Am 28. Mai 2015 fanden zum achten Mal die von NEONGREEN NETWORK in Wien veranstalteten ERDgespräche statt. Zahlreiche ZuhörerInnen, vor allem auch junge, machten sich dafür auf den Weg in die Wiener Hofburg, bis die Redoutensäle am Josefsplatz ordentlich gefüllt waren. Die Moderation übernahm die ehemalige PULS4-Moderatorin Manuela Raidl. Neben den Gesprächen selbst fanden als Rahmenprogramm ein „Pecha Kucha Abend“, das „World Game Lab“ sowie ein Kinoabend mit der Dokumentation „Nuclear Lies“ statt. Das Filmprojekt war 2013 auf den ERDgesprächen vorgestellt worden.

Wie auch schon in den Vorjahren, ist es Angie Rattay und Adam Pawloff, den beiden OrganisatorInnen der Veranstaltung, auch heuer gelungen interessante und renommierte RednerInnen für die ERDgespräche zu gewinnen. Harald Frey, Verkehrsplaner an der TU Wien, Gudrun Pflüger, Wolfsforscherin und ehemalige Spitzensportlerin, Dr. Robert Bullard, „Father of Environmental Justice“ sowie Fernsehköchin und Umweltaktivistin Sarah Wiener waren diesmal am Podium und teilten ihre Forschungsergebnisse, Geschichten und Meinungen zu aktuellen ökosozialen Themen.

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Stadtplaner Harald Frey ging in seinem Vortrag – dem ersten an diesem Abend – auf die derzeitige Verkehrsplanung ein und stellte fest, dass diese vor allem auf die Bedürfnisse des Autos bzw. dessen FahrerIn ausgerichtet ist. Andere VerkehrsteilnehmerInnen, seien es FahradfahrerInnen oder FußgängerInnen, werden an die Ränder gedrängt, wodurch ein Raum entsteht, an dem Kinder zum Spielen in Käfige gesperrt werden und die Besitznahme öffentlichen Raums durch die AnrainerInnen unglaublich erschwert oder teilweise sogar unmöglich gemacht wird. Allerdings verortet Harald Frey in den vergangenen Jahren auch positive Entwicklungen in diesem Bereich, etwa wenn in Seoul eine Stadtautobahn abgerissen wird, um (wieder) Platz für einen alten Fluss zu machen, und auch hierzulande bemerkt er ein steigendes Bewusstsein für die Thematik. Der Umbau der Mariahilfer Straße, bei dem ja auch der Bevölkerung öffentlicher Raum „zurückgegeben“ wurde ist hierbei nur das augenfälligste Beispiel.

Die Wolfsforscherin und ehemalige Profi-Schilangläuferin Gudrun Pflüger ließ die Stadt in ihrem Vortrag „Let’s think WILD“ ganz weit hinter sich und nahm die ZuhörerInnen stattdessen mit in die Wildnis. Dabei gab sie nicht nur Einblicke in ihre zehnjährige Forschungsarbeit rund um und mit den Wölfen im Regenwald im Westen Kanadas, sondern sprach auch über die Rückkehr der Wölfe, die hierzulande in Kürze zu erwarten ist. Um diese langfristig möglich zu machen, appellierte sie vor allem an die Toleranz der lokalen Bevölkerung gegenüber den Tieren, denn diese sei der wichtigste Einflussfaktor für die Ausbreitung der wilden Wölfe.

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Wie oft Armut, schlechte Gesundheit und Umweltverschmutzung direkt miteinander verwoben sind, vor allem auch in den USA, verdeutlichte anschließend Dr. Robert Bullard, „Father of Environmental Justice“ und Dekan an der Texas Southern. Unter dem Titel „Talking Clean and Acting Dirty“ zeigte er anhand zahlreicher Statistiken, dass in den USA vor allem der ZIP-Code darüber entscheidet, wie sauber die Umwelt ist, in der man sich bewegt. Die ärmsten Staaten der USA im Südosten des Landes, in denen auch der Großteil der schwarzen Bevölkerung zu finden ist, sind auch jene mit dem höchsten Verschmutzungsgrad. Die Gefahr, Opfer eines Chemieunfalls zu werden oder an Asthma oder Krebs zu erkranken, liegt hier deutlich höher als in den reicheren Bundesstaaten. Gleichzeitig ist in den südlichen Bundesstaaten der Energieverbrauch am höchsten, erneuerbare Energien sind noch kaum zu finden und Krisenpläne für den Fall von Klimakatastrophen sind quasi nicht vorhanden, und das obwohl die Küstengebiete zukünftig besonders von den Folgen des Klimawandels betroffen sein könnten.

Robert Bullards Fazit war dann auch eindeutig: Nachhaltigkeit darf sich nicht auf Umweltthemen beschränken, sondern muss in einem ersten Schritt vor allem auch soziale Ungleichheiten bekämpfen. Erst wenn diese beseitigt sind, sei Nachhaltigkeit in einem ökologischen Sinn überhaupt möglich. In den USA ist er allerdings nicht sehr optimistisch, was diese Entwicklung angeht, sondern verortet vielmehr die genau gegenteilige Entwicklung, in der Ungleichheiten (Wealth Gap, Health Gap, Income Gap) immer mehr zunehmen. Dementsprechend fordert er nicht nur ein Environmental Justice Gesetz, sondern auch mehr Aktivismus von Seiten der Bevölkerung, die ihre Rechte aktiv einfordern muss, um sie durchzusetzen.

Mehr Aktivismus und „Graswurzelbewegungen“ forderte schließlich auch Sarah Wiener in ihrem Vortrag über den Boden, die moderne Agrarwirtschaft und die moderne Lebensmittelindustrie. Die Menschen müssten aktiv auf eine nachhaltige Nahrungsproduktion pochen und auch selbst dazu beizutragen, sei es durch Urban Gardening, Restlkochen oder verantwortungsvollen Fleischkonsum.

Die nächsten ERDgespräche finden am 12. Mai 2016 statt – ein Termin, den man sich schon heute vormerken sollte.