Manchmal beneide ich meine deutschen Nachbarn. Warum? Sie haben eine Glücksministerin. Ja, richtig gelesen: Seit November 2012 führt Gina Schöler ihr Ministerium für Glück und Wohlbefinden. Was damals als Semesterprojekt an der Hochschule Mannheim als Kampagnenidee entwickelt wurde, ist für die junge Kommunikationsdesignerin längst zur Beruf(ung) geworden. Seither gibt sie bei Workshops, Seminaren, Aktionstagen und Happynings weiter, was sie als Glücksministerin gelernt hat und ermuntert, sich Fragen zu stellen: Was will ich? Was brauche ich? Was macht mich glücklich? Und sie sorgt dafür, dass bei all dem Glückstraining der Spaß nicht zu kurz kommt. Mit ihrem Glücksspiel zum Beispiel: „Spendiere beim Bäcker heute jemanden einen Kaffee“, steht auf einer der Karten, die mit QR Codes versehen sind. Hat man die Aufgabe erfüllt – mit einem Lächeln, versteht sich -, gibt man die Karte an eine andere Person weiter. So soll diese durch ganz Deutschland wandern und möglichst viele Menschen glücklich machen. Das ist zumindest der Plan von Gina Schöler, die sich als selbsternannte Glücksministerin kein geringeres Ziel gesetzt hat, als Deutschland glücklicher zu machen.

Doris: Wie geht es der Frau Minister? Bist du in deiner Amtszeit glücklicher geworden? Wenn ja, warum? 

Gina Schöler: Ich habe von dieser Thematik unfassbar viel mitgenommen und gelernt. Vorher war ich ein unbeschriebenes Blatt, eine Kommunikationsdesignerin, der es zwar gut geht, die sich aber noch nie die Frage gestellt hat, was sie will, was sie wirklich kann und was sie denn eigentlich glücklich macht. Dann kam das Glück. Und ich lernte und staunte und fragte nach. Und ich lernte auch mich selbst ein Stück weit besser kennen. Man nimmt viel mit, wenn man sich intensiv mit dem „guten Leben“ beschäftigt. Es sind die kleinen Dinge, die man realisiert: Ruhe, Genuss, Aufbruch, Klarheit – das pure Leben in allen Varianten mit allen Sinnen und Emotionen wahrnehmen und genießen. Das kann man lernen und üben und das macht richtig Spaß!

Das Glücksministerium war ja am Anfang ein Studentenprojekt: Wann hast du die Entscheidung getroffen, dass es für dich zu deinem (Berufs)Leben wird? Und warum?

Die Tatsache, dass das Projekt für mich mehr ist als nur ein Studiumsprojekt, war mir sehr schnell klar. Mit soviel Euphorie, Tatendrang, Ideenreichtum und Begeisterung habe ich vorher noch nie ein Projekt bearbeitet. Es hat sehr viel in mir ausgelöst und mir vor allem gezeigt, dass in mir noch viel mehr schlummert und ich mit meiner Fähigkeit der Kommunikation und der Visualisierung mehr erreichen kann: Menschen bewegen und begeistern, einen sinnvollen und glücklichen Beitrag zur Gesellschaft leisten. Das steckt an und motiviert ungemein und da hat das MfG etwas in mir geweckt, was mich wohl ein Leben lang begleiten wird. Zum einen wollte ich natürlich einfach nicht aufhören, dieses Thema und das Projekt voranzutreiben und auszubauen, zum anderen habe ich einfach nach dem Motto gehandelt, sein Hobby beziehungsweise die Berufung zum Beruf zu machen – was gibt es Schöneres?

MfG_Gluecksspiel

Glück ist gerade im Trend: Warum ist das so? 

Wahrscheinlich würde ich es nicht Trend nennen, man spürt schon den Bedarf eines Wertewandels und genau da setzt das MfG auch an. Fragen stellen, Impulse geben, Reaktionen abwarten, präsent sein, das Ganze leicht greifbar und sympathisch verpacken, so dass alle verstehen, dass jeder sein eigener Glücksexperte werden kann. Es gibt ganz offensichtlich einen großen Bedarf an Veränderung, das spürt man in allen Bereichen, an allen Ecken und Enden. Die Menschen wollen nicht mehr auf der Überholspur leben, sondern auch mal einen Abstecher machen, eine Pause am Wegesrand einlegen, den Rückwärtsgang einlegen. So langsam sickert durch, dass es so nicht weitergehen kann und überall sprießen Ideen und Alternativvorschläge und -konzepte, es ist eine spannende Zeit. Das Leben kann mehr als Profit und Erfolg. Nämlich Glück.

Glück wird größer, wenn man es teilt: Was waren deine besten Glücksmomente – in deinen Kursen, deinen Coachings, deinen Workshops…

Das Beste, das einem passieren kann, sind leuchtende Augen, strahlende Gesichter, kleine Glühbirnen über den Köpfen der Menschen, die gerade realisieren, was sie anders machen und ausprobieren könnten. Nach Events oder Workshops kommen Menschen oft zu mir und schütten nochmal ihr Herz aus, resümieren und erzählen mir von ihren Plänen und Gedanken, wie sie nun in Zukunft mit sich und ihrem Umfeld umgehen möchten. Diese stillen Worte, herzlichen Umarmungen und auch langen E-Mails sind das Größte! Und oft wird gesagt und gedankt, dass sie sich vorher noch nie die Frage nach dem Glück stellten und dies das erste Mal war!

Du führst auch Glücksumfragen durch: Was ist das Ergebnis – wie glücklich sind die Menschen? Und was machen die Glücklichen anders?

Repräsentativ führe ich (noch) keine Umfragen durch, ich stehe mit den Menschen nur sehr oft im Dialog, sowohl online als auch offline. So zum Beispiel in Straßeninterviews, in Form von Malwettbewerben, Online-Diskussionen oder Kampagnen-Aktionen. Persönlich habe ich das Gefühl, dass die Menschen schon ganz glücklich sind, es vielleicht kulturell bedingt nur ganz gut verstehen, das manchmal zu verstecken. Aber gerade durch die kleinen verschiedenen Aktionen der Kampagne merke ich, wie die Leute oft sehr schnell aufblühen, wenn man sie an der richtigen Stelle kitzelt, das macht riesig Spaß! Was die „Glücklichen“ meiner Meinung nach ausmacht: Leben, lieben, lachen. Abenteuerlust, Mut, Entschiedenheit, Neugierde, raus in die Natur, Neues erleben, teilen, helfen, dankbar sein.

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Traurigkeit, Verlust, Unglück – das gehört ja auch zum Leben dazu. Wie sollen wir damit umgehen deiner Meinung und Erfahrung nach? 

Da es zum Glück nicht darum geht als dauergrinsende Honigkuchenpferde das Leben zu bestreiten, gehört es ganz natürlich mit dazu, dass es ein Auf und Ab gibt. Ohne die Tiefen können wir die Höhen gar nicht so zu schätzen wissen und deshalb muss man auch in schweren Zeiten das Unglücklichsein zulassen. Man darf sich nur nicht darin verlieren, dann wird es kritisch. Die Kunst ist es, auch in traurigen Zeiten, die jeder von uns hat, den Ausgleich zu schaffen, das Positive zu sehen oder zumindest zu erahnen und sich selbst wieder aufzurappeln.

Bewusstsein, Reduktion, Zufriedenheit – diese drei Schlagworte stehen auf der Website ganz oben. Warum genau diese drei?

Bewusstsein – aufwachen, die Scheuklappen ablegen und dem alltäglichen Autopiloten entfliehen. Sich seiner selbst, dem Leben und der eigenen Umgebung wieder bewusst werden, sich wesentliche Fragen zu stellen und nicht aufzuhören, nach Antworten zu suchen. Wie will ich leben? Was will ich wirklich? Was kann ich dafür tun? Seine im Laufe des Lebens wandelnde Identität und die damit verbundenen Träumen wahr- und ernstnehmen und an der Umsetzung dieser arbeiten. Wenn ich tanze, tanze ich. Wenn ich schlafe, schlafe ich. Voll und ganz bei der Sache sein, im Hier und Jetzt leben, jeden Moment mit allen Sinnen genießen – all dies fällt uns in der immer schneller werdenden Welt immer schwerer. Ein Plädoyer an die Kunst des Wahrnehmens und des Genießens. Reduktion – ist weniger das neue mehr? Wenn wir abspecken müssen, um auch weiterhin eine nachhaltige, gute und glückliche Zukunft garantieren zu können, müssen wir uns vor Augen führen, was das „mehr“ ist, wenn weniger mehr sein soll. Es sind die wesentliche Dinge, die das Leben lebenswert machen und auf die es sich zu konzentrieren gilt. Es ist unser Glück. Und dafür braucht es nicht viel, vor allem nichts Materielles. Eine Motivation zum Aussortieren und sich wieder frei machen. Äußerlich und innerlich. Beruflich und privat. Materiell und ideell. Lebenskunst ist die Kunst des richtigen Weglassens. Was brauche ich also wirklich? Zufriedenheit – Es gibt genug Zeitdruck und Konkurrenzkampf in unserem Leben. Wenn man bei sich und mit dem, was man ist und hat zufrieden ist, kann man dem Zirkus da draußen gelassener entgegentreten und es berührt einen nicht mehr so sehr. Man darf sich bewusst werden, dass man keinem Ideal hinterherrennen muss, um ein gutes Leben zu führen. Sei du selbst. Alle anderen gibt es schon. Was macht mich glücklich?

Wie geht’s weiter? Was sind die Pläne und nächsten Schritte der Glücksministerin?

Gerade plane ich ganz konkret mehr Workshops und Seminare zu machen. An Schulen und auch an Unternehmen. Ich möchte mit den Menschen noch intensiver und persönlicher zusammenarbeiten und gemeinsam mit ihnen das Bruttosozialglück gestalten und erarbeiten. Ideen und Visionen gibt es viele! Die nächste Zeit werde ich auf einigen Konferenzen in Deutschland und auch in der Schweiz sein, dort das Thema und das Projekt vorstellen und die Leute spielerisch dazu animieren, mitzumachen. Und eventuell hat das MfG auch bald einen offiziellen Sitz, dann ergeben sich nochmal ganz andere Möglichkeiten und Kontakte zu den Bürgern.

Danke und weiterhin viel Glück!

Mehr zum Ministerium für Glück und Wohlbefinden unter ministeriumfuerglueck.de

 

Hier geht es zu „Die Glücksbringer Teil 1: Glückstrainerin Diana Grabowski„.