Die Zähne werden im Kampf gefletscht: Wer ist der Stärkere? Wer kann den ausgelatschten Schuh, den ein Wanderer vor Urzeiten hier verloren hat, an sich reißen? Es ist der alles entscheidende Moment. Und ausgerechnet in diesem werden die beiden Fuchswelpen, die sich hier spielerisch aneinander messen, ertappt. Ein Schnappschuss, wie er wohl nur in einem versteckten Winkel eines Waldes auf dem Land oder im Zoo gelingt. Dachte ich. Doch die Initiative Wiener Wildnis beweist das Gegenteil. Mitten in der Großstadt Wien mit ihren fast zwei Millionen EinwohnerInnen findet das Team rund um die Initiatoren, das international bekannte Fotografenehepaar Georg Popp und Verena Popp-Hackner, nicht nur die beiden Fuchswelpen, sondern Biber, Hasen, Rehe, Igel und natürlich unzählige Vögel. Diese „eindrucksvolle urbane Natur Wiens“ (O-Ton Website) möchte das Projekt seit November 2012 den WienerInnen und BesucherInnen der Hauptstadt multimedial näher bringen.
Mehr als 50 Prozent Wiens ist Grünfläche. Auf jeden Bewohner der Stadt fallen rund 120 Quadratmeter Grünfläche. 2.300 Hektar der Lobau, die wiederum ein Drittel des Nationalparks Donau-Auen abdeckt, und 9.900 Hektar des Wienerwalds sind im Wiener Stadtgebiet zu finden. Und in Letzterem gibt es um die 2.000 verschiedenen Pflanzen- und 150 Brutvogelarten. Dass Wien mit seinen Parks, den Gartenanlagen und überall entstehenden Urban Gardening Projekten ziemlich grün ist, ist kaum zu übersehen und macht die Stadt nicht nur für mich besonders lebenswert. Die Eckdaten, die auf der Website der Wiener Wildnis nachzulesen sind, sind aber dann doch noch einmal beeindruckend. Und nachdem ich es liebe, die verschiedensten Seiten meiner Wahl-Heimatstadt zu entdecken – habe ich den Koordinator Michael Ganzwohl zum Projekt befragt.
Doris: Was genau ist euer Ziel, was steckt hinter der Wiener Wildnis?
Michael: Wir wollen durch unseren Multimediaansatz neue Eindrücke der Stadt zeigen, die so den meisten Menschen nicht bekannt sind. Dadurch führen wir letztendlich zu Themen, Awareness und schlussendlich Engagement. Wir wählen dazu die Visualisierung als Dreh- und Angelpunkt für die Botschaften, die wir vermitteln wollen. Die heutigen Kommunikationswege sind ja bereits stark auf das schnelle Konsumieren ausgerichtet, erst wenn die Hürde des „Wegzappens“ genommen ist, beginnt die nähere Beschäftigung mit einem Thema. Fotografie oder kurze Videos bieten sich an, Menschen zu fesseln und darauf basierend kann nachhaltiges Interesse geweckt werden.
Was sind eure liebsten Stücke Wiener Wildnis – Plätze, Motive? Woran könnt Ihr euch nicht satt sehen?
Es ist aus meiner Sicht nicht so sehr der eine Platz oder ein besonderes Tier, an dem man sich nicht satt sehen kann. Es ist der Blick, den man entwickelt, wenn man sich mit der Thematik auseinandersetzt. Ich als Projektkoordinator bin ja nicht ständig in Wien unterwegs so wie die Wiener Wildnis Fotografen. Aber wenn ich sie begleite oder selbst mit meinen Kindern unterwegs bin, so ist es schlussendlich die Stadt selbst, an der man sich nicht satt sehen kann – weil man eben ständig neue Perspektiven erkennt, anders hinsieht und noch in den kleinsten Ecken die Eroberung der Stadt durch Fauna und Flora erkennt. So wird jeder Ausflug eine Entdeckungsreise.
In wie weit wollt ihr auch aufrütteln – einige Beiträge sind ja sehr stark umweltschützend unterwegs?
Vorab: Wir wollen ein positives Bild der grünen Metropole Wien zeichnen. Wien wird ja regelmäßig als eine der lebenswertesten Städte der Welt ausgezeichnet. Die bekannte Mercer-Studie beispielsweise, vergibt seit Jahren Bestnoten in der Kategorie „Quality of Life“. Das wollen wir vor allem zeigen. Unsere Beiträge sind also eher „umweltzeigend“ als „umweltschützend“. Aber selbstverständlich streifen wir bei unseren Beiträgen auch an sensible Bereiche an der Schnittstelle zwischen Mensch und Natur an. Diese wollen wir keinesfalls aussparen, aber neutral zeigen. Wir trauen es den Menschen durchaus zu, sich dann ein eigenes Bild zu machen.
Wie kann man eurer Meinung nach Wiener Wildnis am besten entdecken?
Einfach die nächste Straßenbahn nehmen und die Augen offen halten… Wir geben auch regelmäßig Ausflugstipps im Rahmen unserer Homepage-Beiträge (Rubrik „Location“ unter Berichte).
Wie kann man bei euch mitmachen?
Wir sind auf Hinweise aus der Bevölkerung angewiesen, um die echten Juwelen abseits der bekannten Hotspots, zu erfahren. Auf der Homepage wienerwildnis.at können Location-Hinweise abgegeben werden oder direkt auf wienerwildnis@wienerwildnis.at. Auch auf Facebook wird bereits fleißig mitdiskutiert und kommentiert. Wir wünschen uns, im Forum Geschichten über die Stadt, über den Bezirk, über das eigene „Grätzl“ zu lesen, wenn möglich mit Fotodokumentation von Begegnungen mit der urbanen Natur.
Was sind eure Pläne für die Zukunft?
Wer direkt in die Wiener Wildnis eintauchen möchte, wird in Zukunft die Möglichkeit haben mit uns im Rahmen von Exkursionen und Workshops durch die Stadt zu streifen. Der Fokus wird dabei sowohl auf dem Naturerlebnis als auch auf der Fotografie liegen. Das ist aber noch in Planung, und wir werden darüber noch detaillierter informieren. Weiters sind AV-Shows und Ausstellungen geplant. Das langfristige Ziel für Wiener Wildnis ist eine Plattform für die urbane Natur Wiens zu etablieren.
Danke für das Gespräch – ich freue mich auf mehr Wiener Wildnis!