Zuhause ist es doch am Schönsten.
Ein Spruch, den ich im Normalfall nicht unbedingt unterschreiben würde. Im Moment tue ich es doch. Und zwar doppelt und dreifach.
Ein paar Tage Belgien, ein Wochenende in Riga, auf Kurzvisite in Zürich, dann mal eben auf die Alp, Wandertage in Tirol – und einen halben Tag später schon im Flieger nach Alaska sitzen. Mit Zwischenstopp in Seattle, wohlgemerkt. Und das waren bloß die letzten fünf Wochen! In diesem Sommer war ich öfters unterwegs als zuhause. Meine Freunde haben sich kaum noch gemeldet, wohl wissentlich, dass ich ohnehin nicht im Lande wäre. Mein Zimmer habe ich nur betreten, um den Koffer hinein zu stellen und den Rucksack heraus zu nehmen. In meiner Wohnung hat es sich der Staub so richtig gemütlich gemacht, weil ich noch nicht einmal dazu gekommen bin, die Putzfrau anzurufen. Und und und.
Kann man zu viel reisen? Seit dem Sommer weiß ich: Ja, man kann. So sehr ich das Unterwegssein liebe, Hochmomente noch und nöcher hatte, so viele großartige Leute wieder gesehen oder erst kennen gelernt habe, es läuft auf eines hinauf: Ich habe mich übernommen. Schlicht und einfach.
Und doch bin ich sehr froh, diese Grenzerfahrung – andere springen Bungee, ich betreibe Extreme-”Reising” – gemacht zu haben. Mir ist nämlich einiges klar geworden. Einiges, das mir zwar schon bewusst war, das ich aber im Übermut des Reisen-Könnens verdrängt habe. Einiges, das ich mit euch teilen und das ich vor allem für meine zukünftigen Reisen beachten möchte. Ich hab es mir versprochen!
“Wie magst du deine Reisen?”, Dustin hat mir diese Frage per Email gestellt. Er ist einer, den mein Reisepartner Ingo und ich gleich am ersten Tag in Alaska “aufgegabelt” und in den Nationalpark Denali mitgenommen haben. Er ist einer, der schon überall war und noch überall hin möchte. Er ist einer, der mich versteht. “Die meisten meiner Reisen sind, wie ich sie möchte.”, erkläre ich ihm: “Spontan, abenteuerlich, Reisen, auf denen ich vieles erlebe – auch den Alltag, auf denen ich Leute treffe, auf denen positive Überraschungen Platz haben und auf denen ich im Fluss bin und beobachte, wie der Zauber funktioniert.”. Genau, all das ist Reisen für mich.
Und wenn nichts davon passiert? Dann fühle ich mich als Tourist, nicht als Reisende. Dann war ich nur dabei, nicht mittendrin. Dann habe ich sicher mindestens einen dieser Faktoren außer Acht gelassen:
1. Ich will (er)leben
Ein Land zu erkunden, das besteht für mich nicht nur aus Autofahren und Foto-Stopps machen. Es heißt für mich auch nicht, am Pool des Hotels zu liegen – so schön dieser auch ist. Ich will raus. Nein, falsch, ich will rein: In die Kultur, unter Menschen, ins Leben. Ich will Berge erklettern und den Fels spüren, nicht nur aus der Ferne bestaunen. Ich will die Sonne mit Yoga begrüßen, nicht nur zuschauen, wie es andere tun. Ich will das Gericht selbst probieren und dann wieder ausspucken (!), nicht nur hören, wie grauenvoll es denn schmecke. Ich will alles versuchen und lieber das Scheitern riskieren, als es gar nicht erst zu tun!
2. Tausche Kamera gegen Herz
Klingt superkitschig, ich weiß, aber ich kann es nicht besser benennen. Ich war lange Foto-Verweigererin: Bin drei Monate lang durch Australien gereist und habe jetzt vielleicht 15 Bilder davon; ganze Beziehungen existieren nicht – zumindest nicht auf Film, in meiner Erinnerung dafür umso stärker. Klar ist das schade und jetzt habe ich auch meist die Kamera oder ein Handy in der Hand, um ein Erlebnis zu dokumentieren. Doch möchte ich eines nicht vergessen: Das Wichtigere ist das Erlebnis selbst, das Gefühl dazu und die Erfahrung, die wir machen. Da verzichte ich lieber auf das perfekte Foto und tauche ein in den Moment – davon habe ich auf längere Sicht mehr. Und jeder andere auch.
3. Freiheit für den Flow
Ich finde Menschen, die ihre Pläne einhalten, bewundernswert. Solche, die Hotelzimmer buchen und dann auch genau zum angegebenen Zeitpunkt dort sind. Immer. Solche, die Routen für Roadtrips fünf Monate im Vorhinein planen – und vor Ort nicht davon abweichen. Wunderbar. Ich bin keine davon! Ich brauche Freiheit: Freiheit, um meine schon vorhandenen Pläne zu ändern, von ihnen abzuweichen, um in den Fluss zu kommen. Für viele ist das anstrengend, weil ungeplanter, chaotischer. Stimmt alles. Und doch ist es für mich das, was mich das Reisen genießen lässt. Denn immer dann, wenn ich in diesem Flow bin und darauf vertraue, geschehen die Wunder. Dann öffnen sich Türen, die normalerweise verschlossen sind. Dann finden Begegnungen mit Menschen statt, dann passieren die Überraschungen, dann entstehen Geschichten.
4. Vorbereitung ist alles
Mag sich jetzt wie ein Widerspruch zu Punkt 2 anhören, ist es aber ganz und gar nicht. Ich liebe es, in einem Land spannende Projekte zu entdecken, mit ähnlich tickenden Menschen in Kontakt zu treten, vielleicht Gesprächspartner zu finden. Was ich dafür brauche? Zeit im Vorfeld. Und die habe ich mir zum Beispiel bei dem Hin- und Hergehopse im Sommer nicht geleistet. Ein Fehler: Dann entdeckt man das interessante Projekt nämlich erst vor Ort – blöderweise dann, wenn die Verantwortlichen Urlaub haben. Oder ich habe schon das Zugticket für die Weiterreise gekauft, ausgerechnet für den Tag, an dem ich die Outdoor-Trekking-Tour machen könnte. Tja, ich lerne (hoffentlich) aus Fehlern!
5. Die Länge ist doch wichtig
Besser gesagt: Für mich ist das schnelle und kurze Reisen nichts. Heute hier, morgen dort und übermorgen wieder fort? Nein, danke! Ich hab es getan, gerade auch jetzt im Sommer. Kurztrips von ein paar Tagen sind großartig, aber sie befriedigen meine Reiseansprüche nicht. Deshalb: Lieber länger und weniger (Länder, Regionen) als kürzer und mehr unterwegs sein.
6. Pufferzeiten
Mitternacht: Ankunft in Wien. Am nächsten Mittag: Abreise aus Wien. Ich habe mir in diesem Sommer kaum Pufferzeiten gegönnt, hatte oft nur einen halben Tag zuhause, bevor ich wieder weitergezogen bin. Wie wichtig aber gerade diese Zeiten dazwischen sind, ist mir dadurch erst klar geworden. Nicht nur, um ein bisschen zuhause zu sein, sondern vor allem, um die Erlebnisse zu verarbeiten. Um die angesprochene Planung und Einstimmung auf das nächste Ziel zu haben. Um einfach nicht nur mit dem Körper, sondern auch mit dem Geist anzukommen und wieder reisefertig zu werden.
7. M… wie Menschen
Ich bin vielleicht eine Kulturbanausin, mag sein. Aber ich lerne ein Land lieber über Menschen als über Museen (oder sonstige Sehenswürdigkeiten) kennen. Letztere sind nämlich ein Stückchen austauschbar. Erstere ganz und gar nicht. Nicht umsonst entstehen meine liebsten Geschichten aus Begegnungen, nicht umsonst bleiben diese mir am meisten in Erinnerung und nicht umsonst prägen diese meine Reisen am meisten.
So, jetzt kennt ihr meine Vorlieben. Bitte erinnert mich daran, sollte ich sie mal wieder vergessen und euch von anderen Reise-Plänen erzählen! Bitte, danke!