Ankunft, Shopping-Unlust und Feel Good Guru

Und auf einmal stehe ich da. Soweit entfernt von zu Hause wie noch nie zuvor, verwirrt durch den Jetlag und mit einem schlechten Gewissen wegen der Emissionen der Flugreise. Zielort Toronto erreicht. Hier werde ich also die nächsten sechs Monate verbringen. Ich hieve meinen schweren Koffer in den Bus, nachdem ich zuvor planlos am Flughafen nach der Haltestelle gesucht hatte. Erleichtert lasse ich mich auf den Sitz fallen und bin froh, bald angekommen zu sein. Die ersten Tage darf ich bei einer Freundin unterkommen, bis ich ein Zimmer gefunden habe. Als ich bei ihr eintreffe, möchte ich eigentlich nur noch ins Bett. Es ist erst 21 Uhr, aber nach deutscher Zeit drei Uhr morgens. Die ersten Stunden kann ich gut schlafen, doch ab vier Uhr morgens liege ich wach. Und während ich so da liege, denke ich darüber nach, wie mein Leben hier wohl werden wird. Ich denke an all die grünen Ecken, die ich in Toronto erkunden möchte. Die veganen Restaurants, von denen ich gelesen habe. Die biologische Food Coop, die Meditation, Community Gardening, biologische Märkte. Vor meiner Ankunft habe ich recherchiert, wo ich überall hin möchte. Als es fünf Uhr ist und ich immer noch nicht einschlafen kann, stehe ich auf. Der Jetlag wird sich über die nächsten Tage schon ausschleichen.

Der erste Tag startet und meine Freundin hat mir angeboten, dass wir gemeinsam über die Queen Street schlendern. Dort solle es viele kleine Läden geben, sagt sie. Ich stimme zu und wir laufen los. Zum Glück ist das Wetter derzeit sehr mild. Es sind bloß minus fünf Grad. Doch das soll sich in den nächsten Tagen ändern. Bis zur Queen Street laufen wir etwa eineinhalb Stunden. Als wir angekommen sind, zieht mich meine Freundin von Laden zu Laden. Ich hatte kleine alternative, lokale, vielleicht auch Second-Hand-Läden erwartet. Stattdessen handelt es sich um Kleiderläden, die teilweise relativ teure Designermode verkaufen. Ich stelle fest, wie wenig Reiz das „Shopping“ auf mich ausübt. Obwohl viele Sachen stark reduziert sind, habe ich keine Intention irgendetwas zu kaufen. Seit ich eine konsumreduzierende und nachhaltige Einstellung habe, hat sich irgendwie einiges geändert. Früher hätte ich neugierig in den Läden gewühlt und sicherlich etwas gekauft oder wäre zumindest in Versuchung geraten. Heute sehe ich die ganzen Ressourcen, die für dieses Kleidungsstück verwendet wurden, die Pestizide und Chemikalien, die unmenschlichen Produktionsumstände und die fehlende Notwendigkeit für noch einen weiteren Pullover. Ja, vielleicht werde ich im Laufe meines Aufenthalts noch etwas brauchen. Ich bin ja bloß mit einem Koffer nach Kanada gekommen und werde ein halbes Jahr hier verbringen. Aber wenn sich das herausstellt habe ich mir vorgenommen, nach einem Second-Hand Laden zu suchen oder nach einem Geschäft, das Bio-Kleidung verkauft. Trotzdem genieße ich den Tag. Die Sonne scheint, es macht mir nichts aus auf meine Freundin zu warten, ich erkunde die neue Umgebung und freue mich einfach, dass ich den Tag gemütlich verbringen kann.

Irgendwann entdecke ich auf der Straße dann doch einen Liebling. Es geht allerdings nicht um Kleidung, sondern um Essen. Als wir Feel Good Guru betreten, fühle ich mich sofort aufgehoben und verstanden. Schon der Untertitel hat mich voll und ganz überzeugt: „Hyper-local super-awesome organic plant-powered food“. Feel Good Guru ist ein veganes Imbisslokal, das seine Zutaten teils selbst im Garten und sogar im Lokal anbaut, und teils von lokalen Bauern bezieht. Das Unternehmen möchte so wenig Wasser und Müll wie möglich verbrauchen. Alle Zutaten sind biologisch und die Speisekarte ist weitestgehend rohköstlich, sehr grün und sehr gesund. Kurz gesagt also genau das Essen, das ich jeden Tag essen möchte. Neben unterschiedlichsten grünen Smoothies gibt es viele Salate, Gemüse-Spaghetti, Sprossen im Mangold-Wrap, rohköstliche Falafel, roh-vegane Desserts und vieles mehr. Ich bin hellauf begeistert und kann mich kaum entscheiden, weil einfach die gesamte Speisekarte gut klingt.

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Letztendlich wähle ich das Avocado-„Käse“-Sandwich. Klingt erst einmal nicht so gesund, oder? Tatsächlich besteht das Brot allerdings aus getrockneten Tomaten und Sprossen. Ich bin hin und weg. So etwas möchte ich auch machen können. Ich nehme mir vor, hierfür auf jeden Fall ein Rezept heraus zu finden. Aber wahrscheinlich benötigt man dafür ein Dörrgerät, womit man Essen schonend trocknen kann, welches mir hier natürlich nicht zur Verfügung steht. Gefüllt ist das leckere Sprossenbrot mit Avocado, Cashewcreme, Tomaten, Salat, Sprossen und veganem, selbst gemachten, Senf. Es schmeckt wie ein Gedicht. Sitzgelegenheiten gibt es leider insgesamt nur vier, aber wir haben Glück und schauen direkt auf den verschneiten Park gegenüber, in dem sich vier schwarze Eichhörnchen tummeln. Gurkenwasser gibt es gratis dazu. Mein erster Tag in Toronto hat gleich mit einer tollen Entdeckung angefangen. Ich freue mich über die nächsten Teile meines Abenteuers im großen weißen Norden. Bei meinen nächsten grünen Erlebnissen in Kanada entführe ich euch unter anderem in einen eiskalten Winter und zum besten Schokoladengenuss, den ich je hatte.