Am 8. Januar 2021, also vor rund eineinhalb Monaten habe ich einen Beitrag über meine Eltern geschrieben, die sich beide mit Corona angesteckt hatten. Da ich Kontakt mit beiden hatte, sollte auch ich in Quarantäne, zehn Tage lang. Besagter Artikel entstand am Anfang meiner Quarantäne. Beide meiner Eltern waren im Krankenhaus, positiv auf Covid-19 getestet und insofern stabil, dass sie nicht künstlich beatmet werden mussten. Trotzdem war der Gesamtzustand alles andere als positiv, mindestens einmal täglich war ich mit dem betreffenden Krankenhaus in Kontakt. Ich war vor Ort, als mein Vater mit der Rettung abgeholt wurde und habe mir entsprechend große Sorgen um ihn gemacht: „Vor Ort war mein Vater in einem Zustand, in dem ich ihn noch nie gesehen habe. Schwer atmend mit offenem Mund, aber zugleich schnell und flach, als würde er nicht genug Luft bekommen. Seine Augen waren aufgerissen, gleichzeitig war er aber nicht ansprechbar und der ganze Körper verkrampft. […] Neben den eben schon beschriebenen gleich ersichtlichen Problemen, wurde festgestellt, dass mein Vater nicht genug Sauerstoff bekommt, über 39 Grad Fieber hat und die rechte Herzklappe nicht mehr richtig arbeitete – er war laut Notärztin, die kurz nach dem Eintreffen der Rettung auch dazu gerufen wurde, kurz vor einem Herzinfarkt.“

Trotzdem habe ich gehofft, dass er sich wieder erholen würde. Genauso wie meine Mutter, die in ihrem Leben schon so einige schwere Krankheiten überlebt hatte. Penicillin-Schock. Lungenembolie. Brustkrebs. Gehirnblutung. Wobei sie letztere leider zur Risikopatientin gemacht hat. Dazu kam, dass ihre Magensonde stark entzündet war, was keiner der beiden PflegerInnen der 24-Stunden-Pflege aufgefallen ist. Auch im Pflegekrankenhaus davor hatte man sich jahrelang geweigert, die Magensonde zu entfernen, obwohl sie nicht mehr nötig gewesen wäre. Meine Erlebnisse mit der „Pflegehölle Österreich“ sind aber einen eigenen Artikel wert.

Immer wieder liest man von über 100-Jährigen, die eine Corona-Infektion überlebt haben, also warum nicht auch meine Eltern? Doch egal wie viel Hoffnung man haben mag, die Angst ist ständig im Hintergrund: „Sich zu fragen ob das nächste Handyklingeln der Anruf ist, der mir leider eine schlechte Nachricht überbringen muss.“

Es tut uns sehr leid…

Und dann war es doch genau so, wie ich befürchtet hatte. Am Vormittag des 11. Januar 2021 klingelt mein Telefon: „Es tut uns sehr leid, Ihr Vater ist gerade gestorben.“ Diese Nachricht trifft mich wie ein schwerer Schlag und das ist nicht sprichwörtlich gemeint, mein ganzer Körper schmerzt, es tut furchtbar weh, überall. Gleichzeitig blockiert der Schmerz mein Gehirn, ich kann nicht klar denken, alles ist wie in Watte gehüllt. Was ist passiert? Gestern klang der Bericht aus dem Krankenhaus doch noch leicht optimistisch. Doch Corona war wohl einfach eine zu große Belastung für den 82-jährigen Körper meines Vaters. Ich kann es nicht fassen. Gerade noch habe ich mit ihm gesprochen, was wir dieses Jahr vorhaben. Was erledigt werden soll. Wobei ich helfen kann. Und jetzt ist er auf einmal weg.

Ich liege im Bett und weine. Kann nicht aufstehen. Kann nichts essen, keinen klaren Gedanken fassen. Gefühlt tagelang. Doch so lang kann es nicht gewesen sein, denn ich muss mich darum kümmern, wann mein Vater für die Bestattung freigegeben wird. Ein Bestattungsunternehmen suchen, das alles abwickelt. Wo und wie will mein Vater begraben werden? Ich weiß es nicht, das war eines der Dinge, die wir besprechen wollten. Dazu ist es aber nun nie gekommen.

Und was passiert nun mit meiner Mutter? Mein Vater war seit der Gehirnblutung meiner Mutter ihr Erwachsenenvertreter. Das würde wohl ich nun übernehmen. Wie nimmt es meine Mutter auf, dass ihr Mann, den sie seit ihrem 17. Lebensjahr kennt, verstorben ist? Kann ich mich ausreichend um meine Mutter kümmern? Wie wird sich die Covid-Erkrankung auf ihre so und so schon schwere Behinderung auswirken?

Die sozialen Medien…

An Schlaf ist nicht zu denken, gleichzeitig ist es schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Mein Vater ist tot und das tut so unglaublich weh. Parallel dazu kommen weiterhin Reaktionen auf meinen Artikel über Social Media, Kommentare hier auf The bird’s new nest und E-Mails. Unmengen an liebevoller Anteilnahme, Besserungswünschen und anderen netten Worten, für die ich euch allen sehr, sehr dankbar bin. Doch dann gibt es auch einige wenige Kommentare, die sehr schmerzen, auch wenn sie deutlich in der Minderzahl sind. „Fake News“ ist eines davon, direkt beim Artikel. Ich finde keine Worte dazu, sondern lösche den Kommentar. Das kommt praktisch nie vor, aber in diesem Fall habe ich keine Kraft für etwas anderes.

Auf Facebook schreibt man mir, dass man mit einer Art von Kur die Corona-Erkrankung vermeiden kann, jemand anderer meint: „Wo soll jetzt das Problem liegen, deine Eltern werden bald wieder nach Hause kommen.“ Mir wird unterstellt, ich würde dafür bezahlt werden, diesen Beitrag zu schreiben – das war für mich wohl die widerlichste Reaktion auf den Artikel. Aber auch sonst nimmt man sich kein Blatt vor den Mund. Worte wie „Plandemie“ fallen, „Corona-Diktatur“ oder „Regierungsgläubige“. Und ich sitze zu Hause und zu meinem Schmerz kommt die Fassungslosigkeit über die empathielose Selbstverständlichkeit, mit der man den Tod anderer Menschen als unbedeutend vom Tisch wischt.

Vier Tage später…

Am frühen Nachmittag des 15. Januar bekomme ich erneut einen Anruf. „Ihre Mutter ist nun leider auch verstorben.“ Meine Eltern sind tot. Gestorben an Corona, beide in der gleichen Woche. Ich bin ein Einzelkind, meine gesamte nähere Familie existiert somit nicht mehr. Das kleine bisschen Energie, das ich noch habe, benötige ich, um die Beerdigung meiner Eltern zu organisieren. Ich versuche alles so umzusetzen, wie ich glaube, dass es meine Eltern gewollt hätten. Viel Spielraum bleibt durch Corona so und so nicht. Und nun liegen meine Eltern gemeinsam in einem Grab am Wiener Zentralfriedhof, das Titelbild wurde am Tag der Beerdigung aufgenommen.

An die Tage nachdem auch meine Mutter verstorben ist kann ich mich kaum mehr erinnern. Möglicherweise ist das ein Schutzmechanismus des Körpers oder aber einfach nur ein Nebeneffekt des psychischen Stresses. Auch das Gedächtnis funktioniert nicht so richtig, ich merke mir viele Sachen nicht und konkrete Worte fallen mir nicht mehr ein. Und auch wenn ich damit rechnen musste, dass meine Eltern durch Corona sterben würden, hat mich ihr Tod gefühlt vollkommen unvorbereitet getroffen. Nun, über ein Monat danach, habe ich das erste Mal wieder die Kraft, darüber zu schreiben. Und darüber schreiben wollte ich auf jeden Fall. Einerseits, weil ich den ersten Artikel nicht einfach so stehen lassen wollte. Und andererseits weil ich durch die Reaktionen auf besagten Artikel davon überzeugt bin, dass ich definitiv nicht unter den Teppich kehren möchte, dass meine Eltern an Covid-19 gestorben sind.

Gestorben an Covid-19

Denn meine Eltern sind definitiv an Covid-19 gestorben, mein Vater war für sein Alter in einem normalen Gesundheitszustand und auch meine Mutter war, abgesehen von der Infektion, gesund in Anbetracht der anderen Umstände. Eine Infektion zusammen mit Corona ist definitiv keine gute Kombination, die Infektion selber hätte aber für sich alleine langfristig kein Problem dargestellt. Und noch etwas möchte ich klarstellen: The bird’s new nest ist meine Seite und ich bekomme generell für keinen der hier veröffentlichten Artikel etwas gezahlt. Wenn das der Fall ist, was nur äußerst selten vorkommt, sind sie als Werbung gekennzeichnet. Und definitiv keiner der beiden Artikel über meine Eltern sind von irgendjemandem gezahlt, genauso wenig wie es sich hierbei um „Fake News“ handelt.

Außerdem ist es mir egal, ob man daran glaubt, dass es sich um eine „Plandemie“, eine neue Form von Diktatur oder ähnliches handelt. Oder ob der Virus von einem Tier auf den Mensch übertragen wurde oder in einem Labor kreiert. Denn meine Eltern sind tot. Die Umstände machen ihren Tod für mich nicht weniger schmerzhaft und auch Menschen über 80 haben nicht nur ein Recht auf Leben, sondern sie hinterlassen auch Menschen, die um sie trauern, wenn sie sterben.

Wie geht es mir?

Die direkte Zeit nach dem Tod meiner Eltern war eine der schlimmsten Zeiten in meinem Leben, aber jeder weitere Tag hilft, etwas Abstand zu gewinnen. Trotzdem ist etwas mehr als ein Monat nicht genug, um nicht bei einem Gedanken an meinen Vater oder meine Mutter die Tränen kommen zu spüren, auch sonst fühlt man sich emotional nicht unbedingt stabil. Den Umständen entsprechend würde ich aber sagen, dass es mir „ok“ geht. Vielleicht bin ich aber auch nur gut im Verdrängen, denn seit einigen Tagen habe ich massive Verspannungen in der Schulter, die zu einem eingeklemmten Nerv geführt haben. Extrem starke Schmerzen und äußerst eingeschränkte Bewegungsmöglichkeiten sind die Folge. Ohne Schmerzmittel könnte ich das hier nicht schreiben, aber der Rat des Arztes war, den Arm weiterhin so gut es geht zu benutzen, was ich hiermit tue.

Abgesehen von den emotionalen Auswirkungen hat der Tod der eigenen Eltern noch andere Folgen. So muss deren Wohnung geräumt werden, und das erste Mal in eine leere Wohnung zu kommen, wo einem sonst immer der Vater zur Begrüßung entgegenkam ist genauso schmerzhaft wie die vielen Dinge in Händen zu halten, an denen Erinnerungen haften. Da war es fast schon Glück im Unglück, dass mir mein Bausparvertrag aufgrund von zu hoher Zinsen gekündigt wurde, denn sonst hätte ich die über 7.000 Euro, die das Begräbnis meiner Eltern gekostet hat nicht so einfach zahlen können. Der Grabstein ist hier noch nicht einmal inkludiert, das sind dann wohl noch einmal mindestens 3.000 Euro. Ich kann mir kaum vorstellen, wie es sein muss, seine Eltern zu verlieren um dann zu realisieren, dass man sich das Begräbnis nicht leisten kann. Uns das war in unserem Fall nur ein stilles Begräbnis, also kein Pfarrer, keine Aufbahrung, kein Leichenschmaus – aufgrund von Corona alles keine Option.

Zurück zu Corona…

Ich habe mich bei meinen Eltern nicht angesteckt, und die Quarantäne ordnungsgemäß zehn Tage lang befolgt. Einen Bescheid für die Quarantäne, genauso wie eine Aufhebung dieser habe ich nie bekommen. Genauso wenig wie irgendeine Anfrage zu Contact Tracing. Schließlich waren mit meinem Vater insgesamt mindestens acht Personen in Kontakt, als er schon erkrankt war. Interessiert hat das die österreichischen Behörden offenbar nicht. Aus meiner Sicht ist es also nicht nur der Fall, dass Contact Tracing nicht funktioniert, es existiert schlichtweg nicht, zumindest nicht in Wien.

Ich habe zudem gleich von zwei Ärztinnen, die mit meinem Vater zu tun hatten die Aufforderung zur Quarantäne erhalten, aber wie schon geschrieben nie eine offizielle Aufforderung einer Behörde, also funktioniert auch in diesem Bereich etwas absolut nicht. Dass so auch nicht nachvollziehbar war, wo sich meine Eltern angesteckt haben ist unter diesen Umständen auch nicht mehr verwunderlich. Ich habe selber während und auch nach der Quarantäne Tests durchgeführt und kann so zumindest relativ sicher ausschließen, dass ich der Überträger gewesen bin. Das ist aber in Anbetracht der Umstände nur ein geringer Trost.

Nachdem ich nun meine Eltern an Corona verloren habe, schmerzt es mich noch mehr auf Facebook zu lesen, wie sich Menschen darüber lustig machen, wenn jemand Angst vor Corona hat. Ja, ich hatte auch Angst vor Corona. Um konkret zu sein hatte ich Angst, dass sich Menschen in meinem Umfeld, die mir wichtig sind, sich damit anstecken und daran sterben. Was auch passiert ist. Trotzdem finden es wohl einige Menschen, die selber vermutlich nicht zur Risikogruppe gehören, sehr unterhaltsam, wenn sich jemand deshalb Sorgen macht. Genauso wenig haben Menschen, die Corona nicht ernst nehmen, selber vermutlich niemanden aus ihrem nähesten Umfeld an dieser Krankheit verloren.

Vielen Dank für das Lesen dieses langen Artikels! Auch möchte ich mich bei den tatsächlich hunderten Menschen bedanken, die mir auf vielen Wegen Nachrichten gesendet haben. Ich habe nicht mit so einer riesigen Menge gerechnet und war sehr berührt über das viele Mitgefühl, das mir und meinen Eltern entgegengebracht wurde. Genauso möchte ich hier mein Mitgefühl für all jene ausdrücken, die jemanden durch Covid-19 verloren haben. Danke auch an all jene, die meinen ersten Artikel geteilt haben, auch wenn der Ausgang letzten Endes leider kein guter war.

 

Bernhard Nikolaus Pascher *15.04.1938 †11.01.2021

Edda Helga Ingeborg Pascher *10.09.39 †15.01.2021