„Du bist jetzt eine Beduina“, sagt der Mann in Weiß und drückt mir drei Küsse auf die Wangen. Es ist keine fünf Minuten her, dass ich mich von meinen zu FreundInnen gewordenen KollegInnen verabschiedet habe, am Visitor Center in der jordanischen Steinwüste Wadi Rum. Und jetzt, jetzt sitze ich mit Odeh, seines Zeichens Beduine und Bewohner des gleichnamigen Dorfs, in seinem Jeep. Es geht ins „richtige Wadi Rum“, dorthin, wo – abgegrenzt von den 73% der JordanierInnen palästinensischer Herkunft – ein Teil der ursprünglichen Bevölkerung lebt, mit Kamelen, Schafen, Ziegen und natürlich TouristInnen ihr Geld verdient.
Zumindest war es so, bis die jordanische Regierung 2003 das Visitor Center an den Eingang von Wadi Rum gebaut haben. Seither werden zahlreiche TouristInnen, die vor allem aus Europa und den USA kommen, auch in die luxuriöseren, Nicht-Beduinen-Camps rund um das Dorf Diseh gebracht.
„Ich zeig´dir das echte Wadi Rum“, lädt mich mein neuer „Bruder“ Odeh ein, dessen Verhalten im Laufe des Tages aber ab und an auf ganz unbruderhafte Absichten schließen lässt. Doch vielleicht deute ich ja da auch etwas falsch. „Wir Beduinen arbeiten seit 40 Jahren mit TouristInnen, machen immer Spaß“, erklärt mir der 40jährige, der verheiratet ist und sechs Kinder hat, „das mögen alle.“ Wie 1.200 andere seines Stamms lebt er im Dorf Wadi Rum, ca. 10 Minuten vom Visitor Center entfernt.
„Bist du verheiratet?“, das ist die erste Frage, die mir Hana stellt, als ich mit ihr allein bin. Odeh hat mich kurzerhand ins Haus dieses zierlichen Mädchen gebracht, während er zuhause duscht. Wie für Frauen üblich ganz in schwarz gekleidet, schenkt sie mir gastfreundlich Beduinentee ein – aufgekochtes Zuckerwasser, in das dann Schwarzteeblätter gehängt werden – und löst ihren Schleier. Wir Frauen sind ja unter uns. Seit sechs Monaten lebt die knapp 18-Jährige hier in dem Haus, seit sie mit Odehs Bruder verheiratet wurde – als Erste ihrer Klasse. Meist ist sie allein, ihr Ehemann besucht sie jeden 2. Tag, dann nämlich, wenn er nicht gerade bei seiner ersten Frau samt der Kinder ist. „Wir wohnen im Dorf, da ist das Leben günstig“, erklärt mir Hana, die sich lieber nicht fotografieren lassen möchte, „deshalb können sich hier die Männer mehrere Frauen leisten.“ Bis zu vier Gattinnen pro Mann sind üblich, die mit der Nachkommenschaft dementsprechend (finanziell) versorgt werden müssen – bei den hohen Lebenskosten in der Stadt ein Ding der Unmöglichkeit!
In der Zimmerecke rauscht Werbung auf dem Fernsehbildschirm, darauf liegt der Koran. Ja, langweilig ist Hana schon manchmal – so allein. „Aber wenn ich ein kleines Baby habe, bin ich sicher beschäftigt“, meint sie mit schweren dunklen Knopfaugen, und streicht sich das schwarze Haar aus dem Gesicht. Eigentlich wollte sie, die im Dorf aufgewachsen ist, ja weiter in die Schule gehen, aber als verheiratete Frau war das Aufstehen um 6.00 früh nichts für sie – außerdem muss sie sich ja um ihren Ehemann kümmern.
Warum sie mit ihren früheren SchulfreundInnen keinen Kontakt mehr haben kann, diese sie nicht besuchen können? „Es geht einfach nicht“ – nur bei ihrer Schwiegermutter sitzt Hana ab und an und trinkt Tee. Da wundert es mich nicht, dass die Ablenkung durch ausländische Gäste wie mich – besonders wenn die dann auch noch so viel plaudern, fragen und erzählen – gelegen kommt. Verstehen kann sie unsere Kultur nicht, genauso wenig wie ich mich in ihre einfühlen kann. Auch wenn ich das schon seit vier Tagen, seit meiner Ankunft in Jordanien versuche – und mich dabei immer wieder beim Gedanken ertappe: Dass die jordanische Kultur wirklich so konservativ ist, hätte ich nicht gedacht…
Mit dem „Mädchentratsch“ ist es jetzt aber vorbei: Odeh kommt und nimmt mich mit. „Du bist mein Freund“, erklärt er und fährt mich für einige Dinare mit dem Jeep die nächsten Stunden durch die Gegend: Wir machen die übliche Tour, ich werde auf Felsen hinauf-, Dünen wieder hinunter gejagt, darf selbst meine Fahrkünste auf Wüstensand erproben und ein paar Minuten lang allein durch die Weite stapfen. Nicht als Einzige: Immer wieder treffen wir auf andere Beduinen, die wohl ihren „Freunden“ die Gegend zeigen. Es ist mir aber egal, denn die Wüste, diese schroffen Berge, in denen sich immer wieder mal bedrohliche Fratzen, mal zahmes Getier erahnen lassen, die heute Wolken verhangenen Hügel und Felsgebilde beeindrucken auch dann, wenn an jeder „Haltestelle“ Basare bereit stehen, damit TouristInnen ein paar Dinare los werden können.
Einige Stunden später bringt mich Odeh zum Camp seines Cousins – das Eigene, das er mit einem seiner vielen Brüder betreibt, ist ausgebucht. Dort wartet eine simple, zigfach ausgelegene Matratze und dicke, alte Decken in einer mit Stoff ausgekleideten Holzhütte, eine Tasse des klebrig zuckersüßen Beduinentees samt einem Teller voll mit Sesamkeksen… und ich merke wieder, dass ich wohl auch an diesem Tag nicht zur Beduina geworden bin. Als solche hätte ich mich jetzt nämlich nie bedienen lassen können – von einem Mann noch dazu…
Offenlegung: Danke an Jordan Tourism Board für die Unterstützung in den ersten Tagen sowie die Finanzierung des Transports nach/ von Jordanien. Meinungen und Ansichten in dieser Geschichte sind und bleiben meine eigenen.