Gehzeit: 6 Stunden, Kloster Monastère des Filles de Jèsus, Vaylats

Noch einmal dürfen wir gemütlich mit Esther frühstücken. Als Zugeständnis an Konrads Pläne fährt uns Esther eine Tagesetappe mit dem Auto. Der Lot führt Hochwasser. Wir starten mit der Wanderung als uns ein Schweizer mit seinem Pferd (schaut aus wie Santana) entgegen kommt. Josef ist von der Schweiz zu den Pyrenäen geritten und reitet jetzt über Lourdes wieder nach Hause zurück. Die Stute ist sehr verschmust. Einfach schön dieser Pferdegeruch. Lange winken wir dem Pferd, Josef und Esther zurück. Alles zusammen sehr berührend. Die Sonne scheint. Nach der eintägigen Pause schweben die Füße über die schönen Pfade zwischen Weiden und Eichenwäldchen. Der karge Kalkboden lässt die Bäume nicht hoch werden. Wie sehr hat sich für mich die Welt in den letzten zwei Tagen verändert! Heute lachen die Marienbecher mich an und sagen: “Na, siehst!“ Ich bin zu Tränen gerührt.

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Meine Seele ist so leicht wie meine Füße und Beine. Ein Hund, er schaut aus wie Traudes Astor, folgt uns fast zwei Stunden und in Limognes bekomme ich meinen Espresso. Der junge Mann vom Nebentisch bietet mir von seinen Chips an. Wir plaudern miteinander. Gegenüber machen Pferde und Reiter Rast. Wir begegnen immer weniger Pilgern. Auch Konrad hat die Atmosphäre bei Esther mental verlangsamt. Er kann hinter mir gehen und ich schreite flott dahin ohne mich gehetzt zu fühlen. Wir sprechen viel über die zwei Tage bei Esther. Sie hat bei mir und Konrad einen tiefen Eindruck hinterlassen. Esther, eine ganz besondere Persönlichkeit. Die Motive ihrer Bilder bedrückend aber farbenfroh. Musikanten spielen fröhlich auf. Die zufrieden aussehenden Personen stehen für Krankheit und Tod. Ein leuchtend türkiser Stuhl, der einen Schatten wirft, zieht den Blick auf sich. Auf einem anderen Bild kämpft eine nackte Frau gegen die Verzweiflung. Ein Kind stützt sie – schwarze Vögel fliegen weg – sehr viel Kraft und Temperament geht von diesem Bild aus. Viel Kraft und Energie gehen auch von Esther aus. Herz und Gefühl leiten sie sichtbar. Ökonomisches Denken ist ihr fremd. Sie schenkt uns viel Zeit. Spielt auf der Handorgel für uns statt Wäsche zu waschen. Ihre Türe ist für jeden offen oder der Schlüssel liegt unter einem Stein vor der Tür. Esther hat Leben und Tod angenommen. So wie Maria von der wertvollen Pieta der Dorfkirche. Bei einer Rast setzen sich Schmetterlinge auf meine Zehen.

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Denke an die Worte von Barbara aus München: “Wenn ich Schmetterlinge sehe, dann weiß ich, dass ich auf dem richtigen Weg bin.“ Vater und Sohn aus Quebec begegnen wir wieder. Sie haben es eilig. Ihr Rückflug ist in zwei Tagen geplant und weil sie sich gestern im Regen verlaufen haben sind sie unfreiwillig 40 Kilometer gegangen. Da waren sie natürlich froh über unseren Kaffee der sie aus Depression und Erschöpfung geholt hat. In dieser Gegend findet man Dolmen aus der Keltenzeit. Auf den Weiden immer wieder Muttertiere mit ihren Jungen. Wind und Sturm vertreiben die letzten Wolken. Um nicht zu spät an das heutige Ziel zu kommen kürzen wir ab Varaire den Weg durch einen anstrengenden Straßenhatscher bis Bach ab. Ziemlich müde bin ich als wir um 18 Uhr im Kloster Monastère des Filles de Jèsus in Vaylats ankommen. Die Anlage ist relativ groß. Die Zimmer sind sehr einfach ebenso das Essen im Speisesaal mit den anderen Pilgern. Eine sehr freundliche Pilgerbetreuerin begrüßt uns. Wir sehen rund zwanzig ältere Nonnen. Es gibt zwei Tische für die Pilger von denen wir einige schon kennen. Zwei Österreicher aus Wien und Schärding lernen wir kennen. Auch die freundliche Pilgerbetreuerin kann das lieblose Essen nicht wettmachen. Die Nonnen nehmen keinen Kontakt mit uns Pilgern auf. Es gibt keine Gelegenheit an einem gemeinsamen Gebet teilzunehmen. Nach dem Essen beginnt es zu donnern und zu wettern. Dann schüttet es wieder in Strömen. Das alte einfache Fenster im Zimmer ist nicht dicht. Mit unseren Badetüchern kämpfen wir gegen das eindringende Wasser bis es uns gelingt, die Läden zu schließen. Draußen liegt der Hagel wie Schnee. Noch lange grollt der Donner uns in den Schlaf. Welch ein Glück so geschützt zu sein neben der Nachtischlampe mit der kitschigen schwimmenden Kunstrose!