Unser Lesestoff liefert nicht nur „Stoff zum Lesen“, sondern soll mit seinen Geschichten und Erzählungen die Möglichkeit geben, uns zu berühren, neue Wege aufzuzeigen oder uns zum Nachdenken zu bewegen. Am Ende jedes Lesestoffs findet ihr Hintergründe zum Text, was diesen inspiriert hat oder was die/der AutorIn damit vermitteln möchte.
Nicht für Mädchen!
„Das will ich nicht mehr anziehen!“ ruft Leonie und wirft ihr T-Shirt mit dem Aufdruck von R2D2 durch das Zimmer. „Warum denn das,“ frage ich sie, „das ist doch dein Lieblingsshirt?“ „Raffi hat gesagt, Star Wars ist nicht für Mädchen.“ erwidert Leonie. Ich setze sie auf meinen Schoss. „Du kannst tragen, was du möchtest. Was dir gefällt. Es gibt nichts, das nur für Mädchen oder nur für Buben da ist.“
Leonies Lieblingsfarbe ist dunkelblau. Seit sie laufen kann, steuert sie in Geschäften zielsicher in die Jungenabteilung zu den blauen Shirts. Sie liebt aber auch rot, pink und gelb – sie darf sich aussuchen was ihr gefällt und worin sie sich wohlfühlt.
Meine Erklärung scheint sie zu beruhigen, anziehen möchte sie das R2R2 T-Shirt aber trotzdem nicht. Wir begeben uns auf die Suche nach einer Alternative, die bald gefunden ist – ein rotes Shirt mit Winnie Puh, auch ein Klassiker bei uns. Dann müssen wir auch schon los, wenn wir nicht zu spät kommen wollen.
Später am Nachmittag herrscht wieder das übliche Chaos. Ich setze gerade einen Kaffee auf, während Leonie in einem Buch blättert, ihre kleine Schwester Meike hat wieder einmal die R2D2-Sammlerfigur in Händen und lutscht fleißig daran. Ich hoffe inständig, dass die runde Form des Roboter einen brauchbaren Schnuller-Ersatz darstellt, denn Meike liebt die alte Figur heiß und innig.
Leonie legt ihr Buch beiseite, nachdem sie Meike länger beobachtet hat. Langsam geht sie auf ihre Schwester zu, beugt sich zu ihr hinunter und nimmt Meike die kleine Figur aus den Händen. „Nicht für Mädchen!“ sagt sie und legt R2D2 zurück in die Spielzeugkiste.
Der Hintergrund
Diese Geschichte ist eigentlich keine Geschichte, sondern etwas, das eine Freundin von mir so ähnlich mit ihren beiden Töchtern erlebt hat. Mich hat diese Erzählung sehr berührt. Ich bin zwar mit anderen Hürden aufgewachsen, doch eines habe ich von meinen Eltern nie gehört: dass ich etwas nicht tun kann, weil ich ein Mädchen bin. Und das, obwohl ich Ende der 70er Jahre geboren wurde und meine Eltern in den 40ern aufgewachsen sind.
Nun leben wir in den 2020ern und noch immer – gefühlt noch mehr als früher – gibt es eine Aufteilung: für Mädchen oder für Jungen. Beim Spielzeug, bei der Kleidung und wohl auch in den Köpfen vieler Erwachsener. Noch problematischer wird es, wenn Kindern in Folge etwas aufgrund ihres Geschlechts verwehrt wird. Der Bub darf kein rosa Shirt tragen, das Mädchen nicht mit Actionfiguren spielen.
Zugleich rätseln Experten, woher toxische Männlichkeit kommt oder warum Frauen sich so selten in Führungspositionen begeben. Kinder einfach Kind sein lassen, sich selber und die Welt unvoreingenommen entdecken ist aus meiner Sicht nicht nur die Basis für eine schöne Kindheit, sondern auch für das restliche Leben.
Habt ihr solche Erlebnisse auch schon gemacht oder in eurem Umfeld mitbekommen? Was ist eure Meinung zur Aufteilung von Spielzeug, Kleidung & Co. für Mädchen oder Jungen? An die Eltern: Wie besprecht ihr diese Themen mit euren Kindern?