Es gibt Bücher, die will man einfach gut finden. Das Cover passt, die Beschreibung ist ansprechend, die Meinungen im Umfeld (natürlich von der Filterblase) sind positiv. Manchmal muss man dann aber feststellen, dass die Vorfreude größer war als das tatsächliche Erlebnis. „Einfach Leben – der Guide für einen minimalistischen Lebensstil“ von Lina Jachmann (Knesebeck Verlag, 2017 erschienen, 240 Seiten mit 200 farbigen Abbildungen, Softcover) ist so ein Buch. Es deckt viele spannende Themen ab, mit denen ich und viele andere täglich zu tun haben. Von Naturkosmetik über Ausmisten bis plastikfreier leben oder Achtsamkeit. Die Gestaltung des Buchs ist sehr ansprechend, minimalistisch gehalten und im Magazinstil mit vielen Fotos gefüllt. Die Autorin ist Kreativdirektorin und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Themen Lifestyle und Zeitgeist.

Minimalismus ist seit einigen Jahren ein relativ bekanntes Prinzip: Mehr Platz für die wichtigen Dinge schaffen durch Ausmisten von Überflüssigem und einem bewussten Umgang mit Konsumgütern. Dadurch entsteht mehr Überblick, weniger Reizüberflutung und eine neue Wertschätzung für die Dinge, die man besitzt. Mehr Momente statt Sachen. Weniger Dinge, mehr Qualität.

Bild: Verena

Das Buch beginnt mit dem „How-to“-Minimalismus und empfiehlt vor dem Ausmisten ein Ziel vor Augen zu haben, welches man sich am besten bildlich gestaltet. Wie sollen die Räume in der Wohnung/im Haus aussehen? Wie würde ich mich wohlfühlen? Um in das grundlegende Prinzip, das Downsizing oder auch Ausmisten, einzusteigen, kann man eine kleine Monats-Challenge machen, in der für jeden Tag eine Aufgabe gestellt wird. Oder ich visualisiere über einen Zeitraum, welche Plätze und Orte in der Wohnung wirklich genutzt werden.

Minimalismus bezieht sich aber nicht nur auf die Auswahl von Besitz um einen herum. Es ist auch ein Lebensstil. Wir lernen in Homestories einige minimalistisch lebende Menschen kennen, die einen besonderen Wohnsitz wie ein Hausboot oder einen Bauwagen gewählt haben und einen Ausschnitt aus ihrem Leben zeigen oder in den Bereichen Mode, Kosmetik oder Ernährung minimalistische Ansätze verfolgen und in Interviews darüber berichten. Das Buch ist in die vier Kapitel „Mode“, „Körper“, „Wohnen“ und „Lifestyle“ unterteilt. Gespickt sind die Seiten mit Links, Buchempfehlungen oder weiterführenden Tipps. Durchgängig ist alles reich bebildert und am Ende finden wir eine kompakte Übersicht an weiterführenden Seiten, Blogs und Shopempfehlungen.

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Das Konzept Minimalismus ist etwas schwierig zu fassen, es geht einerseits um den Abschied von Ballast, aber „Einfach leben“ packt unter dieses Stichwort so viele Themen, die für mich eher zu einem „umweltbewussten, nachhaltigen Leben“ gehören. (Unter dem Begriff „Einfach leben“ findet man u.a. auf Wikipedia dazu noch mehr Begriffe, die mit Minimalismus in Verbindung gebracht werden).

Es tauchen in diesem Buch sehr viele Themen und Produkte auf, die in der an Minimalismus interessierten Zielgruppe beliebt sind, dies aber für meinen Geschmack etwas zu undifferenziert. Ich finde es als Leserin natürlich toll, wenn bei einem fokussierten Lebensstil auch Nachhaltigkeit nicht zu kurz kommt und beispielsweise DIY-Rezepte für Pflegeprodukte angeboten werden. Es wirkt auf mich allerdings etwas zu willkürlich und oberflächlich. Wie ein Versuch, so viele Reizthemen in ein Buch zu packen, wie möglich. Da werden Kosmetikprodukte abgebildet, aber nicht erläutert, warum genau diese Produkte empfohlen werden. Mir ist klar, dass Minimalismus und ein bewusstes, achtsames Leben Hand in Hand gehen. Aber mir fehlen bei vielen Punkten Quellen, wie zum Beispiel bei der Empfehlung zum Ölziehen. Gleichzeitig wird zu viel Werbung gemacht – für Unternehmen, für Apps, für Shops. So entwickelt sich Minimalismus zu einer neuen Form der LOHAS. „Einfach leben“ lässt alles super easy, clean und locker erscheinen. Ich hätte mir hier unbedingt mehr kritische Aspekte gewünscht, zum Beispiel beim Thema Verhütung mit NFP.

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Insbesondere EinsteigerInnen in das Thema werden hier eine Fülle an möglichen Lebensentwürfen, Produkten und Konzepten finden, die sicherlich Lust auf ein bewusstes, geordnetes Leben machen. Aber ist man nur dann bewusst und fokussiert, wenn man ausmistet und Öko-Produkte kauft? Mir fehlt hier die gesellschaftliche Vision, denn das Buch lässt streckenweise den Eindruck gewinnen, dass Minimalismus vor allem für einen ausgewählten Kreis aus privilegierten BesserverdienerInnen eine Lösung ist, aus ihrem schnelllebigen Alltag auszubrechen. Minimalismus als Wohlfühlgarantie, so wird es den LeserInnen vermittelt.

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Einige der vorgestellten MinimalistInnen sind eher Gutverdiener, die sich dann mal eben das Haus auf dem Land oder das schick designte Hausboot kaufen können. Versteht mich nicht falsch, bewusster Konsum und nachhaltige Produkte sind wichtig, aber der Sinn von Nachhaltigkeit geht weiter. Minimalismus sollte nicht nur ein Trend sein, sondern das Individuum und die Gesellschaft umfassen. Um wirklich etwas zu ändern reicht es eben nicht nur, wenn ich es mir stylisch und ordentlich bequem mache. Der Guide geht nicht wirklich tiefer und differenziert auf grüne Themen ein, erklärt keine komplexeren Zusammenhänge oder ökologische Themen, lediglich beim Thema Mode wird auch die gesellschaftliche Relevanz von Minimalismus aufgezeigt.

Lange Rede, kurzer Sinn: Ich habe hier ein paar hilfreiche Inspirationen erhalten. Themen wie Capsule Wardrobe, Zero Waste Tools oder nachhaltige Mode kommen nicht zu kurz. Viele Hinweise kann man sich aber auch durch diverse Zeitschriften, Blogs und über Instagram holen. Zum Blättern und eben für Neulinge auf den Gebieten der Nachhaltigkeit und des Minimalismus ist es ein reiches Sammelsurium an Ideen und Konzepten. Wer sich aber tiefergehend mit diesen auseinandersetzen möchte, könnte unter Umständen etwas enttäuscht werden.

Vielen Dank an den Knesebeck-Verlag für das Rezensionsexemplar!