„Denk‘ einfach an einen Thunfisch-Salat mit Beeren statt Sellerie,“, meint Debbie, während sie tief Luft holt und die letzten Schritte bergauf in Angriff nimmt, „das hört sich einfach besser an als Obstsalat mit Fisch.“ Gut, dass sie meine zweifelnd gerunzelte Stirn erst gar nicht sieht. Hört sich das wirklich besser an? Noch hat sie mich nicht überzeugt.
Aber interessiert bin ich auf jeden Fall, erzählt mir die 56-Jährige, die sich in Anchorage als mein Last-Minute-CouchSurfing-Gastgeber und wahrer Glücksgriff entpuppt hat, doch von einem typischen Gericht in Alaska. Einem, das man auf keiner Speisekarte findet.
„Wir nennen es etwas Gemischtes – und man kennt es auch als Eskimoeis.„, erklärt mir Senar – nachdem ich vergessen habe, nach ihrem Namen zu fragen, benenne ich sie einfach nach der Inuit-Göttin der See, der Seetiere und der Unterwelt. Senar ist gerade wie viele andere Eskimo-Frauen, -Männer und -Kinder dabei, im Chugach State Park die Schwarzen Krähebeeren zu pflücken. Nicht wie wir mit der Hand, sondern mit einem speziellen Apparat werden die kleinen Beeren aus den Boden hohen Sträuchern gesammelt und leichter aus dem Dickicht gelöst. Ganze Tage sind die Familien im Einsatz, um einen Vorrat für den Winter anzulegen. Auch Senar ist schon seit 11 Uhr vormittags gemeinsam mit ihrem Mann und ihrer Enkelin (dass die Frau Großmutter ist, hätte ich nie und nimmer vermutet) auf den Beinen. „In diesem Jahr sind wir zum ersten Mal hier.“, meint sie, während sie weiter ihre Arbeit tut – die Eimer müssen schließlich gefüllt werden. Es ist auch ein perfekter Tag dafür: Ich habe nämlich unglaubliches Glück und Alaska hat mich bei strahlend blauem Himmel, Sonnenschein und Temperaturen begrüßt, die sich meine Lieben in Österreich beim herbstlichen Nieselwetter offenbar nur erträumen können.
Genau das schöne Wetter war ein Grund, warum mich Debbie gleich zu einer Wanderung nach Flattop Mountain östlich von Anchorage mitgenommen hat. Das, und um ihren inneren Schweinehund ein bisschen zu überlisten und wieder in Form zu kommen. Mir solls recht sein: Ich genieße die gemächliche Bergauf-Wanderung, die an diesem herrlichen Samstag nicht nur wir, sondern der Menschenmenge nach zu urteilen ganz Anchorage auf sich genommen hat. Nach der Tageswanderung in Mount Rainier, Washington, mit meiner Sportskanonen-Freundin Mari – seitdem sie untrainiert den Marathon in unter vier Stunden gelaufen ist, nenne ich sie nur noch „die Maschine“ – kann ich etwas Ruhe und Gemütlichkeit gut gebrauchen!
Außerdem ist die zweistündige Rundwanderung eine gute Gelegenheit, mehr über Alaska, die Kultur und vor allem auch die Ureinwohner, die Eskimos, zu erfahren. Deb ist genau die Richtige dafür, arbeitet sie doch für den Staat von Alaska und bringt seit über 20 Jahren fließendes Wasser in die zahlreichen, noch immer abgelegenen, nur mit dem Flugzeug erreichbaren Dörfer der Eskimos. Wie gern ich sie bei einem ihrer monatlichen Business-Trips begleitet hätte, brauche ich wohl nicht zu sagen. Dummerweise ist der Nächste erst Mitte September wieder dran, und da bin ich schon zurück in Österreich.
„Wirklich gut schmeckt es nicht.“, weiß Debbie dementsprechend auch von zahlreichen Kostproben dieses „Eskimo-Eises“ bei ihren Besuchen in den Dörfern zu berichten. Früher wurde das Ganze aus Rentierfett oder Talg, Robbenöl, Fisch, frischem Schnee und den im Sommer gepflückten Beeren zubereitet. Viel geändert hat sich am Rezept bis heute nicht – nur Robbenöl wird kaum noch eingesetzt. Zugegeben, verlockend klingt für mich anders…
Geändert hat sich auch nichts daran, dass man das Eskimo-Eis bis heute nirgendwo kaufen, geschweige denn in einem Lokal bestellen kann. Davon darf ich mich auch gleich am nächsten Tag überzeugen: Nicht einmal bei der State Fair – dem Volks-, Erntedank- und Was-weiß-ich-noch-alles-Fest, das für zwei Wochen das kleine Städtchen Palmer eine Stunde nördlich von Anchorage zur Feier-Hochburg werden lässt – findet man von diesem „Fisch-Obstsalat“ eine Spur. Alles gibt es – von Rentier- bis Lachswurst, von Büffel- oder Husky(!)-Burger -, bloß kein Eskimo-Eis…
Wer es doch probieren will, der findet im Internet eine moderne Version des Rezepts – ob ich es zuhause nachzukochen versuche? Irgendwie glaube ich hat sich bei mir die Lust auf Obstsalat mit Fisch nicht ganz entwickelt. Aber wer weiß, vielleicht kommt das ja nach weiteren zehn Tagen hier in Alaska noch…*
* Ja, ich bin noch immer Vegetarierin und esse keinen Fisch. Für Alaska habe ich mir die Ausnahme gestattet, doch Frischgefangenes zu mir zu nehmen, sollte es keine Alternativen geben. Bisher war es aber noch nicht nötig – und nachdem ich das riesige Gemüse (samt lila Blumenkohl = Karfiol) gesehen habe, glaube ich auch, dass ich ganz gut ohne Fisch auskommen werde.
Offenlegung: Herzlichen Dank an Condor für die Unterstützung bei den Flügen, an Airbnb und Best Western für Übernachtungs-Gutscheine sowie an die Regionen Anchorage und Fairbanks für den Support.