Im anthropozentrischen Netzkunst-Gewalt-Experiment markiert das virtuelle Fadenkreuz die lebende Ratte als Abschussziel. Im Gemälde „Gewährsmänner“ (siehe Titelbild), stellt es Unterdrückungsordnungen und Gewaltstrukturen in Frage, anstatt sie zu bestätigen.

„Gewährsmänner“ von Hartmut Kiewert

Wir sehen einen braunen Hirsch mit blauem Fadenkreuz am Brustkorb. Er befindet sich im Sturz, ist umringt von Jagdhunden und zwei männlichen Personen in Warnwesten. Stehend, der Philosoph René Descartes [1] „der die Trennung zwischen Mensch und Tier auf die Spitze trieb“ und auf dem Pferd sitzend „Damien Hirst [2], der Tiere als reines Material für seine künstlerischen Arbeiten sieht und dafür auch umbringen lässt.“ [3] Beide Männer blicken aus dem Bild zu den Betrachtenden. „Die beiden sind sich offenbar darüber bewusst, dass sie beobachtet werden, lassen aber trotzdem nicht von ihrer grausamen Tat ab. Die Betrachtenden werde ein stückweit zu Komplizen.“, so Künstler Hartmut Kiewert.

Der dunkle Hintergrund verbirgt beinahe ihre vorsätzliche Mausklickmentalität – Descartes richtet eine Fernbedienung auf den Hirsch, Hirst dokumentiert die Szene mit einem Mobiltelefon.

Gustave Courbet, Hirschjagd im Winter, 1867, Öl auf Leinwand, 355 x 505 cm, Musée des Beaux-Arts et d'archéologie de Besançon | Public Domain

Bild: Gustave Courbet, Hirschjagd im Winter, 1867, Öl auf Leinwand, 355 x 505 cm, Musée des Beaux-Arts et d’archéologie de Besançon | Public Domain

„Hirschjagd im Winter“ von Gustave Courbet

Als Vorlage zu „Gewährsmänner“ diente „Hirschjagd im Winter“ (The kill of deer), ein Werk des leidenschaftlichen Jägers und für seine realistische Malerei berühmten Künstlers Gustave Courbet. Er berichtete voller Begeisterung von den prachtvollen Tieren, die durch seine Hand getötet wurden. [4] Das Werk zeigt das Ende einer Parforcejagd (Halali) [5]  in winterlicher Landschaft.

Herrschaftskritische Kunst

Einzelne Bildelemente wurden von Kiewert zitiert, verändert und ergänzt. Laut Künstler gilt das Fadenkreuz „als Unterstreichung des abgekarteten ‚Spiels‘ der Jagd, bei dem der Hirsch das ausgemachte Opfer und Verlierer ist.“

Kiewerts Werk bietet ein Gegenstück zu anthropozentrischer Kunst, die vorherrschende Herrschaftsmechanismen bekräftigt. Es verweist auf die Notwendigkeit zur Hinterfragung von dominierenden Ausgrenzungs- und Diskriminierungsprozessen und emanzipiert sich so von herrschaftlichen Bildregimen. Achtung: Bei legitimationsfreier Konfrontation könnte sich die selbstauferlegte Vorherrschaft des Menschen als Konstrukt erweisen.

Vielen Dank an Hartmut Kiewert für die Beantwortung meiner Fragen und die zur Verfügung gestellten Bilder!

Kennst du Kunstwerke, die etwas kritisch hinterfragen?

 

Quellen:
Website von Hartmut Kiewert
KIEWERT, Hartmut, »mensch_tier«, Münster 2012
[1] Rene Descartes war davon überzeugt, dass „Tiere“ affektgesteuerte Biomaschinen, instinkthafte Wesen ohne Vernunft, Sprache und Bewusstsein sind. Vgl. Discours de la méthode, V. 9 – 12.
[2] Zeitgenössischer Künstler, der bekannt für seine in Formaldehyd präsentierten Tierleichen ist.
[3] + [6] E-Mail Interview mit Hartmut Kiewert.
[4] TITEUX, Gilbert, Auf der (Traum-) Fährte des Hochwilds. Zu Courbets Jagdbildern, in: Ausstellungskatalog, Courbet – Ein Traum von der Moderne (Schirn Kunsthalle Frankfurt, 15. Oktober 2010 – 20. Januar 2011) Hrsg. HERDIG, Klaus, HOLLEIN, Max, 72
[5] Parforcejagd, franz. par force ‚mit Gewalt‘. Form der Hetzjagd zu Pferde mit laut jagender Hundemeute auf ein einzelnes Stück Wild. Im 17. und 18. Jahrhundert besonders beliebt. Einschränkungen seit dem 19. Jahrhundert, heute in einigen Ländern verboten.