Wenn ein Tourist oder Reisender nach Wien kommt, dann wird von der musikalischen Tradition und den schönen Bauten geschwärmt. Das Schloss Schönbrunn und seine Gärten werden besucht, aber auch nach einigen moderneren Sehenswürdigkeiten, wie den Kunstausstellungen im Leopold Museum, wird gegoogelt.

Shades Tours und die Obdachlosigkeit

In meinem langjährigen beruflichen Kontakt mit Besuchern der österreichischen Hauptstadt wurde ich noch nie nach einer Tour betreffend Obdachlosigkeit oder anderer „Randgruppen“ in Wien gefragt. Noch nie wollte jemand mehr über die Problematik der Flüchtlinge in Erfahrung bringen, außer es hätte etwas mit eigener Sicherheit zu tun. Wien, die lebenswerteste Stadt der Welt, scheint immer nur ein Ort des schönen Vergangenen zu sein. Natürlich ist das etwas Wunderschönes, aber auch die Schattenseiten gehören zu unserer Stadt und sollten auf Neugierde stoßen.

Shades Tours veranstaltet Touren für interessierte Einzelpersonen oder Gruppen. Das Thema Obdachlosigkeit wird dabei von Menschen, die sich gerade in dieser Situation befinden oder es hautnah erlebt haben, während eines Spaziergang in der Stadt erklärt. Die 34-jährige Österreicherin Perrine Schober, die Tourismusmanagement in Deutschland studiert und sich während ihres Erasmus-Semesters in England auf die Thematik „Tourismus als volkswirtschaftliches Instrument der Armutsbekämpfung“ spezialisiert hat, gründete SHADES TOURS im April 2015.

Wien einmal anders erkunden

“Wusstet ihr, dass es in Notschlafstellen Zimmer mit bis zu 60 Betten gibt?”, fragt uns Barbara, unsere Guide an jenem Nachmittag. Ich bin ehrlich, nein, ich hatte noch nie wirklich darüber nachgedacht, wo obdachlose Menschen übernachten und vieles andere ist mir auch neu. Wir finden uns am Heldenplatz ein, wo die SHADES TOUR ihren Anfang nimmt und uns zu unterschiedlichen Orten im ersten Bezirk führen wird. Vom Treffpunkt aus gehen wir in Richtung Burggarten um dann vor der Franziskaner Kirche zu enden, wo es unter anderem von 9 bis 11 Uhr eine Armenausspeisung gibt.

Am Weg dorthin erzählt uns Barbara von ihrem persönlichen Schicksal. Sie war Galeristin bevor ihr Leben eine unglückliche Wendung nahm und ihr Brustkrebs diagnostiziert wurde. In Folge dessen wurde sie obdachlos und erkrankte an Depressionen. Doch jetzt geht es wieder bergauf, versichert sie kurz und so zufrieden, wie ein Mensch mit ihren Erfahrungen und Schicksalsschlägen in solch einem Moment eben sein kann.

Im Sommer gibt es in der Stadt Wien um die 800 Notschlafstellen, im Winter 1.500, erfahren wir. Sieben Tageszentren bietet die Stadt. Die Tageszentren sind offen für alle Betroffenen unabhängig ob Anspruch oder nicht. Einzige Ausnahme hier bildet die Gruft, diese ist nur für Anspruchsberechtigte Personen zugänglich deswegen wurde auch die zweite Gruft gegründet die ebenfalls offen für alle ist, mit dem Fokus auf Nichtanspruchsberechtigte. Anders verhält es sich bei den Notschlafquartieren die sind nur im Winter auch für nichtanspruchsberechtigte Personen offen. Meistens gibt es zwei abgetrennte Bereiche – einen für Frauen und einen für Männer. Somit sind Duschen, Schlafsäle, Räume mit Waschmaschinen und Begegnungsräumlichkeiten nach Geschlecht getrennt und Barbara bestätigt, dass es aus ihrer Sicht eine gute Idee sei. Denn dies vermeide Übergriffe, vor allem auch verbaler Natur.

Obdachlos in Wien

“Hungern muss niemand, man muss sich nur durch die Stadt bewegen”, denn Essen wird an vielen Orten verteilt unter anderem im Canisibus, auch Suppenbus genannt, und bei den Barmherzigen Schwestern. Auch auf medizinische Versorgung wird Wert gelegt. So gibt es nicht nur den Louise-Bus, der sich jede Woche durch die Stadt bewegt und an bestimmten Stationen Halt macht, im Akutfall müssen Spitäler unversicherte Menschen aufnehmen und behandeln. Eine Zahnklinik gibt es im zweiten Wiener Bezirk bei den Barmherzigen Brüdern, im neunerhaus findet sich ein praktischer Arzt sowie eine Tierklinik, die Tiernahrung abgibt. Eine andere Initiative, die erwähnt wurde ist der Kulturpass, mit dem Obdachlose Kulturhäuser besuchen und sich dadurch am Kulturgeschehen beteiligen können.

Interessant fand ich auch die Erläuterungen zu den Ursachen von Obdachlosigkeit: Jobverlust ist mit 50 Prozent der Vorreiter, darauf folgen Verschuldung, Süchte wie Alkohol- und Spielsucht, Krankheiten physischer und psychischer Natur, soziale Probleme und abschliessend die freiwillige Obdachlosigkeit. Viele weitere Informationen wurden vermittelt und auf viele Fragen eine Antwort gegeben.

Die SHADES TOURS sind absolut wert, gebucht und besucht zu werden! Sie sind nicht nur für Touristen, sondern vielleicht besonders auch für Einheimische, wertvoll. Es geht nicht unbedingt darum die Stadt zu erkunden, sondern dieser Stadt und ihren Bauten ein besseres Verständnis für Obdachlosigkeit einzuhauchen. Es war eine spannende und augenöffnende Erfahrung, die ich jederzeit wiederholen würde.

TEDx in der TUWien über Social Entrepreneurship

In diesem englischsprachigen Video hält Perrine Schober eine inspirierende Rede über soziale Initiativen und ihre persönlichen Erfahrungen. Die Gründerin der SHADES TOURS erzählt, wie ihre Träume in Form eines Businesses Gestalt annahmen und wie sie zu dem Thema der Obdachlosigkeit steht: “Think about it, we don’t focus on their strengths we focus on their weaknesses and that’s a pattern in our society.”

SHADES TOURS bietet Touren in deutscher und auch englischer Sprache, unter diesem Link kann direkt gebucht werden. Eine Tour dauert rund zwei Stunden und kostet 15 Euro pro Person. Private Gruppentouren können für Unternehmen und Schulen organisiert werden. Das neueste Angebot von SHADES TOURS ist das Afterwork Kochen im VinziPort.

Vielen Dank an SHADES TOURS für die Möglichkeit an der Stadtführung kostenlos teilnehmen zu können!