Gehzeit: 4 Stunden, Golinhac, Gite Communal Bellevue Chalets

Gemeinsam mit den anderen Pilgern nehmen wir das einfache Frühstück ein. Ein netter Herr ist unser Gastgeber. Heute dürfen wir den Tag auf einer alten Straße, im wohltuenden Schatten der Bäume, sehr bequem angehen. Wieder am Lot entlang. Einen Rastplatz am Weg nutzen wir für unsere morgendlichen Turnübungen bevor der Weg wieder steil bergauf geht. Die sanft hügelige Landschaft fordert dieses Auf und Ab heraus. Die Serpentinen der Straße werden durch steile Pfade abgekürzt. Gut, dass wir die Stöcke haben! Sie nehmen den Beinen einiges vom Rucksachtgewicht ab und die Arme dürfen auch trainiert werden. Zum zweiten Mal sehen wir eine überfahrene Viper auf der Straße. So ganz geheuer ist uns daher eine Rast auf den Steinen am Wegesrand jetzt nicht mehr. Durch den Start um 8 Uhr Früh und die guten Wetter- und Wegbedingungen sind wir schon um 13:30 am heutigen Ziel. In einer sehr gepflegten Ferienanlage bekommen wir ein kleines Chalet (Holzhäuschen) mit Terrasse. Fast wie zu Hause fühlen wir uns mit Zimmer-Küche-Kabinett. Die Sonne und ein Wäscheständer laden zum großen Waschtag ein. Es wird ein sehr friedlicher, geruhsamer Nachmittag. Viele Pilger finden sich auch in den Nachbarhäuschen und im Gite in der Nähe. Der Ort ist klein und unbedeutend mit einem Blick auf den Lot. Neben der Kirche befindet sich das einzige Restaurant, in dem wir mit allen anderen Pilgern das Abendessen bekommen. Wir sitzen an großen Tischen beieinander und lernen drei „mittelalterliche“ französische Damen etwas näher kennen und haben viel Spaß miteinander. Heiß ist es in der Nacht in unserem winzigen Schlafzimmerchen in der Hütte.

Gedanken auf dem langen Weg… Die Atmosphäre in den vielen alten romanischen Kirchen und Kapellen ist etwas ganz Besonderes. Sehr viel Kraft geht von diesen sparsam ausgestatteten Plätzen aus. Immer wieder kleine Details, die berühren. Sehr schön, dass die meisten Kirchen geöffnet sind, und die Möglichkeit bieten, Kerzen anzuzünden. Diese Gelegenheit lasse ich kaum aus. Die Kerzen brennen für meine Mutter mit dem Wunsch, dass ihr Leben wieder etwas heller werden möge. Für meine Kinder und süßen Enkelkinder – auch für Marie, die Katrin im August erwartet. Für meine Schwiegerkinder, meine Schwestern, Nichten und Neffe. Sie brennen auch für Konrads Kinder, Enkelkinder und Familie. Eine Kerze in Le Puy brennt für Roland mit dem ich den Jakobsweg begonnen habe. Meine PilgerfreundInnen, FreundInnen und auch die „Zeitengeister“ sind mit mir auf dem Weg und vor allen Dingen die Menschen, denen es gerade nicht gut geht. Wichtig ist es mir mit individuellen Kartengrüßen zu zeigen, dass sie mit mir auf dem Weg sind. In Frankreich gibt es auch in kleinen Orten noch Postämter!

Das lange Gehen, die Sonne, der Wind, der Regen, die Sterne, die Blumen, Bäume, Wiesen, Pfade, Wege, Straßen, Plätze, die Tiere… So viele Eindrücke Tag für Tag. Trotz Müdigkeit ist das Einschlafen nicht immer leicht und die Träume intensiv. Soviel Fülle bietet das Leben. Die Kerzen brennen auch für den und die Wege, die Konrad und ich gemeinsam gehen. Sehr verschiedene Lebenswege liegen hinter uns. Wie soll der zukünftige gemeinsame Weg beschaffen sein? Viele Gedanken kreisen um dieses Thema. Persönliche Selbstzweifel gehören dazu. Wie weit Anpassung, wie weit Individualität? Wann gehen wir auseinander, nebeneinander, zueinander? Jeder Tag ein Neuanfang – wie der Jakobsweg. Am Abend der verbrauchte, müde Körper. Am Morgen der Körper erholt und frisch und der Tag gänzlich neu.