Bücher zum Thema Umweltschutz gibt es inzwischen wirklich viele. Dabei gibt es aber einige, die lediglich theoretische Zusammenhänge erklären und nur wenig praktische Beispiele bringen. Nach dem Lesen ist man dann irgendwie überfordert von der komplexen Thematik und weiß gar nicht, wo man bei so vielen Problemfeldern überhaupt anfangen soll. Auch wenn es wichtig ist, sich immer wieder tiefgehend mit verschiedenen Themen zu befassen, wünsche ich mir manchmal einfach nur praktische Tipps für den Alltag, um die Welt ein Stück zu verändern.
„Ein guter Tag hat 100 Punkte“ von Thomas Weber ist so ein Buch. 2014 erschienen hatte ich dieses Buch in diversen Magazinen gesehen und es mir notiert. Konkrete Handlungsideen klingen immer gut finde ich. Vom Konzept her erinnert das Buch ziemlich an „Einfach die Welt verändern: 50 kleine Ideen mit großer Wirkung„. Der Autor, bekannt als Herausgeber der Zeitschrift Biorama“, bezieht sich anfangs auf ein Punktesystem, das unter eingutertag.org als Open-Source-Projekt frei zugänglich ist. Lebensmittel, Gewohnheiten und Alltagsaktivitäten werden Punkten zugeordnet. Pro Tag sollte man nicht über 100 Punkte kommen, damit keine übermäßigen Ressourcen verbraucht werden, die mir (theoretisch) nicht zustehen.
Herzstück des Buches ist aber nicht dieses Punktesystem (es dient lediglich zur Inspiration), sondern 29 Ideen und Impulse zum Weiterdenken und proaktiven Handeln, welche die eigene (Um-)Welt ein Stück besser machen können. Konkret stellt er hierbei pro Kapitel verschiedene Initiativen und Personen vor, die umdenken. Ob das nun ein Waschmaschinen-Mietservice oder eine Online-Kleidertauschbörse ist. Die einzelnen Kapitel sind kurz und prägnant und bildlich begleitet von kleinen thematisch passenden Piktogrammen, welche jeweils eine Punktezahl anzeigen – zur Orientierung.
Weber lädt ein, Gewohntes zu hinterfragen und auszuprobieren, dabei folgt er keiner Ideologie, sondern zeigt konkrete Zusammenhänge auf. Am Ende jedes Kapitels folgen einige weiterführende Links und Tipps. Nach einer kurzen Einführung folgen die 29 Kapitel, die in minimalistischem Design Lust aufs Lesen machen. In diesen Kapiteln wird jeweils eine Handlungsanweisung gestellt, wie zum Beispiel „Zelebriere den #tierfreitag“. Weber erklärt dann an konkreten Beispielen, was diese Idee mit unserer Umwelt zu tun hat. So stellt er in „Werde Bauer auf Zeit (zumindest im Urlaub)“ das WWOOF-Prinzip vor, bei dem man nach Anmeldung auf Bauernhöfen in aller Welt auf Zeit mitarbeiten kann. Oder bringt Argumente vor, warum wir unbedingt einen Co-Working-Space einrichten sollten.
Weber geht es also nicht nur um Umweltschutz, sondern auch um die soziale Umwelt, wie zum Beispiel im Kapitel „Lass anschreiben, aber für andere“. Besonders gefiel mir das Thema „Such dir einen Bauern“ in dem es um den guten Kontakt zum Bauern geht, weil damit Wertschätzung für den Landwirt und Bewusstsein fürs Essen geschaffen werden soll. Und „Кauf gemeinsam mit Gleichgesinnten ein“ in dem es um Food-Coops geht. Weniger gut fand ich dagegen die eher provokanteren Kapitel wie „Schlachte ein Huhn“ oder „Iss Innereien“, doch diese Kapitel kann man als Vegetarier/in oder Veganer/in wirklich überspringen.
Besonders empfehlenswert: Das Kapitel über unsere gefilterte Wahrnehmung („hyperindividueller Erfahrungshorizont“) vor allem wenn es um soziale Netzwerke geht. Sein Rat: Sich ein buntes Meinungsspektrum einholen und dann eine eigene Meinung bilden. Insgesamt ist Weber sehr genußorientiert, denn seine Devise ist: Essen muss besser werden und nur nachhaltiges Essen hat wirklich Qualität und schmeckt. Doch sein Credo ist auch, dass Diversität nur dadurch erreicht werden kann, dass man zum Beispiel wieder alte Tierrassen isst. Da bin ich etwas skeptisch, denn seine Argumente dazu scheinen etwas weit hergeholt. Oder der Vergleich, welches Haustier am wenigsten umweltschädlich ist. Weber rät hier zum Kaninchen statt zur Katze. Der Vergleich hinkt etwas, denn im Tierheim warten einige Katzen, die sicher nicht auf ewig dort bleiben wollen, nur weil wir umweltfreundlich leben wollen. Insgesamt fehlen mir auch Quellenbelege.
Schön finde ich, dass er klar macht, wie wichtig der gegenseitige Austausch und die Schaffung eines Bewusstseins für Lebensmittel und deren Herstellung (und damit auch Tierhaltung) ist. Er geht auf wichtige Themen wie den Suffizienz- oder De-Growth-Ansatz ein. Insgesamt sind manche Tipps leider nicht allzu neu. Vieles hat man inzwischen schonmal gehört oder schon in einigen Magazinen gelesen. Hier seien vor allem die Kapitel „Radle zur Arbeit“ und „Lass dein Auto stehen“ genannt. Auch das Gesamtkonzept des Buches im Bezug auf den Titel geht nicht ganz auf: Geht es jetzt um Klimaschutz, worauf das Punktekonzept (ähnlich dem ökologischen Fußabdruck) ja eigentlich bezogen ist? Oder generell darum „ein guter Mensch zu sein“, wegen den vielen sozialen Initiativen im Buch?
Trotzdem sind die vielen Ideen sehr gut verständlich und kompakt zusammengefasst und die meisten Impulse gute Basics um weiterzudenken. Ich denke das Buch wäre gerade für Neulinge auf diesem Gebiet ein echt tolles und wertvolles Geschenk! Danke an den Residenz-Verlag für das Rezensionsexemplar!
Weitere Infos:
Im März 2016 erscheint der zweite Teil des Buches. Inzwischen gibt es ein (Online-)Memory passend zum Buch: memo.eingutertag.org
Infos zum 100-Punkte-Konzept: eingutertag.org