„Du passt perfekt in unser Irrenhaus.“ Es mag sich nicht so anhören, aber Tina Richter hat mir gerade ein Kompliment gemacht. Es ist 23.30 Uhr an meinem letzten Abend auf Teneriffa und die Deutsche bringt mich gerade auf die Bananenplantage Casa Rural El Patio de Tita zurück, von der sie mich Stunden zuvor abgeholt hat. Um mich auf ein Abendessen ins „Irrenhaus“ zu bringen, wie sie ihr Eigenheim liebevoll nennt.

Neun Hunde, acht Pferde, ungezählte Katzen und Hühner, ein Sohn, eine Praktikantin, eine Pflegetochter (die „richtigen“ Töchter studieren in Deutschland) – „Wir leihen uns alles.“, beschreibt die 47-Jährige mit einem Lachen in den Augen die derzeitigen Bewohner ihrer Finca, während ihr Mann Bodo gerade unser Abendessen zubereitet – vegetarisch und mit Zutaten der Region, versteht sich.  Seit 19 Jahren leben die Deutschen, die beide aus der Hotellerie kommen, auf der Insel. Wie so viele andere Deutschsprachige übrigens, denen wir während unseres Aufenthalts begegnet sind und die bei uns die Frage aufkommen ließ: Sind wir hier sicher in Spanien?

Zwei "Guides" führen mich auf die FInca. Foto: Doris

Zwei „Guides“ führen mich auf die Finca.

„Die Insel hat uns Wurzeln schlagen lassen.“, erzählt mir Tina Richter von ihren Anfängen, damals als die Familie wegen der „Arschkriecherei“ in der Branche Deutschland  den Rücken gekehrt hat. Die Abendsonne scheint auf das Gesicht der dreifachen Mutter, und ich weiß nicht, wohin ich eher schauen soll: Auf den rot gefärbten Vulkan Teide, diesen höchsten Berg Spaniens, der die Insel so prägt wie kaum etwas sonst, oder auf den Sonnen-Feuerball, der gerade sanft ins Meer abtaucht.

Ich will hier nicht mehr weg... Foto: Doris

Der Sonnenuntergang auf Tinas Finca: Ich will hier nicht mehr weg!

Während Bodo noch mit dem Essen beschäftigt ist, führt mich Tina durch ihr Reich: 2004 haben sich die Deutschen hier im Nordwesten der kanarischen Insel ihre Finca gebaut, 400 Meter über dem Meeresspiegel im Dorf La Guancha in den Bergen über der Stadt San Juan de La Rambla.Viel Platz haben sie dort…

Tina führt mich durch ihr Reich, die Finca im Dorf La Guancha. Foto: Doris

Tina führt mich durch ihr Reich, die Finca im Dorf La Guancha.

Den brauchen sie auch, denn Tina ist seit Jahren im Tierschutz aktiv, holt Hunde, Katzen und Co von der Straße und „klaut“ Pferde unter Polizeischutz von Schlachthöfen sowie verwahrlosten Rennställen. Ein Engagement, das seit Beginn der Wirtschaftskrise 2008, durch die mittlerweile rund 40 Prozent der Bevölkerung auf Teneriffa arbeitslos sind, nicht weniger notwendig geworden ist – ganz im Gegenteil.

Acht Pferde - ebenfalls aufgelesen - werden für die Therapie verwendet. Foto: Doris

Acht Pferde – ebenfalls aufgelesen – werden für die Therapie verwendet.

Die Tiere – und besonders die Pferde – sind aber nicht nur Tinas Haus- bzw. Hofgenossen, sondern vor allem „Businesspartner“.  Als einzige ausgebildete Reittherapeutin der Insel bietet Tina auf der Finca nämlich eine Pferdetherapie für behinderte Kinder an – wobei, das Wort Therapie mag sie gar nicht. Was im Sommer vor allem von den spanischen Nachbarn auf der Insel angenommen wird, zieht auch TouristInnen an – besonders die Deutschen, die gern in den wanderbaren Norden Teneriffas reisen: Heilsamer Spaß für die Kinder, erholsame Anlauf- und Auftankstelle für die Eltern.

Die Pferde werden als Partner behandelt: Pferdeflüsterer lässt grüßen. Foto: Doris

Die Pferde werden als Partner behandelt: Pferdeflüsterer lässt grüßen.

„Wir möchten Familien zeigen, dass sie auch mit ihren behinderten Kindern auf Urlaub fahren und reisen können.“, erklärt mir Tina, die anfangs selbst die Therapie mit ihrem hyperaktiven Sohn Lukas getestet und für gut befunden hat. Deshalb haben sie vor einem Jahr auch die drei Apartments direkt am Meer bei Puerto de la Cruz, die Tina und Bodo an Urlauber und Langzeitbewohner vermieten, ebenfalls behindertengerecht renoviert.

Mit ihrem Anliegen sind die beiden Deutschen auf Teneriffa nicht allein: Dass Behinderte lange als Schande angesehen und eher Zuhause behalten wurden, ist jetzt kaum vorstellbar. In den letzten Jahren haben EU-Gelder Investitionen in Behinderteneinrichtungen möglich gemacht, immer mehr Tourismusanbieter erkennen die Wichtigkeit der Zielgruppe. Da werden in der mit rund 18 Kilometer längsten Lava-Höhle der Insel, der Cueva del Viento, Blindenführungen organisiert oder mit dem Verein Montaña para Todos Rollstuhlfahrer durch die Höhle geleitet. Auf dem Markt am Sonntag sehen wir in La Laguna eine Gruppe mit Rollis herumfahren und am Wanderweg „Weg der Sinne“ im Naturpark Anaga sind offensichtlich die ersten hunderte Meter auch für Behinderte platt gemacht worden.

Die Höhle Cueva de Vientos bietet auch Führungen für Blinde an. Foto: Doris

Die Höhle Cueva de Vientos bietet auch Führungen für Blinde an.

Auf der Finca wurde ein großer Grill- und Speiseplatz gebaut, der ab September (bis März) zweimal wöchentlich für Wanderer zu Verfügung steht, aber genauso als Veranstaltungsraum gemietet werden kann. „Die Einnahmen dieser Events gehen an sozial schwache Familien mit behinderten Kindern hier auf Teneriffa.“, so ist die Grillstation Teil eines karitativen Gesamtkonzepts, bei dem man sich nicht auf Spendengelder verlassen möchte.

Auf der Grillstation darf auch Fleisch zubereitet werden. Foto: Doris

Grillstation mit wunderbarem Ausblick.

„Der Rest der Gelder fließt in unser Projekt nach Nairobi.“, fügt Tina hinzu. Denn als wären die Projekte auf Teneriffa noch nicht genug, engagiert sich die Deutsche seit drei Jahren mit ihrem Verein Kinderhilfsprojekte Harambee e.V. (auf Deutsch: „Lasst uns alle zusammen an einem Strick ziehen!“) für AIDS-kranke und behinderte Kinder in Nairobi. Neben der medizinischen Versorgung sollen auch Tagestherapie- und Beschäftigungszentren für behinderte Kinder und Jugendliche gebaut werden, das erste Haus ist mittlerweile im Rohbau fertig. „Ich habe mir geschworen, dass ich bis zu meinem 50er entweder den Jakobsweg wandere oder ein drittes Therapiezentrum errichte.“, ist Tina motiviert – und fügt mit ihrem nimmermüden Humor hinzu: „Letzteres wäre mir lieber.“

Auch bekannte Persönlichkeiten wie Rollstuhl-Athletin Birgit Kober, engagiert sich für Harambee. Ihr "Feuerstuhl" machte den weiten Weg von München nach Nairobi. Foto: Harambee

Auch bekannte Persönlichkeiten wie Rollstuhl-Athletin Birgit Kober engagieren sich für Harambee. Ihr „Feuerstuhl“ machte den weiten Weg von München nach Nairobi. Foto: Harambee

Entstanden ist das Projekt übrigens auf Anregung von Christtraud Weber, einer über 80-Jährigen ehemaligen Missionarin und mittlerweile Stammgast in einem der Apartments von Tina Richter. Wobei, Stammgast ist zu wenig – sie gehört als „Leihoma“ jetzt auch schon zur Familie, oder besser gesagt zum Irrenhaus…

 

Wer Tina Richter und ihren Verein Harambee unterstützen möchte, kann das über eine Patenschaft tun. Schaut auf die Website des Projekts: de.kinderhilfsprojekte-harambee.org
Auch Einsatzkräfte – Logopäden, Therapeuten und viele mehr –  werden für Nairobi gesucht. Oder ihr geht einfach einmal auf Teneriffa wandern und bucht ein Grill-Mittagessen auf der Finca…

Alle Angebote für Familien mit Handicaps auf Teneriffa gibt es hier: tenerife-accesible.org

 

Offenlegung: Danke an Condor, GCE und Turismo de Tenerife für die Einladung. Die Meinungen und Ansichten in der Geschichte bleiben meine eigenen.