Ein Gastbeitrag von Steven, der auf funkloch.me über Nachhaltigkeit, das Reisen und spannende Projekte schreibt, die mit beidem zu tun haben oder ihn einfach interessieren. Privat ist er gerne ein Träumer, der nach seiner dreieinhalb jährigen Tätigkeit in einer Berliner Werbeagentur am liebsten permanent reisender Hubschrauberpilot, Restauranttester und Schwimmlehrer werden möchte. Um nichts zu verpassen, könnt ihr auf seiner Facebook-Seite vorbeischauen.

Es war einer dieser Momente, in denen ich die rosa-rote Blümchenwelt um mich herum vergaß, an der Gutherzigkeit der Menschheit zweifelte und nicht glauben konnte, was vor mehr als 68 Jahren geschehen war. Obwohl ich die Geschichte dieser Stadt gut kannte, war ich zutiefst gerührt und vergrub mein Gesicht in Unverständnis.

Ich war in Hiroshima und saß mehrere Stunden der Atombombenkuppel gegenüber. Am 6. August 1945 um 8.16 Uhr Ortszeit detonierte hier mit einer unheimlichen Zerstörungsgewalt in 600 Meter Höhe die amerikanische Atombombe Little Boy. Es war der weltweit erste Einsatz einer Atomwaffe. Little Boy zerstörte innerhalb von Sekunden 80 Prozent der Innenstadt und löschte 90.000 bis 166.000 Menschenleben aus.

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Heute ist Hiroshima ein Ort des Friedens, der seine Botschaft in die ganze Welt sendet. In den Folgejahren entstand auf der Fläche des Hypozentrums der Peace Memorial Park. Der Park gedenkt der Opfer, klärt auf und mahnt. Im Herzen des Parks befindet sich das Peace Memorial Museum. Es lässt die grausame Vergangenheit hautnah nacherleben.

Um eine Wiederholung des Schreckens vom 6. August zu verhindern, schreibt der Bürgermeister der Stadt Hiroshima nach jedem Test von Atomwaffen einen Protestbrief an das jeweilige Staatsoberhaupt. 604 Protestbriefe wurden nach 1945 versendet. Von den letzten zehn Briefen waren neun an Barack Obama und einer an Kim Jong Un adressiert.

Den Frieden in die Welt zu tragen und etwas Gutes zu tun hat sich fortan tief im Denken der Stadt verankert. Sie ist geprägt von den Narben der Vergangenheit. Im ganzen Stadtgebiet weisen Gedenktafeln auf das Leben vor Little Boy hin und ermutigen als Zeitzeuge die Kunde in die Welt zu tragen.

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Von all den Impressionen am Ort des Geschehens hatte ich ein mulmiges Gefühl im Magen, sodass ich ganz verdrängt hatte zu Mittag zu essen. Erst jetzt machte sich der Hunger bemerkbar.

Kurz vor der Restaurantsuche machte ich einen letzten Halt auf der Parktoilette. Hier traf ich einen alten Japaner, der seine Kleidung im Waschbecken wusch. Er war sehr dürr, hatte langes graues Haar und machte trotz seiner Obdachlosigkeit einen gepflegten Eindruck. Er grüßte mit einem herzlichen Kombanwa (jap. für Guten Abend) , ließ das Wasser im einzigen Waschbecken ab und machte Platz, sodass ich mir die Hände waschen konnte. Ich grüßte ebenfalls, bedankte mich und zog weiter.

Nach etwa zehn Metern machte ich kehrt. Er staunte, als ich nur Sekunden später wieder vor ihm stand. Ich fragte ihn, ob er heute schon etwas gegessen hat. Er schüttelt langsam und nachdenklich den Kopf.

Ich nahm mein Portemonnaie und gab ihm 1.000 Yen. Erst auf mein Drängen hin nahm er es an und wünschte mir eine gute Nacht. Der Betrag in Yen entspricht etwa acht Euro. Das ist nicht viel, jedoch würden davon sicher ein paar Mahlzeiten rausspringen. Ich freute mich, etwas vermeintlich Gutes getan zu haben.

Auf der Suche nach einem Restaurant schlenderte ich durch die Straßen Hiroshimas und entdeckte das perfekte Restaurant: Ein Grill hatte mich neugierig gemacht. Ich trat näher und entdeckte eine kleine Broschüre mit der Aufschrift „Welcome Ekohiiki. This is Hiroshima.“.

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Schon auf der ersten Innenseite der Broschüre hatte mich das Ekohiiki überzeugt: Sämtliche Zutaten stammen ausschließlich aus der Region um Hiroshima! Wow, hier musste ich einfach bleiben, denn bisher kam mir Japan zwar qualitativ hochwertig, aber keinesfalls nachhaltig vor!

Ich wurde, wie immer, auf freundlichste Art und Weise herein gebeten und sofort mit Fragen über meine Herkunft gelöchert. Während die beiden Köche mein Abendessen zubereiteten, folgten weitere Fragen vom Kellner. In diesem Punkt ist Japan kurios. Entweder sind die Japaner total schüchtern und bekommen keinen Ton heraus oder sie sind extrem neugierig und fragen dich Löcher in den Bauch. Zweiteres ist mir natürlich viel lieber. Und irgendwie machte das auch Spaß, denn ich konnte Gegenfragen stellen und so auch mal hinter die Kulissen dieses spannenden Landes schauen.

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Das Essen wurde vor meinen Augen zubereitet und war himmlisch. Ich liebe die japanische Küche. Die Japaner haben meiner Meinung nach eine ganz besondere Beziehung zu Lebensmitteln. Sie gehen viel behutsamer mit ihnen um und bereiten sie mit der gleichen Liebe und Sorgfalt zu, mit der sie die Speisen auch verputzen.

Fleisch ist in Japan beispielsweise extrem teuer, was ich als „Kein-Fleisch-Esser“ absolut unterstütze, damit eine gewisse Wertschöpfung erfolgt. Spätestens durch den Blick auf das eigene Budget erfolgt das Umdenken zum geringen Fleischkonsum. Davon sind wir in Deutschland mit 500 Gramm Hack für 99 Cent leider noch lange entfernt…

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Kurz nachdem ich bis auf das letzte Reiskörnchen alles vertilgt hatte nahm ich eine Karte von Hiroshima sowie mein Telefon und einen Stift aus meiner Tasche, um bei einem weiteren Sake den folgenden Tag zu planen. Als ich gerade in den Busfahrplan vertieft war tauchte Hitoshi wieder neben mir auf. Wir verbrachten noch eine weitere tolle Stunde mit Sake und kulturellem Austausch, bis ich die Rechnung bestellte. Mein Trinkgeld nahmen sie natürlich nicht an und deuteten stattdessen auf die kleine Broschüre. Ekohiiki heißt „Etwas Gutes tun“. Sie haben es gerne gemacht, aus dem Herzen heraus.

Und so schloss sich der Kreis zwischen dem Mann auf der Toilette, dem Ekohiiki und mir.

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