterentwicklung der LED-Lampen erfolgt mit hohem Tempo, wodurch sie immer besser und günstiger werden. Die Lichtstimmung der LED-Lampen ist heute dem Licht der klassischen Glühbirnen sehr ähnlich. Außerdem sind sie umweltfreundlicher als Energiesparlampen oder Halogenbirnen und enthalten außerdem keine giftigen Stoffe wie Quecksilber.Eine LED ist deutlich unempfindlicher gegenüber Schaltvorgängen als Glühlampen oder Energiesparlampen. Leuchtdioden werden nach und nach schwächer, fallen aber in der Regel nicht plötzlich aus. Dennoch kommen plötzliche Ausfälle von LED-Lampen vor. Diese sind jedoch im verwendeten Netzteil beziehungsweise in der Steuerelektronik zu finden, welche technisch bedingt in jeder LED-Lampe vorhanden ist. Diese Elektronik hält nur einer begrenzten Anzahl von Schaltzyklen stand. LED-Leuchtmittel sind aber auch inklusive Vorschaltelektronik meist deutlich schaltfester als normale Energiesparlampen. Durch diese höhere Schaltfestigkeit sowie der höheren Lebensdauer in Einschaltstunden und der höheren Lichteffizienz beziehungsweise Lichtausbeute in Lumen pro Watt sind LED-Lampen in den meisten Fällen, trotz höherer Anschaffungskosten, insgesamt wirtschaftlicher als Energiesparlampen oder Glühbirnen.

Not the best but better than the rest?

Doch auch bei der LED-Lampe ist nicht alles so perfekt wie man es sich wünscht. Genau wie die Energiesparlampe kommt die LED-Lampe nicht ohne einiges an Elektronik aus. Und auch hier wird Strahlung abgegeben. Da unsere Zellen mittels elektrischer Signale kommunizieren, kann ein äußeres elektrisches, magnetisches oder elektromagnetisches Feld die Zellkommunikation stören. Deshalb ist es aus Vorsorgeüberlegungen sinnvoll, Elektrosmog so weit wie möglich zu verringern. Postitiv ist allerdings, dass die Belastung durch elektromagnetische Strahlung bei LEDs weitaus geringer ist, als bei Energiesparlampen. Auch die Elektronik der LEDs kommt nicht ohne die schon bei den Energiesparlampen beschriebenen Seltenen Erden aus, mit all ihren Nachteilen. LEDs sind frei von gesundheitsschädlichen Inhaltsstoffen wie Quecksilber, müssen aber dennoch als kleine Elektroaltgeräte über die Problemstoffsammlung entsorgt werden und dürfen nicht einfach im Restmüll landen. Teilweise nehmen auch Händler beim Kauf einer neuen Lampe die alte zurück, um sie fachgerecht zu entsorgen.

Fazit

Es ist wie man sieht gar nicht so einfach das beste Leuchtmittel zu finden. Jedes hat seine Vor- und Nachteile. Ganz klar erkennbar ist jedoch, je weniger wir benötigen, desto besser. Denn jedes Herstellungsverfahren bringt seine Tücken mit sich. Sei es das gesundheitsgefährdende Quecksilber in den Energiesparlampen oder der Elektroschrott mit den seltenen Erden bei Energiesparlampe und LED. Licht benötigen wir nun einmal zum Leben und daran ist auch nichts verwerfliches, aber brauchen wir tatsächlich leuchtende Blumentöpfe und Geschenkschleifen? Nur weil eine LED nicht viel Strom verbraucht, heißt das nicht, dass wir diese Einsparung durch möglichst viele LEDs wieder wettmachen sollen.Mein Appell: Überlegt genau welches Licht ihr tatsächlich benötigt und dreht nur dieses auf. Auch wenn moderne Leuchten nur noch einen Bruchteil der Stromkosten verursachen, jedes Mal Einschalten geht auf die Lebensdauer der Lampe und verbraucht neue Ressourcen.

Quellen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Kompaktleuchtstofflampe
http://www.gluehbirne.ist.org/
http://de.wikipedia.org/wiki/Gl%C3%BChlampe
http://www.rettet-die-gluehbirne.net/2009/01/wie-teuer-ist-eine-gluhbirne-im-monat/
http://www.knetfeder.de/magazin/2009/thema/energiesparlampen/
http://www.dieenergiesparlampe.de/leuchtstofflampen/funktionsweise/
http://www.nabu.de/themen/energie/energieeffizienz/10471.html
http://www.sueddeutsche.de/wissen/abschied-von-der-gluehbirne-das-neue-licht-1.37209
http://www.seilnacht.com/Lexikon/80Queck.htm
http://de.wikipedia.org/wiki/Leuchtdiode
http://www.umweltinstitut.org/fragen-und-antworten/energie-klima/led.html
http://www.nachhaltigleben.ch/themen/wohnen-haushalt/haushaltsgeraete/led-lampen-1122/2
http://de.wikipedia.org/wiki/Metalle_der_Seltenen_Erden
http://www.wien.gv.at/umwelt/ma48/beratung/muelltrennung/energiesparlampen.html
http://www.elektronik-kompendium.de/sites/grd/1607251.htm

Keine Kommentare zu Licht ins Dunkel: Energiesparlampen, Teil 1

Warum nachhaltig leben nur vegan möglich ist, oder: Der grosse Umweltaspekt neben dem Tierschutz

Ich möchte niemanden überreden, etwas zu tun oder es nicht zu tun. Ich möchte dazu animieren, das eigene (Konsum-)Verhalten anhand spannender und neutraler Informationen rund um die Nutztierhaltung zu überdenken…

Ich möchte niemanden überreden, etwas zu tun oder es nicht zu tun. Ich möchte dazu animieren, das eigene (Konsum-)Verhalten anhand spannender und neutraler Informationen rund um die Nutztierhaltung zu überdenken und sich etwas aus der eigenen, gewohnt-gemütlichen Komfortzone zu wagen. Denn ihr entscheidet, was für euch richtig und moralisch vertretbar und was falsch ist.

Ja, ich bin Veganerin. Primär aus Tierschutzgründen habe ich mich vor einiger Zeit für diesen Schritt entschieden. Immer öfter hört man aber auch von vegan lebenden Menschen, denen die Tiere salopp gesagt relativ egal sind. Doch was steckt hinter den unterschiedlichen Beweggründen, tierische Produkte wie Fisch, Fleisch, Milch, Eier, Käse, Leder, Wolle oder auch Seide komplett aus seinem Leben zu streichen?

Man hört immer: „Schalte bitte das Licht aus, um Strom zu sparen.“ oder „Lasse das Wasser nicht zu lange laufen, das ist Verschwendung!“. Dabei vergessen wir immer, wie viele Ressourcen indirekt für unsere Produkte gebraucht und verschwendet werden. Ich versuche euch diese unglaublichen Mengen anhand einiger Fakten aufzuzeigen.

Durchschnittlicher Fleischkonsum

Weltweit werden durchschnittlich 42,5 Kilogramm Fleisch pro Mensch und Jahr konsumiert. Im Jahr 2009 hat ein Österreicher im Schnitt 102 Kilogramm Fleisch gegessen, in Deutschland rund 88 Kilogramm und in der Schweiz 75 Kilogramm. Das sind pro Tag zwischen 200 und 280 Gramm pro Person. Der durchschnittliche Deutsche isst rund 150 Tiere pro Jahr.

Nur für den Fleischbedarf werden in der EU jährlich 360 Millionen Schweine, Schafe, Ziegen und Rinder sowie mehrere Milliarden Hühner und Puten geschlachtet. Fische und Krustentiere sind dabei noch nicht eingerechnet. In Brütereien werden ausserdem jährlich rund 330 Millionen männliche Küken sofort nach dem Schlüpfen getötet, weil sie für die Eierproduktion wertlos sind. Die Fakten aus Deutschland zusammengefasst, findet ihr in diesem Film: „Was passiert, wenn wir 80% weniger Fleisch essen?“

Lebensdauer der Tiere

Der Unterschied der Lebensdauer eines Tieres in der Natur verglichen mit einem Nutztier, egal ob in konventionellen oder Bio-Betrieben, ist gewaltig. Die Lebenserwartung einer Milchkuh liegt bei fünf Jahren, die eines Fleischrindes bei etwa zwei Jahren, dabei könnten Kühe problemlos 30 Jahre alt werden. Eine Legehenne lebt im Schnitt nur etwas mehr als ein Jahr, danach ist sie nicht mehr produktiv genug und ihr Körper ist durch die enorme Belastung der vielen gelegten Eier geschwächt, sie stirbt oder wird getötet. Dabei wird sie im Vergleich zu Masthühnern richtig alt, denn diese werden innerhalb weniger Wochen getötet. In der Natur können Hühner bis zu zehn Jahre alt werden. Gänse werden als Nutztier nur wenige Wochen alt, dabei könnten sie sogar gut 40 Jahre alt und noch älter werden.

Anthropogener Treibhauseffekt am Beispiel Methangas

Kühe sind Wiederkäuer und rülpsen dabei Methangas. Das Klimagas steigt in die Atmosphäre und bildet dort eine Schicht, die die Wärme der Erde nicht mehr ins Weltall entweichen lässt. Es wird wärmer. Methan wirkt dabei 23 Mal stärker auf den Treibhauseffekt als Kohlendioxid. 18 Prozent aller Treibhausgase, die durch den Menschen entstehen, stammen aus der Viehzucht. Wie viel das wirklich ist? Forscher sagen, dass man mit den bis zu 300 Litern reinen Methans, die eine einzige Kuh pro Tag produziert, 24 Stunden lang einen Kühlschrank betreiben könnte. Diesen von Menschen verursachten Treibhauseffekt nennt man „anthropogener Treibhauseffekt“. Menschliche Aktivitäten führen zu einem immer höheren Ausstoß von Kohlendioxid, Methan, Distickstoffoxid, troposphärisches Ozon, Flourchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) oder Chlorflourmethane (CFM).

Enorme Ressourcenverschwendung: Wasser- und Getreideverbrauch

Mit dem Wasserverbrauch zur Erzeugung von einem Kilo Fleisch könnte man ein ganzes Jahr lang täglich duschen. Auch unsere pflanzlichen Lebensmittel verbrauchen viel Wasser. Für ein Kilogramm Äpfel werden rund 700 Liter verbraucht, für ein Kilo Brot 1‘300 Liter und für ein Kilo Rindfleisch (mit Kraftfutter gemästet) 15‘500 Liter Wasser. Rund ein Drittel des weltweit produzierten Getreides wird an Tiere verfüttert, um deren Fleisch zu essen. Um ein Kilo Fleisch zu erzeugen, benötigt man rund 15 Kilogramm Getreide oder Soja als Tierfutter. Anders gesagt, kann man mit 15 Kilogramm Getreide etwa 20 Menschen direkt ernähren oder damit etwa die Menge Fleisch produzieren, die als Nahrung für zwei Personen ausreicht.

Soziale Ungerechtigkeit und Zerstörung von Regenwald

Würden sich alle Menschen rein pflanzlich ernähren, gäbe es weitaus genügend Anbaufläche, um alle Menschen weltweit ernähren zu können. Ein Veganer braucht im Schnitt 700 Quadaratmeter Anbaufläche für die Lebensmittel, die er konsumiert. Für eine fleischessende Person benötigt man rund 13‘000 Quadratmeter Land. Das kultivierbare Land auf der Erde geteilt durch alle Bewohner unseres Planeten gibt rein rechnerisch für jeden eine Fläche von rund 2’700 Quadratmeter.

Weil die Nachfrage nach Fleisch stetig ansteigt, wird auch immer mehr Anbaufläche für das Tierfutter benötigt. Ökologisch sensible Regionen wie der Regenwald in Südamerika werden vernichtet und in Weideflächen für die Futtermittelproduktion umgewandelt. Die Futtermittel werden in Monokulturen angebaut, oft mit Hilfe von aggressiven Pestiziden. Diese haben für die Bauern und für die Bevölkerung rund um die Anbaugebiete schwerwiegende Folgen. Monokulturen verdrängen und zerstören die natürlichen Lebensräume von Wildtieren und schädigen somit die Artenvielfalt. Eine spannende und kurze Dokumentation (ARD) dazu findet ihr hier: Plusminus – Pflanzenschutz Im Film wird eindrücklich aufgezeigt, wie die Menschen in Südamerika unter dem Anbau von gentechnisch verändertem Soja für die günstige Futtermittelproduktion leiden und auch, in welchen bekannten Produkten möglicherweise mit Gensoja produziertes Fleisch enthalten ist. 

Wie weiter?

Wir alle treffen jeden Tag mit dem Kauf und dem Konsum verschiedener Produkte Entscheidungen, die grossen Einfluss auf unsere Welt von heute und morgen haben. Wir können uns umfassend über unsere Lebensmittel informieren und regionale, biologisch angebaute, mehrheitlich pflanzliche Produkte kaufen. Wie wäre es mit einem oder zwei veganen Tagen pro Woche? Dazu möchte ich euch aus der Tierschutzsicht auch noch einen neuen Kurzfilm aus der Schweiz ans Herz legen: „Tiere essen“ Ihr könnt euch dazu die deutschen Untertitel in der Menüleiste einblenden.



Quellen
http://www.vegan.ch
http://www.vegetarismus.ch
http://de.wikipedia.org/wiki/Fleischkonsum
http://www.schlachthof-transparent.org/pages/statistik.php
http://albert-schweitzer-stiftung.de/aktuell/deutsche-essen-uber-12-milliarden-tiere-pro-jahr
http://www.welt.de/wissenschaft/article121083557/So-kann-man-Energie-aus-der-Kuh-zapfen.html
http://phys.org/news/2011-09-deforested-amazon-cattle.html

4 Kommentare zu Warum nachhaltig leben nur vegan möglich ist, oder: Der grosse Umweltaspekt neben dem Tierschutz

Was möchtest du finden?