In meinem letzten Kolumnenbeitrag ging es um das bewusste Nichtstun mit dem Ziel, einen Zustand der Entspannung zu erreichen und gleichzeitig neue Kräfte und Energien aufzubauen. Heute möchte ich euch ein paar Methoden für die aktive Schaffung von Ruhe-Inseln im Alltag vorstellen. Damit meine ich die Einrichtung und Wahrnehmung von kurzen gedanklichen Auszeiten, die man auch gut in einen langen Arbeitstag integrieren kann.

Gleich vorweg: Diese Übungen sind etwas sehr Persönliches. Es gilt in erster Linie zu experimentieren und zu beobachten, denn wir Menschen sind alle verschieden und daher funktioniert natürlich nicht jede Technik bei jedem gleich gut. Probiert die Techniken einfach aus und seht, was mit euch passiert, was am besten funktioniert und was ihr für euch selbst erfolgreich abändern könnt. Das Wichtigste ist immer, dass ihr euch wohl dabei fühlt.

Die folgenden Übungen zur Schaffung eurer Ruhe-Inseln nehmen jeweils nur drei bis zehn Minuten Zeit in Anspruch. Am Anfang kann es möglicherweise etwas länger dauern, wenn die Gedanken noch zu schnell abschweifen und unbedingt zu dem komplexen Projekt auf dem Schreibtisch zurückkehren wollen. Aber auch hier gilt: Übung macht den Meister.

Ruhe-Insel 1: Platz zum Atmen
Zum Einstieg liegt der Fokus auf der bewussten Atmung. Atmet durch die Nase ein und zählt dabei gedanklich langsam bis sechs. Haltet die Luft kurz an. Dann atmet durch den leicht geöffneten Mund wieder aus, zählt dabei ebenfalls langsam bis sechs. Das Ganze wiederholt ihr zehnmal hintereinander. Meistens spürt man nach dieser ersten Übung schon einen deutlichen Unterschied zu vorher. Die Atmung ist einer der wichtigsten Bestandteile der Entspannung überhaupt, denn schon bei der kleinsten Aufregung verändert sie sich. Das Herz schlägt schneller, die Atemfrequenz wird erhöht. Schnellere Atmung bedeutet aber gleichzeitig flachere und damit weniger effektive Atmung. Daher müssen wir zuallererst immer zu einer ruhigen, tiefen Atmung zurückfinden. Oft reichen diese bewussten Atemzüge schon als Entspannung für Zwischendurch, weil die meisten von uns das richtige Atmen im Laufe der Zeit verlernt haben.

Ruhe-Insel 2: Negatives Eliminieren
Was gibt es, das euch aus eurer Mitte bringt? Welche Personen, Projekte oder Pflichten bewirken, dass ihr euch schon beim bloßen Gedanken daran verspannt? Seid ehrlich zu euch selbst. Nur keine Scheu, es kann und wird euch niemand kontrollieren oder gar mit dem Finger auf euch zeigen. Es dürfen also durchaus auch die eigenen Kinder sein.

Wenn ihr den oder die Übeltäter identifiziert habt, stellt euch vor, ihr packt all diese kleinen und großen Ärgernisse in ein Segelboot. Habt ihr es fertig beladen, dann holt tief Luft, atmet ganz langsam aus und füllt das Segel mit eurem Atem. Seht ihr, wie das Boot sich langsam in Bewegung setzt? Mit jedem Atemzug entfernt es sich weiter. Winkt ihm hinterher und beobachtet, wie es mit dem Ballast langsam am Horizont verschwindet.

Übrigens: Je konkreter ihr seid, desto besser funktioniert dieses Gedankenspiel. Wenn also genau „diese eine Kollegin“ euch gerade den letzten Nerv raubt, schickt auch nur sie auf die Reise und hebt euch den Rest für ein anderes Mal auf. Der Vorrat an Segelbooten ist unerschöpflich.

Ruhe-Insel 3: Gedankenreise
Versetzt euch gedanklich zurück in den letzten (schönen!) Urlaub oder malt euch euren absoluten Traumurlaub aus. Wo seid ihr? Wie sieht die Landschaft aus? Was macht ihr? Seid ihr am Strand? Spürt ihr den warmen Sand zwischen euren Zehen? Weht euch eine salzige Meeresbrise die Haare ins Gesicht? Malt euch die Details aus. Das kann der Duft einer schönen Blume sein, genauso wie das Gefühl, nach einer langen Wanderung auf einem dreitausend Meter hohen Gipfel zu stehen und in die Ferne zu blicken. Fantasiert und genießt die Zeit. Achtet dabei auf eine ruhige, tiefe Atmung.

Wenn ihr fertig seid, steht nicht sofort wieder auf und stürzt euch in die nächste Besprechung oder auf den nächsten Punkt der To-do-Liste, sondern schließt die Übung bewusst ab. Atmet ein paar ruhige Atemzüge tief durch und räkelt, streckt oder windet euch. Spannt alle Muskeln an, haltet die Spannung für ein paar Sekunden und dann lasst wieder los. Bedankt euch bei euch selbst für die Aufmerksamkeit, am besten mit einem Lächeln. Dann kann es weiter gehen.

 

Solltet ihr diese Übungen am Arbeitsplatz machen, kommen wir um ein Thema nicht herum: Wie geht man mit Störungen um? Das Telefon läutet, das E-Mail-Postfach füllt sich, die Kollegen (oder Zuhause: die Kinder) stehen plötzlich da. Im Idealfall führt ihr die Übungen zumindest am Anfang an einem ruhigen Ort durch, wo all diese Störquellen nicht vorhanden sind. Wenn ihr einmal euren eigenen Weg gefunden habt, bringen euch Störungen aber nicht mehr so durcheinander, wie es am Anfang der Fall sein kann. Wichtig ist auf jeden Fall, dass ihr euch nicht unter Druck setzt. Wenn die Gedanken abschweifen, führt sie behutsam wieder zurück, aber ärgert euch nicht darüber. Es ist ganz normal, ein Gedankenchaos hervor zu rufen, wenn man mit dem Üben beginnt.

Habt ihr diese (oder andere) Übungen schon ausprobiert? Was sind eure Erfahrungen damit? Was sind eure Tricks, um zwischendurch den Kopf frei zu bekommen?