Content Note: Dieses Buch handelt von körperlicher und sexueller Gewalt, Tod, Rassismus, Sexismus etc. Puh. Das ist der Kommentar, den vielleicht einige am Ende dieses dicken Wälzers von sich geben….
Content Note: Dieses Buch handelt von körperlicher und sexueller Gewalt, Tod, Rassismus, Sexismus etc.
Puh. Das ist der Kommentar, den vielleicht einige am Ende dieses dicken Wälzers von sich geben. „Habibi“ von Craig Thompson ist keine einfache Lektüre und ich bin mir sicher, dass ich nach dem Lesen noch längst nicht alles verstanden oder alle Metaphern übertragen habe. Die Graphic Novel spielt in einer arabisch-orientalischen Welt, zunächst vor vielen, vielen Jahren, doch je näher man an das Ende des Buches gelangt, offensichtlich auch in der heutigen Zeit. Handlungsschauplätze sind vorrangig die Wüste, ein Palast und verrrohte, heruntergekommene Orte.
Dieses Werk handelt von Dodola, die als junges Mädchen an ihren zukünftigen Ehemann verkauft wird. Dieser bringt ihr zwar Lesen und Schreiben bei, missbraucht sie aber auch. Eines Tages wird der Mann überfallen, Dodola wird mitgeschleppt und landet schließlich bei Sklavenhändlern. Dort trifft sie auf Ham (später Zam), ein kleines Kind, das sie für ihren Bruder ausgibt. Zusammen gelingt ihnen die Flucht in die Wüste, in der sie fortan in einem gestrandeten Schiff leben – für viele Jahre, bis Dodola erwachsen ist.
Dodola kümmert sich um Zam, der es liebt, wenn sie ihm mythologische Geschichten erzählt. Diese Geschichten sind nicht nur Halt für die beiden, sondern sie kommen auch durchgängig im Buch als Metaphern und Parabeln vor und spielen auf die tatsächliche Handlung an.

Inhaltsverzeichnis: Spiel mit Formen und Buchstaben
Die Trennung
Das gemeinsame Aufwachsen wird in großen Teilen als Rückblende erzählt, als Dodola längst in einem Palast lebt und gerade schwanger ist. Sie sehnt sich nach Zam, den sie in der Vergangenheit verloren hat. Wir erfahren, dass Dodola damals in der Wüste ihren Körper an vorbeireitende Karawanenführer verkauft hatte, um sich und Zam mit Nahrung versorgen zu können.
Was mit Zam passiert ist, erfahren wir ebenfalls parallel zum Fortschreiten der Haupthandlung: Eines Tages hatte er sich auf eigene Faust auf die Suche nach Wasser gemacht und tatsächlich einen Stausee gefunden. Das Glück währt nicht lange, er wird von Meuchlern erwischt, als er dort wiederholt Wasser entnehmen möchte. Ihm geling die Flucht zurück ins Wüstenschiff. Er beschließt, in die Stadt zu gehen, wo er auch schon Wasser eingetauscht hatte. Schließlich schließt er sich einer Gruppe Eunuchen an.
Leben im Harem und in Willkür
Nach der Trennung von Zam wurde Dodola als eine der Haremsfrauen des Sultans eingesetzt, da dieser von der „Wüstenkurtisane“ erfuhr. Sie wird schwanger von ihm, doch das Kind, das sie nie als ihres ansah, wird später umgebracht. Der Sultan stellt ihr zudem ein Ultimatum: Sie soll einen magischen Trick vollführen und Wasser zu Gold verwandeln, andernfalls wird sie hingerichtet.
Zam landet durch einen Zufall ebenfalls als Angestellter im Palast und bemerkt schnell, dass Dodola noch lebt. Diese wiederum schafft es zusammen mit den Palastangestellten einen Trick für den Sultan auszuführen, wird aber wenig später verraten und soll dann dafür büßen. Zam rettet sie und es beginnt ein neuer Lebensabschnitt für die beiden, der zunächst zwar wenig Hoffnung birgt, doch die beiden wieder näher zusammenbringt.
Mehr sei an dieser Stelle nicht über die Handlung verraten und dies ist auch nur ein grober Handlungsüberblick. Im Grunde geht es in diesem Buch um sehr viel mehr als eine sehr ungewöhnliche Liebesgeschichte.
Innenwelt
Zam hat mit persönlichen Konflikten zu kämpfen, die sich um Schuld, aufkeimende Sexualität und Scham drehen. Er fühlt sich zu seiner Ersatzmutter hingezogen, verurteilt sich aber stark dafür. Dodolas Körper wird viele Male missbraucht und sie erfährt einige traumatische Erlebnisse, von Kerker bis zu niederträchtigem Verhalten und Verrat. Die ganze Handlung über möchte sie nichts mehr, als wieder mit Zam vereint zu sein. Diese Hoffnung gibt ihr unbändige Kraft und Überlebenswillen, dennoch kämpft auch sie mit ihrer eigenen Sicht auf sich und ihren Körper.
Die Parabeln, Erzählungen und Auszüge aus Bibel und Koran und Geschichten über Heilige unterstreichen die Meta-Ebene der Gesamtgeschichte. Es geht nicht nur um zwei Personen, die sich verlieren und wiederfinden, sondern die Handlung wird wie in einem Fiebertraum mit diesen religiös-mythologisch-fantastischen Verweisen vorangetrieben und vermischt. Auch die arabische Schrift und Kalligraphie ist ein eindrucksvolles Gestaltungselement in dieser Graphic Novel. Thompson hat viele Jahre an diesem Buch gearbeitet und webt magische, historische und religiöse Themen in die Geschichte mit ein, die mit dem persönlichen Erleben der Protagonisten zu tun haben. Dabei geht es aber Schlag auf Schlag, hier ein mystischer Vergleich, da ein magisches Quadrat, hier Metaphern mit Worten, da symbolische Tierwesen.
Fiebertraum
Zum Teil ist das, was die Handlung untermalen soll aber ein Overkill und insgesamt wurde zuviel hineingepackt in diese Geschichte. Der Autor wollte hier vielleicht auch mehr, als wirklich beim Lesenden ankommt. Ich konnte nicht immer allen Gleichnissen oder Anspielungen folgen, dafür waren durchgängig zu viele Interpretationsräume auf einmal offen.
Dass Thompson großartig illustriert, zeichnet, gestaltet und beeindruckend viele verschiedene Texte aufgetan hat, die er zur Unterstreichung der Dramatik verwendet, ist klar. Dennoch zeichnet er von der arabischen Welt ein ziemlich düsteres Bild, es gibt kaum „gute“ Menschen in der Geschichte von Dodola und Zam.
Da das Buch schon einige Jahre alt ist, habe ich mir zudem auch einige Kritiken von damals und heute durchgelesen. Insgesamt wird die Graphic Novel als beeindruckendes und großes Werk angesehen, es sind aber auch kritische Stimmen zu hören, die Thompson vorwerfen, er habe nicht genug über den Islam und die arabische Kultur recherchiert und stelle diese einseitig als barbarisch dar. Ich kann das hier zwar bestätigen – die Handlung ist gnadenlos -, empfinde aber auch eine Kritik an der dargestellten Welt in seinem Werk. Vor allem, da Dodola einmal selbst als „rassistisch und frauenfeindlich“ betitelt wird und einige Charaktere überzeichnet und satirisch dargestellt sind.
Gesellschaftskritik
„Habibi“ hatte ich an einem Tag durchgelesen, auch wenn ich anfangs Schwierigkeiten hatte, mich aufgrund der Grausamkeit auf die Geschichte einzulassen. In manchen kleinen Lichtblicken zwischen der oft grausamen Handlung, kommt in der Geschichte sogar Humor auf. Das elegante Spiel mit den arabischen Buchstaben, aber auch das Aufzeigen von Gemeinsamkeiten von christlichen und muslimischen Erzählungen sind besonders interessant. Einige Elemente sind sehr poetisch und berührend, zudem werden die Themen Ressourcenverschwendung, Müllverschmutzung, extreme Armut und Macht(missbrauch) ebenfalls eindrücklich dargestellt. Last but not least schließt „Habibi“ mit einem recht versönlichen und schönen Ende, in dem die beiden Hauptdarsteller zu sich finden. Alles in allem war „Habibi“ eine spannende und fesselnde Lektüre.
Die Graphic Novel hat 672 Seiten, ist in schwarz-weiß gedruckt, Hardcover mit Prägung und Goldveredelung.
Vielen Dank an den Reprodukt-Verlag für das Rezensionsexemplar!