„…und stell dir vor, wer mein Blind-Date in Paris war: Meine große Liebe, die ich zehn Jahre nicht gesehen hatte!“ Colettes Augen leuchten, ihre Stimme zittert noch vor lauter Freude als sie mir ihre Geschichte erzählt. Wir sitzen im Pub mit unaussprechlichem Namen, „An Teach Beas“ (übersetzt: „Das Kleine Haus“), in Clonakilty im Süden Irlands. Colette habe ich gerade erst kennen gelernt, aber ich weiß schon viel über sie: Dass ihr Mann vor wenigen Jahren gestorben ist zum Beispiel, und dass ein Bekannter sie vor einiger Zeit nach Paris mitgenommen hat. Aber nicht nur sie, sondern auch einen seiner Freunde, und der hat sich als eben jene verloren geglaubte Jugendliebe aus der irischen Heimat entpuppt. Sagt’s und schnappt sich – noch bevor ich völlig in melancholische Romantik abdrifte oder mich an Rosamunde Pilcher erinnert fühle – ihren mittlerweile Angetrauten und singt ein Ständchen.
Mit einem Zufall hat unser Aufenthalt in der irischen Kleinstadt Clonakilty, in der Nähe von Kinsale und Baltimore, am Nachmittag desselben Tages auch begonnen: „Ich war da schon einmal!“ Kaum bei der Einfahrt des Bed & Breakfast angekommen, platzte meine Freundin Steffi bereits heraus: „Das gibt’s doch nicht. Beim letzten Mal habe ich ebenfalls hier geschlafen!“ Ich weiß nicht, wer ungläubiger und überraschter aus der Wäsche schaut: Sie oder wir – Marietta und ich -, die wir auf den Hinterbänken den ersten Blick aufs weiße Herrenhaus der Macliam Lodge erhaschten.
Was für ein Zufall, dass wir uns ausgerechnet in der Unterkunft einquartiert haben, in der Steffi vor einigen Jahren ihren Geburtstag gefeiert hat. Absicht war es jedenfalls keine, haben wir doch schlicht und einfach das erste freie Bed & Breakfast genommen, das uns am Vortag in unserer ersten Herberge vorgeschlagen wurde. So macht man das schließlich auf spontanen Roadtrips durch Irland, ich – oder besser gesagt wir – zumindest.
Mehr Plan hingegen steckte hinter unserer Abendgestaltung: Ein Pub musste her, am besten mit Livemusik, aber das sollte ja in einem typisch irischen Städtchen an einem Samstagabend leicht zu finden sein. War es auch!
Und wir waren nicht die einzigen mit dieser Idee. Keine halbe Stunde später – wir haben gerade unser erstes Pint getrunken – ist das kleine Lokal rappelvoll. Ich übertreibe nicht: Kein Sessel, kein Barhocker, keine Ecke ist mehr frei. Überall sitzen, lachen, plaudern, trinken Menschen, Paare und Singles, Junge und Alte. Da grüßt jeder jeden, es wird geherzt und umarmt, es werden alte und neue Bekanntschaften geschlossen, Geschichten erzählt – wie die von Colette. Wir drei – eine US-Amerikanerin, eine Deutsche, die in Irland lebt, und eine österreichische Reisende – sind mittendrin, gehören dazu. Okay, wir singen nur leise oder gar nicht mit, wenn die irischen Klänge der Live MusikerInnen erklingen – wir können ja schließlich nicht den Text – und wir stimmen auch nicht selbst ein Liedchen an, wie unsere Mitfeiernden. Aber wie die anderen sind wir berauscht von der Musik, der ausgelassenen Stimmung, den freundlichen Menschen – und sicher auch ein bisschen vom Bier…
Was für ein Glück wir an diesem Abend haben, erfahren wir erst beim Frühstück am nächsten Tag: Normalerweise gehen die Einheimischen am Samstag nicht ins An Teach Beas, denn die Live Band spielt in einem anderen Pub. Reiner Zufall, dass es gerade an diesem Wochenende anders war…
P.S.: Dass ich als Vegetarierin ausgerechnet Clonakilty – Heimat von Irlands berühmtestem Black Pudding alias Blutwurst – als meine Lieblingskleinstadt auserkoren habe, ist zugegeben schon etwas ironisch. Vor allem weil Colette – die mit der Wiedervereinigungsgeschichte – keine Geringere als Colette Twomey war, ihres Zeichens Besitzerin von „Clonakilty Blackpudding“. Wo die Liebe hinfällt…