Aus-alt-macht-neu-Konzept. Die kleingeschriebene Zeile in der U-Bahn von Bonn, von deren Existenz ich bis vor ein paar Tagen noch nicht einmal gewusst habe, zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. 2007 haben sich die Stadtwerke Bonn entschlossen, statt 25 neue Bahnmodelle die ältesten Fahrzeuge wieder zu beleben. Da wurde die letzten Jahre in den eigenen Werkstätten geschraubt, entkernt, demontiert, Fahrerkabinen vergrößert und alle Züge mit Energie sparenden Antrieben versorgt: Kurz, keine Schraube der B-Wagen aus den Jahren 1974 bis 1977 blieb auf der anderen. Heraus kam das “Comeback des Jahres”, wie die lokalen Zeitungen die Jungfernfahrt dieser re- oder besser gesagt upcycelten Stadtbahnwagen im März euphorisch gefeiert haben.

Aus alt macht neu: Vor dieser Herausforderung standen wohl nicht nur die Bonner Öffis, es ist eine Idee, mit der sich die ganze Stadt beschäftigen muss(te). Was ist denn eigentlich aus Bonn geworden, fast 15 Jahre, nachdem es seine Identität als deutsche Hauptstadt verloren hat?

Was die Bonner im Sommer tun? Das Leben am Rhein und im Grün genießen, was sonst?! Foto: Doris

Was die Bonner im Sommer tun? Das Leben am Rhein und im Grün genießen, was sonst?! Foto: Doris

Statt der erwarteten, ausgestorbenen Betonklötze empfangen mich schicke Stadthäuser mit fein säuberlichem Blumengesteck an den Fenstern. Wo früher die deutsche Verwaltung zugange war, haben Institutionen der UNO oder auch die Zentrale von Fairtrade einen Hauch des Internationalen gebracht. Nicht steife Anzugträger mit Aktentaschen und forschem Schritt bevölkern die überschaubare Innenstadt, sondern junges, lässiges Publikum – noch haben sie keine Ferien, die Studenten. Statt fadem Grau-in-Grau begrüßt mich Bonn mit viel Grün, auf dem sich die Leute an Sommertagen wie diesen gern breit machen, pflastersteinigen Fußgängerzonen – und natürlich dem Rhein. An der Uferpromenade wird gejoggt und flaniert oder Rad gefahren, je nach Belieben, sicher aber die viel besprochene Geselligkeit der Rheinländer in den Biergärten unter Beweis gestellt. Von denen gibt es übrigens entlang der Promenade so viele, dass man es nie bis ins 82 km entfernte Koblenz schafft, auch wenn das theoretisch möglich wäre. Doch ein “Bönnsch”, wie das Bier hier in Bonn genannt wird, geht immer. Soviel habe ich schon gelernt…

Wer mit dem Bönnsch in der Hand am Rhein entlang radelt... Foto: Doris

Wer mit dem Bönnsch in der Hand am Rhein entlang radelt… Foto: Doris

Manchmal komme ich “zufällig” an Orte, die mich positiv überraschen. Bonn und die Region, deren Siebengebirge die Einheimischen ob ihres Erholungswerts zum Schwärmen bringt, zählen dazu. Gezielt auf meine “Bucket-List” hätte ich die Stadt, die schon wegen ihrer leichten Begehbarkeit das Dörfliche nicht abstreifen kann (will sie es?), aber nicht gesetzt. Damit bin ich wohl nicht allein.

“Wir möchten die Reisenden anziehen, die sich bisher nicht für Bonn interessiert haben”, erklärt mir Thomas Lenz, seines Zeichens PR-Berater des “BaseCamp Young Hostel”. Was hier im in die Jahre gekommenen Industrieviertel entstanden ist, ist ein einzigartiges Konzept, nicht nur für die rund 307.500 Einwohner-Stadt am Rhein, sondern weltweit: Inspiriert von einem Teil des Berliner Hüttenpalast ist vor Kurzem das Base Camp entstanden. Ein …  ja, was ist denn überhaupt?

Indoor-Camping, Event-Camping, Übernachten in historischen Wohnwägen – die Namen tragen der Idee kaum Rechnung. „Wir sind eine schlafbare Kunstinstallation„, beschreibt es Lenz, der mich gemeinsam mit seinem Kollegen Clemens Brecht durch die frühere Parfüm-Lagerhalle führt. Wo vor einigen Jahren noch Lancôme seine Düfte gestapelt hat, strahlen jetzt 15 Campingwägen um die Wette. Rockabillies, Hausboot, Flowerpower, Safari, …. – wer hier übernachten möchte, der hat die Wahl der Qual. Jeder der alten Wägen, die – klischeegerecht – vor allem aus Holland und Osteuropa importiert worden sind, trägt einen sprechenden Namen.

Safari, Jägerhütte oder Drag Queen? Welchen nehm ich denn heute? Foto: Doris

Safari, Jägerhütte oder Drag Queen? Welchen nehm ich denn heute? Foto: Doris

Und nicht nur das: Die Film-Plastikerin Marion Seul hat die Campingwägen in bewohnbare Kulissen verwandelt. Stilecht hat die Bonnerin, die dem Namen ihres Unternehmens „Blendwerk Werkstatt – Atelier Für Unbeschaffbares“ alle Ehre macht, Requisiten – oder vielmehr Einrichtung – vom Flohmarkt und Trödler geholt. “Es geht um die Liebe zum Detail”, erzählt sie mir, die heute zufällig ebenfalls im BaseCamp vorbeischaut. Es ist ihr erster Tag nach dem Segelurlaub – ihrem ersten seit fünf Jahren – und schon geht sie wieder frisch ans Werk, denn noch ist die Dekoration der Airstreams ausständig. Auch den kleinen “Schrebergärten”, die vor jedem Wagen zu finden sind, fehlt der letzte Schliff.

Jeder Wagen hat einen kleinen Garten vor der Wagentür. Foto: Doris

Jeder Wagen hat einen kleinen Garten vor der Wagentür. Foto: Doris

Für Außenstehende wie mich ist dieser Work-in-progress nicht wahrnehmbar. Da strahlt der prunkvoll überladene Wagen “Drag Queen”, der in Kinderaugen gern als pinker Prinzessinnenwagen durchgeht (ja, eigene Assoziationen sind erlaubt), innen und außen mit Glitter-Glamour als gäbe es kein Morgen. Gegenüber übt sich “Zen” in Askese, buddhistische Gebetsfahnen sind sein einziger Schmuck. Und beim Anblick des Weltenbummler-Campers, der ganz in Stadt- und Landkarten gehüllt ist, schlägt mein Reiseherz höher. Entschieden, der wäre meiner!

MEINER. Der Weltenbummler. Foto: Doris

MEINER. Der Weltenbummler. Foto: Doris

Wie gut, dass Geschmäcker und Ansprüche unterschiedlich sind, denke ich mir, als mich Thomas Lenz zu den zwei Zügen führt. Hier lässt sich in Schlaf- oder Liegewägen das nachempfinden, was ich schon bei meiner Anreise von Wien nach Bonn im Zug live erlebt habe: Eine Übernachtung auf engstem Raum mit Sardinengefühl und Ohrschutzpflicht. Perfekt… vielleicht nicht für mich, dafür aber für Schulklassen oder Jugendgruppen. “Anders als in einer Herberge mit Zimmern auf mehreren Stockwerken können hier Aufsichtspersonen alle im Blickfeld haben”, macht mir Lenz klar, “und die Schüler erleben pures Abenteuer.” Wie zum Beispiel, wenn sie – wie schon passiert – die Halle mit den Rollschuhen erobern, die eigentlich zu Deko-Zwecken auf einem Camper-Dach montiert waren.

Schlafen in der Bahn? Das habe ich live, andere buchen dafür das BaseCamp. Foto: Doris

Schlafen in der Bahn? Das habe ich live, andere buchen dafür das BaseCamp. Foto: Doris

Gut, dass man im BaseCamp flexibel ist: Eine Einstellung, die es nicht nur bei Jugendgruppen, sondern auch für Veranstaltungen braucht. Dass die Räumlichkeit, die technisch alle Stücke spielt, für Events taugt, hat sie bereits unter anderem bei der Social Bar unter Beweis gestellt. Weitere Gelegenheiten werden sicher folgen: “Wir sind überrascht, wie viele Bonner Interesse an unserem Platz haben”, wundert sich Lenz über Schaulustige, die noch vor der offiziellen Eröffnungsfeier Ende des Monats zu Besuch kommen, oder über lokale Familien, die samt Kind & Kegel hier Auszeit von ihrer Heimatstadt nehmen.

Ein Abenteuerspielplatz ist das BaseCamp auch draußen. Außerdem können die Wohnwägen auchfür Events z.B. dorthin gefahren werden. Foto: Doris

Ein Abenteuerspielplatz ist das BaseCamp auch draußen. Außerdem können die Wohnwägen auch für Events z.B. dorthin gefahren werden. Foto: Doris

Sprachs, und zeigt mir die Toiletten und Badezimmer, die in der Halle eingebaut wurden – wie es sich für einen “echten” Campingplatz gehört. Eher außergewöhnlich für einen eben solchen ist hingegen die Putzfrau, die in dem Moment mit weißer Bettwäsche ihr Rollwägelchen an mir vorbei zieht. “Darf ich ein Foto machen?” Die Dame mit Migrationshintergrund versteht meine Frage nicht, doch ein Anruf bei ihrem Sohn hilft: Ja, freilich, übersetzt dieser, und schon wirft sie sich in Pose. Schön platziert vor dem originalen Trabi-Zelt, das auf dem Kult-Wagen angebracht ist. Auch darin kann man natürlich übernachten.

Eine Putzfrau auf dem Campingplatz? Das BaseCamp ist eben anders. Foto: Doris

Eine Putzfrau auf dem Campingplatz? Das BaseCamp ist eben anders. Foto: Doris

Die Führung geht weiter – ins zweite Geschoß, wo allmorgendlich auf neu renovierten Schreinerbänken mit sündteurer Glasdecke das Frühstücksbuffet serviert wird. An der Wand stehen alte knatschblaue Kinostühle, die einem ehemaligen Bonner Filmtheater entnommen wurden und wohl genauso weggeworfen worden wären wie die mit ihren 10 Jahren fast schon „antiquen“-TV-Bildschirme. Hier sind auch diese wieder zu etwas gut, und sei es “nur” zur Deko der Küche.

Einmal im BaseCamp, einmal in der Bonner Innenstadt – Telefonzellen werden hier zu Bücherkästen. Foto: Doris

Oder um wie die knallrote Telefonzelle im Zwischengeschoß als Bücherregal herzuhalten – eine Idee, mit der das Base Camp übrigens einmal Bonn zitiert. Denn auch dort wurde in deutscher Pragmatik ein unnötig gewordenes Geschenk der britischen Insel zu einer Tauschbörse für gebrauchte Bücher umfunktioniert.

Das Pappsatt macht genau das - und passt genau in den Vorgarten des BaseCamps. Foto: Doris

Das Pappsatt macht genau das – und passt genau in den Vorgarten des BaseCamps. Foto: Doris

Nach ein paar Stunden muss ich mich vom BaseCamp verabschieden, nicht aber vom Upcycling-Konzept: Vor den Toren der früheren Lagerhalle steht das “Pappsatt“Damit hat sich der ehemalige Manager aus der Versicherungsbranche, Peter Genske, seinen Kindheitstraum Traum erfüllt: Neben seinem Catering-Geschäft hat er einen mobilen Burgerladen eröffnet – und als Autodidakt einen ausrangierten US-amerikanischem Vorbild Schulbus mit Küche (Zimmer, Kabinett) ausgestattet. Mit Fleisch von einem Bonner Partner, überraschend frischen Brötchen – ebenfalls von einem regionalen Bäcker –, selbst gemachten Pommes und würzigem VeggieBurger (me-me-me) erfreut er seit acht Wochen nicht nur Passanten und Vorbeifahrer, die nach Bonner Tradition schon einmal zwanzig Minuten vor geschlossenem Schranken auf die Bahn und somit die Überquerung der Schienen warten. Auch die Gäste des Base Camps sowie des angrenzende Bonnox Boarding House & Hotel, das dem gleichen Besitzer gehört, sind nur die ersten, durchaus zufriedenen Probeesser: Bald wird der Ansturm noch größer, denn gegenüber werden in Kürze täglich 300 – 400 Arbeiter auf der Großbaustelle erwartet. Was als Industriegebiet eher heruntergekommen ist, soll nämlich zu einem hippen Wohnviertel werden und scharrt als nächstes “Comeback des Jahres” schon in den Startlöchern. Wie war das noch einmal mit dem Bonner Aus-alt-macht-neu-Konzept?

 

Offenlegung: Danke an die Region Bonn für die Einladung, unser erstes Treffen der offenen Plattform für deutschsprachige Reiseblogger bei Euch abhalten und die Gegend erkunden zu können! Die Meinungen und Ansichten in der Geschichte bleiben meine eigenen.