Manchmal stelle ich schon meine eigene Zurechnungsfähigkeit in Frage. Heute ist wieder so ein Tag. Es ist 7:50 Uhr, ich komme wie gerädert am Bahnhof in Hamburg an. Die letzte Nacht habe ich im Liegewagen auf dem Weg von Wien in die deutsche Hansestadt verbracht. Eigentlich fahre ich ja gerne über Nacht mit dem Zug. Die Theorie klingt ja auch wirklich klug. Man steigt abends zuhause in die Bahn, erspart sich eine Hotelnacht und kommt am nächsten Morgen entspannt an seinem Zielort an.

Genau, die Betonung liegt auf „Theorie“. Denn in letzter Zeit habe ich einfach zu oft Pech gehabt. So wie in dieser Nacht, in der ich um 20 Uhr bereits meinen Schlafplatz – einen 6er Liegewagen – betreten hatte. Meine Mit-SchläferInnen: Eine kurzhaarige Deutsche, die – wie sich später herausstellte – nicht nur dank ihrer zehn Jahre in Wien mehr Meidlinger „L“ hatte als Mundl höchstpersönlich, sondern auch jeden noch so anstrengenden Menschen geduldig lächelnd zum Tratschen ermunterte. Kinderkrankenschwester, ich verstehe! Da war dann noch eine ältere Deutsche, die sich am nächsten Morgen um 5 Uhr früh vor allem dadurch auszeichnen sollte, dass sie keine Ahnung hatte, wie ihr Handy-Wecker auszustellen war. Und dann noch dieser dickleibige Bahn-Pendler, der jede Einladung für ein Gespräch mit Freuden (und einem endlosen Gesprächsfluss) wahrnahm – besonders wenn es um sein Lieblingsthema ging: Wie kann die Bahn nur den Autozug einstellen wollen, also wirklich! Ja, und dieser wohlbeleibte Herr, der bereits seit 40 Jahren in Deutschland lebt, hat in dieser Nacht wohl den einen oder anderen Regenwald ausgerottet. Was er dem Wald an Bäumen weggesägt hat, das hat er mir an Schlaf geraubt. Herzlichen Dank!

Ich sag’s ja, manchmal zweifle ich schon an mir. Oder vielmehr an meinen Entscheidungen. Die Reise ist nämlich nach der zwölfstündigen Zugfahrt von Wien nach Hamburg noch längst nicht zu Ende, vielmehr geht’s jetzt erst richtig los!

Wo, ähm, wie geht’s hier nach Oslo?

Zurück zum Anfang. Als Teil einer Reiseblogger-Vereinigung bin ich eingeladen worden, um mit der DFDS Seaways von Kopenhagen nach Oslo und wieder zurück zu schippern. Dass es dabei nicht nur um die Fahrt auf der Luxus-Fähre geht, sondern Austausch, Kennenlernen und gemeinsames Projekte-Schmieden unter den Bloggern im Vordergrund stehen, ist klar. Und natürlich der Spaß, aber der ist bei den Destination – vor allem aber dem Weg dorthin – ohnehin inkludiert.

10372548_484720961661664_1093818490124363657_n

Apropos Weg: Freilich, Flüge von Wien nach Kopenhagen sind leicht gefunden, günstig und schnell, schließlich dauert die Reise von Gate zu Gate weniger als 1,35 Stunden.  Aber irgendwie wäre das ja zu einfach – und schon gar nicht umweltfreundlich, also versuche ich es einmal auf andere Art und Weise. Per Bahn und Boot. Ein Abenteuer, bei dem der altbekannte Spruch „Der Weg ist das Ziel“ nicht nur wegen der langen Reise kaum treffender sein könnte. Auf so einem Weg gibt es so einiges zu erleben.

Unterwegs

20 Uhr Zugabfahrt Wien – 7:50 Uhr Ankunft Hamburg
9: 28 Uhr ICE Hamburg nach Kopenhagen – 14:24 Uhr Ankunft
Per Straßenbahn (gratis, denn das Ticket ist in der Zugfahrt inkludiert) zur Anlegestelle der DFDS Seaways
16:15 Uhr Abfahrt mit der Fähre – Ankunft 9:45 Uhr in Oslo

Soweit so gut!

„Wie, wir fahren mit dem ICE Fähre?“ – bei der Frage merkt man wieder, wie gut ich mich auf die Reise vorbereitet hatte. Tatsächlich, so erklärt mir mein lieber Mitreisender und Bahn-Freak Gerhard (er ist natürlich bestens informiert) bringt der ICE TD mit Dieselantrieb der Deutschen Bahn Reisende täglich entlang der „Vogelfluglinie“ von Hamburg nach Kopenhagen. Und das ist nur möglich durch eine 45-minütige Überfahrt über den Fehmarn Belt in Puttgarden, da fährt der Zug direkt in den Bauch einer Scandlines Fähre, die ihn dann zum Fährhafen in Rødby bringt. Hört sich spannend an, oder? Tatsächlich ist das Ganze dann weniger aufregend: Man steigt auf der Fähre aus dem Zug aus, holt sich einen Café im riesigen Bistro der Fähre und genießt den am besten auf dem Freidach, Fahrtwind inklusive. Kurz vor der Ankunft setzt man sich dann wieder auf seinen Platz in den Zug – und weiter geht die Fahrt Richtung Oslo. Das Video der Deutschen Bahn ist zwar Werbung pur, aber ja, so sieht die Überfahrt aus.

1533734_797213070296548_81625086306281169_n

So eine Fähre wünsch‘ ich mir

Wer jetzt denkt, nach der Fährenfahrt nach Kopenhagen sei er vorbereitet auf die Fahrt mit der DFDS Seaways, der liegt falsch. Fähre?! Ja, tatsächlich nennt sich die DFDS Crown und ihr Schwesterschiff, die DFDS Pearl, mit der es später zurück von Oslo nach Kopenhagen gehen sollte, „Fährschiff“. Aber eines mit elf Stockwerken, zahlreichen Restaurants – von der Gourmet-Pizzeria bis zum All-You-Can-Eat-Buffet -, Bars mit Livemusik, Clubs, Spa, Konferenzräumen, und sogar einer Ausnüchterungszelle.

IMG_4763 IMG_4773

Dass Letztere durchaus ab und an gebraucht wird, das wird auf der Überfahrt klar, nutzen doch ein paar Gäste die Luxus-Überfahrt als eine Art „Schulausflug für Erwachsene“. „I just want to tell you, whoever wants to have sex with me tonight, you can find me…“, wo man den ziemlich angetrunkenen Enddreißiger finden könne, das geht im Lallen und Brabbeln desselben unter. Leicht genervt wird er von seinen nicht minder beschwipsten Freunden weggezerrt – nur um wenige Minuten später wieder aufzutauchen. Erst als er irgendwann merkt, dass sein Angebot auf eher verhaltenes, bis nicht vorhandenes Interesse stößt, zieht er weiter. Wohin, bleibt unbekannt, nur soviel: Die Ausnüchterungszelle blieb in dieser Nacht leer…

IMG_4787 IMG_4774

Anders das Schiff am nächsten Morgen: Da wuselten die Menschen in den Gängen, hielten ihre Fotoapparate griffbereit und drängten sich zu den besten Aussichtspunkten. Die gab es zugegebenermaßen fast überall – und das ist gut so, ist doch die Anfahrt auf Oslo mit seinen Fjorden, Seemöwen, kleinen, bunten Häusern tatsächlich ein Erlebnis. Eines, wegen dem allein sich die langsame Anreise-Variante auf die norwegische Hauptstadt lohnt!

IMG_4831  IMG_4829 IMG_4851 IMG_4769

Der Vergleich in Zahlen

Fluglos von Wien nach Oslo und retour:               Mit Flug (Vergleichsdaten via checkfelix.com):

142 Stunden (Hin, ebenso viele retour)                 Rund 10 Stunden

435,5 Euro                                                        130 bis 140 Euro

Den CO2-Ausstoß hätte ich gern verglichen, bloß die dazugehörigen Zahlen konnte man mir leider nicht liefern. 

Für mich steht fest: Die langsame Reise mit Bahn und Boot mag zeit- und kostenfeindlicher, dafür aber vermutlich etwas umweltfreundlicher sein. Erlebnisreicher ist sie allemal!