Wir verstehen unsere Reisen nicht als Aussteigen auf Zeit, wir haben einen Lebensstil gefunden, der uns fasziniert und inspiriert und werden, solange wir dazu Lust haben, versuchen, unserer Liebe zur See treu zu bleiben.

Es ist dieser Satz, der BesucherInnen auf der Website von fortgeblasen gleich zu Anfang in die Augen sticht. Zumindest mir ist es so ergangen. Nein, die beiden Österreicher Claudia und Jürgen sind nicht ausgestiegen, sondern mitten im Leben. Ein Leben, das für viele ungewöhnlich erscheinen mag, sind die beiden doch seit 1995 gemeinsam unterwegs – einen Großteil der Zeit davon über die Weltenmeere segelnd.

Ich habe die beiden dazu via E-Mail befragt. Hier sind Claudias Antworten – direkt aus Grönland. Genauer gesagt von der Westküste Grönland Sisimiut, dort sind die beiden nämlich gerade unterwegs ins arktische Kanada, um die Nordwest Passage zu fahren.

Doris: Ihr seid seit 1995 unterwegs, wie kam es dazu?

Claudia: Ich würde mal sagen: Die „zwei Richtigen“ haben sich gefunden. Wir waren beide reiselustig und so sind wir bald aufgebrochen.

Sie führen ein Leben, das für andere ein "Ausstieg" ist - für sie nicht. Foto: fortgeblasen

Sie führen ein Leben, das für andere ein „Ausstieg“ ist – für sie nicht.

Ihr wart ja beide sehr jung – 20 und 24 Jahre alt -, wie sehr hat sich euer Anspruch ans Leben, ans Reisen seither verändert?

Wie sehr hat sich unser Anspruch ans Leben geändert? Wir sind uns zwar nicht ganz sicher, ob wir die Frage richtig verstehen, aber wenn es darum geht, wie sich unsere Lebensanschauungen verändert haben, dann können wir vielleicht sagen, dass wir über die Jahre möglicherweise etwas unangepasster geworden sind, falls das geht. Unser Bedürfnis nach Selbstbestimmtheit und Freiheit ist, glaube ich, stärker geworden  Ich glaube schon, dass wir von unserem eingeschlagenen Lebensweg sehr geprägt worden sind und so ist es möglich, dass wir leicht exzentrisch geworden sind.

Die La Belle Epoque haben sie selbst restauriert. Foto: Fortgeblasen

Die La Belle Epoque haben die beiden selbst restauriert.

Die Änderung unseres Anspruchs ans Reisen? Ich denke, der ist vollwertiger geworden. Als Jugendliche steckte in mir sicher noch der Drang in die Fremde nach dem Motto „Österreich ist langweilig“ drin, das ist natürlich komplett verschwunden. Dafür ist heute das „Rundum“ wichtiger geworden – Wetterkunde, Wissen über Natur, Kultur, Beobachtungen. Die Zusammenhänge verstehen lernen, das eigene Verständnis von der Welt immer wieder erneuern. Gerade deshalb passt für uns auch das Segeln so gut: Denn damit zwingen wir uns praktisch, mit der Natur zu leben, die Abläufe zu beobachten, zu verstehen und damit umgehen zu lernen. Natürlich hat sich aber mit dem Alter auch der Anspruch des Reisens geändert: Die Strapazen unserer ersten Segelreise würde ich nicht mehr haben wollen – oder anders gesagt, wir sind etwas „g’scheiter“ geworden und wissen etwas mehr, wie es geht.

Wie viele dieser Jahre habt ihr auf einem bzw. mehreren Segelbooten verbracht – und gibt es da nie den Moment, wo ihr wieder festen Boden unter den Füßen haben wollt?

Etwas über acht Jahre. Über die Frage muss ich lachen, denn natürlich gibt’s die Momente – zum Beispiel, als wir im Jahr 2000 in einem Sturm in Seenot geraten waren und per Hubschrauber vom leck geschlagenen Boot abgeborgen wurden.

Das Leben auf hoher See ist zum Alltag geworden. Foto: fortgeblasen

Das Leben auf hoher See ist zum Alltag geworden.

Eure Seite fortgeblasen.at soll auch ein Infopool für Lang-SeglerInnen sein – was sind die drei wichtigsten Tipps, die ihr diesen geben könnt?

Es gibt nicht drei wichtige Tipps, deshalb der Infopool. Und falls es die gibt, müssen die auf keinen Fall für jeden gelten. Ich denke, wenn ich jemandem einen „Einsteiger-Tipp“ geben will, dann ist das der, dass man nicht den gängigen Ansichten über Boot und Material, den gängigen Routen über die Weltmeere oder den gängigen Zeitplänen der Segler folgen muss. Vieles ist möglich und Schafe gibt es schon genug! Das heißt allerdings nicht, dass wir Segelreisen ohne Plan und ohne Informationen über die Segelgebiete machen oder empfehlen.

Der „Vorwurf“ des Aussteigens, kommt der noch oder hat man euer Leben so akzeptiert? 

Viele Menschen sehen in uns – glaube ich – Aussteiger, wahrscheinlich, weil es nur so in ihr eigenes Weltbild passt und vielleicht auch, weil die Idee des Aussteigen etwas romantisiert wird. Ich bin kein Aussteiger, schon alleine deshalb, weil ich noch nie „eingestiegen“ bin. Zwei Wochen nachdem ich die Matura in der Hand hatte, ging unsere erste Reise (noch nicht mit Segelboot) los. Ich bin aber auch kein Aussteiger, weil wir sehr wohl wie gestört geschuftet haben, damit wir uns dieses Leben irgendwie leisten können. Wir haben uns eine Basis aufgebaut, von der wir jetzt leben können, haben ein winziges Einkommen und zahlen Steuern. Wir sind also nicht ganz draußen aus dem System (also weniger romantisch und mehr pragmatisch…).

Wie sah und sieht eure Familie zuhause eure Entscheidung, so unterwegs zu sein?

Mein Vater hat uns immer gepredigt, dass man nicht einfach träumen soll. Man soll seine Träume in Visionen verwandeln und dann daran arbeiten, sie auch umzusetzen. Ich muss zugeben, dass er sicherlich nicht daran gedacht hat, wohin meine Träume reichen könnten, meine ganze Familie ist so gestrickt – und sie zeigen mir immer wieder, dass sie stolz auf meine Art sind, mich zu verwirklichen (auch wenn sich Mum oft genug Sorgen macht). Jürgens Eltern sind da, glaube ich, sehr einfach gestrickt, nach dem Motto: Wir sind erwachsen und werden schon wissen, was wir tun. Sie geben uns das Gefühl, volles Vertrauen in uns zu haben.

Den schönsten Moment - der ist schwer auszumachen. Foto: fortgeblasen

Der schönste Moment – der ist schwer auszumachen.

Jede Entscheidung für etwas, heißt auch, sich gegen etwas zu entscheiden. Was war oder ist beides für euch?

Es gibt tausend Dinge, die wir gerne machen würden. Es gibt viele Arten an Leben, die interessant für uns wären. Manches verschieben wir auf später (eine Wüstenrallye…), manches wird sich leider nicht ausgehen. Was uns am meisten fehlt, haben wir allerdings nur verschoben: Tiere und die Möglichkeit, unsere Lebensmittel selbst zu produzieren, sprich, eigenes Land. Wir werden sicherlich nicht ewig Segeln und so können wir auch an diesem Wunsch irgendwann mal arbeiten.

Die Frage kommt natürlich immer wieder: Wie verdient ihr euren Lebensunterhalt? Und wie viel Geld braucht ihr überhaupt durchschnittlich im Monat?

Und die Antwort ist immer wieder unbefriedigend: Wir haben uns einen kleinen Besitz aufgebaut, von dem wir Einkommen haben, und man braucht so viel Geld wie man eben hat…

Es gibt wohl viel Atemberaubendes – und Bilder davon auf der Website.
Die La Belle Epoque ist euer Schiff, sie gehört euch? Wie lange hat die Restaurierung gedauert und wie wichtig war es für euch, die Restaurierung auch selbst durchzuführen?

Ja, La Belle Epoque ist schuldenfrei und gehört uns, wir haben sie in fünf Jahren komplett restauriert und es war vor allem wichtig für unsere Brieftasche, weil ein Segelboot, wie wir es wollten, nicht einfach am Markt erhältlich ist und ein neuer Werftbau von uns nicht finanzierbar ist. Natürlich hat die Restauration auch den Vorteil, dass wir so unser Schiff in- und auswendig kennen und Wartung und Reparatur selber vornehmen können. Wir wissen so auch ziemlich genau, was das Schifferl alles kann.

Wenn man so lange und so viel unterwegs ist, gibt es dann noch etwas, was auf der „Will-ich-unbedingt-sehen/erleben“-Liste steht?

Vieles… und es wird mit der Erfahrung der Reisen mehr, denn der Horizont wird größer, Vorurteile von außen werden weniger und die Selbstsicherheit, dass man etwas schaffen könnte, wird größer.

So manche Träume werden die Beiden später leben, jetzt ist der Traum auf hoher See dran. Foto: fortgeblasen

So manche Träume werden die beiden später leben, jetzt ist der Traum auf hoher See dran.

Was war der bisher schönste Moment auf der Reise?

Sehr schwer zu sagen, weil wir vor einer Fülle an Eindrücken und schönen Momenten strotzen. Wenn wir aber zur Zeit eine herrliche Phase auswählen sollen, dann gehört da sicher unsere letzte Winterzeit im Eis dazu. Die extreme Stille und Ruhe, die erhabene Natur um uns und das winzige Universum unserer Eisbucht waren sehr sehr herrlich. Aber wenn du nächstes Jahr fragst, ist die Antwort vielleicht wieder ganz anders…

Noch eine Frage zu eurem Leben als Paar: Auf so einem Segelschiff ist man ja meist allein zu zweit unterwegs, oder? Was ist das „Rezept“, dass das so funktioniert?

Wir haben Glück: Wir machen etwas, das wir beide wirklich mögen. Das soll heißen, dass nicht einer nur am Segelboot lebt, weil es der Traum des anderen ist. Im Generellen können wir aber sagen, dass es viel leichter ist, ein gemeinsames Leben zu führen als zwei getrennte Leben unter einen Hut zu bringen, so wie das „normale“ Paare zuhause in Österreich in der Regel machen müssen (zwei verschiedene Arbeitstage, jeder kommt gestresst heim, hat kein Ohr für den anderen, nervt sich plötzlich gegenseitig…). Das ist auch eine unserer Erfahrungen.

In ihre Heimat Österreich kommen sie wohl nicht so schnell zurück. Foto: fortgeblasen

In ihre Heimat Österreich kommen sie wohl nicht so schnell zurück.

Habt ihr eine Botschaft, die ihr anderen mit auf den Weg geben möchtet?

Träum‘ nicht einfach, mach aus deinem Traum eine Vision und dann arbeite daran, deine Vision umzusetzen.

Kommt ihr überhaupt wieder in eure Heimat Österreich zurück?

Wir kommen immer wieder mal nach Österreich, weil wir allerdings zur Zeit Richtung Pazifik aufbrechen, wird es diesmal eine Weile dauern.

Danke, Claudia und Jürgen – ich bin gespannt, wo es euch weiter hin bläst…

 

Wenn ihr ebenfalls wissen wollt, wohin es bei den beiden weiter geht: Auf fortgeblasen.at veröffentlicht das Paar Bilder, Texte und auch den Standort, an dem es sich gerade aufhält.