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Nadine sucht das Glück: Glück ist schrillernd

„Ich bekenne, ich brauche Geschichten, um die Welt zu verstehen.“ So das Geständnis von Siegfried Lenz, einem deutschen Schriftsteller in seinem Werk „Die Erzählungen“. Mir geht es ganz ähnlich, auch…

„Ich bekenne, ich brauche Geschichten, um die Welt zu verstehen.“ So das Geständnis von Siegfried Lenz, einem deutschen Schriftsteller in seinem Werk „Die Erzählungen“. Mir geht es ganz ähnlich, auch ich möchte die Welt verstehen und benötige dafür Geschichten. Noch mehr als die Welt als Ganzes möchte ich aber die Menschen verstehen, die ihre Geschichten erzählen. Was bringt sie zum Lachen, was zum Weinen? Welche Abenteuer haben sie schon erlebt und für welche wappnen sie sich gerade? Wovon träumen sie, worauf hoffen sie? Und vor allem, was macht sie glücklich? Was ist es, das ihre Energiereserven auffüllt und sie auch in schweren Zeiten die Zuversicht nicht verlieren lässt? Was ist es, das sie aus ihrem Inneren heraus strahlen lässt? Immer wieder stelle ich mir diese Fragen. Erst vor kurzem ist mir die Problematik daran aufgefallen. Ich stelle mir diese Fragen. Mir selbst, als würde ich die Antworten kennen. Dabei sind doch die anderen Menschen die einzigen, die mit ihren Geschichten meine Fragen beantworten können.

Die erste Person, die ich gebeten habe, mir ihre Geschichte zu erzählen nennt sich Yogi. Wir kennen uns mittlerweile schon seit einigen Jahren und haben gemeinsam gelacht, getanzt und über Gott und die Welt geredet. Über ihre persönliche Glücksgeschichte haben wir allerdings noch nie gesprochen. Bei einem gemeinsamen Kaffeehausbesuch und anschließendem Spaziergang am Donaukanal haben wir das aber nachgeholt. Vorhang auf für Yogi, hier kommt ihre Geschichte!

„2012 war das beste Jahr meines Lebens. Ich war das ganze Jahr lang auf Weltreise, war frei und ungezwungen und konnte einfach nur das tun, worauf ich Lust hatte. Was ich mache, mit wem ich rede, wen ich kennenlernen möchte, wohin ich gehe – all das war ganz allein meine Entscheidung. Ich war ein ganzes Jahr lang auf Urlaub, wer würde das nicht großartig finden?“ Zwölf Monate lang durch die Welt zu reisen und ganz frei entscheiden zu können, welchen Weg man als nächstes einschlägt, macht ganz gewiss glücklich. Daran zweifle ich nicht. Ob es diese Freiheit ist, die sie als größtes Glück empfand, habe ich sie gefragt. „Nein, das war großartig, aber dass ich Orte kennen lernen durfte, an denen ich mich heimisch fühle, das war die beste Erfahrung. Und auch die Begegnungen mit den unterschiedlichsten Menschen und Kulturen waren ein großes Glück.
In Venice Beach, Los Angeles hatte ich das erste Mal auf meiner Reise dieses Gefühl. Das ist ein Ort, an dem ich bleiben könnte, weil die Menschen entspannt sind und das Lebensgefühl frei ist. Ein fantastisches Buchgeschäft gibt es dort. Es gibt Açaí-Eis aus Brasilien, Bongo-Spieler, das Meer rauscht, man radelt die Strandpromenade entlang und fühlt sich wie in Baywatch.

Ein noch stärkeres „Hier bin ich zu Hause“-Gefühl hatte ich in Kambodscha. Eigentlich habe ich nichts über dieses Land gewusst. Ich musste aus Thailand ausreisen, weil mein Visum ausgelaufen war. Der Grenzübertritt zu Kambodscha war der am nächsten gelegene. In Thailand zog ich von einem Ort zum anderen, wollte nie weiter und verliebte mich doch sofort wieder in mein nächstes Ziel. Ich wollte Thailand nicht verlassen, landete aber doch ganz unvermutet in meinem Lieblingsland.“

In Gedanken reise ich nach Kambodscha. Was weiß ich eigentlich über dieses Land und die Leute dort? Nichts. Ich habe mich noch nie damit auseinandergesetzt. Yogi nimmt einen Schluck von ihrem brasilianischen Kaffee und erzählt weiter: „Die Leute in Kambodscha sind so liebenswert. Obwohl ihre jüngste Vergangenheit nicht immer leicht war und die Spuren des Genozids in den Siebzigern nach wie vor präsent sind, sind sie aufgeschlossen und offen. Ich war fasziniert und fragte mich, wie das überhaupt möglich sein konnte. Zwischen all diesen Menschen, die trotz ihrer schlechten Erfahrungen so lebensfroh geblieben sind, fühlte ich mich zu Hause.“

Während Yogi von Kambodscha und den Leuten dort erzählt, leuchten ihre Augen. Die Erinnerung an ihre Zeit dort bereitet ihr offensichtlich viel Freude. Mir drängt sich die Frage auf, wie es sich jetzt anfühlt, fernab Asiens und eineinhalb Jahre später. „Kambodscha ist mein Land, dort soll ich sein. An diesem Gedanken hat sich bis heute nichts geändert.“ Yogi scheint in der Ferne ihr Herz an eine zweite Heimat verloren zu haben. So sehr sie die Monate dort genossen hat, so wenig vergessen sind auch die weniger schönen Erinnerungen. „Nach acht Monaten Reisezeit hatte ich ein so genanntes Travel Burnout. Obwohl ich mich so heimisch fühlte, ging es mir nicht gut. Es gab ständig nur Reis und Nudeln, überall war es schmutzig, ständig wurde ich als Touristin von Händlern bedrängt, die mir etwas verkaufen wollten. Ich nahm mir eine Auszeit und verbrachte einige Tage in der Hauptstadt von Kambodscha. Dort gönnte ich mir seltene Luxustage. Ich ging zum Frisör, kaufte mir ein hübsches Kleid und mietete ein Zimmer in einem Hostel, das neben einem hervorragenden Kaffeehaus lag. Diese Auszeit vom Reisen hat mir das Land noch näher gebracht, weil ich gesehen habe, dass es mich auch aufbauen kann, wenn es mir schlecht geht.“ Ich habe noch nie von einem Travel Burnout gehört und bin überrascht, wie offen Yogi darüber spricht. So schlecht es ihr ging, so fabelhaft ist es, dass sie eine so positive Erkenntnis gewinnen konnte.

„Während meiner Tage in Phnom Penh habe ich auch einen Fotokurs besucht, weil Fotografie auf dieser Reise zu meiner Leidenschaft und meiner Möglichkeit geworden ist, besondere Momente einzufangen und anderen zugänglich zu machen. Ich habe viele Einheimische fotografiert. An meinem letzten Tag habe ich beim Ausflug mit dem Fotokurs eine runzlige, alte Kambodschanerin ohne Zähne fotografiert. Ihr liebenswertes, aufgeschlossenes Lächeln hat mich berührt und mir noch mehr verdeutlicht, wie sehr ich dieses Land liebe.“

cambodian by Yogi

Yogis Aufenthalt in Kambodscha endete wiederum, weil ihr Visum auslief. „An der Grenze habe ich geweint. Ich wollte nicht weg.“ So eng fühlte sie sich dem Land verbunden, dass der Abschied schmerzte. Die nächsten Tage in Vietnam konnten den Kummer nicht lindern. „Die Menschen in Vietnam waren ganz anders als in Kambodscha. Sie waren viel verschlossener, trugen meistens Mundschutz und tief ins Gesicht gezogene Hüte. Ich hatte das Gefühl von Gesichtslosen umgeben zu sein. Außerdem war es, als hätte ich, egal wo ich hin kam, das ganze Touristenprogramm schon gesehen. Immer die gleichen Tempel, die gleichen Bauten und die gleichen Wasserfälle. Ich hatte nicht das Gefühl noch etwas Neues zu erleben. Deshalb habe ich meine Reise in den Norden auf halbem Weg abgebrochen und bin wieder zurück nach Kambodscha gefahren.“

Als mir Yogi von ihrer Rückkehr erzählt, freue ich mich richtig. Wie schön, wenn jemand seinem Herzen folgt und auch mal von einem Plan abweicht. „Eigentlich wollte ich in Sihanoukville in einer Strandbar arbeiten. Ich habe mir ein kleines Paradies vorgestellt, wurde aber schwer enttäuscht. Sihanoukville ist ein versifftes Loch voller Drogen und Prostitution, überall begegnet man verlorenen Seelen, die dort hängen geblieben sind.“ Die Enttäuschung steht ihr ins Gesicht geschrieben, allerdings auch das Mitgefühl mit den Menschen dort. „Statt in der Strandbar zu arbeiten habe ich einen Tauchtrip gebucht. Am Morgen als es losgehen sollte, sah ich eine Frau, die mir gefiel. Ich stornierte spontan meinen geplanten Ausflug und buchte stattdessen einen Tauchgang bei ihrer Schule, um sie zu begleiten. Mit dieser Tauchgruppe war eine Übernachtung auf einer anderen Insel geplant, auf der Insel Koh Rong. Ich bin für eine Nacht gekommen und einen Monat geblieben. Das war das Paradies, das ich gesucht hatte.“
Yogi erzählt, dass sie auf Koh Rong Arbeit in einem Guesthouse gefunden hat. Das Hausmädchen dort, die 14-jährige Srey Ni aus dem Einheimischendorf wurde schnell zu ihrer Schwester und Freundin. „Ihre Mutter brachte mir häufig Kokosnüsse aus dem Garten vorbei. Srey Ni und ihre Familie leben auf dieser Insel ohne Autos, ohne Arzt, ohne Hektik. Das Festland ist zweieinhalb Stunden Bootsfahrt entfernt. Srey Ni war erst zwei Mal dort.“ Yogi würde die kleine Kambodschanerin gerne nach Österreich einladen, wenn sie alt genug ist um alleine in Phnom Penh einen Pass beantragen zu können. In Kontakt bleiben können die beiden nur schwer, weil es auf der Insel weder Post noch Computer gibt. Nur wenn einer von Yogis Freunden auf einer Kambodschareise dort Halt macht, können sie sich über dessen Smartphone oder Tablet über Skype sehen und unterhalten. Ich versuche mir vorzustellen, wie Srey Ni auf ihrer kleinen Insel lebt. Ganz ohne die Luxusgüter, die wir gewohnt sind und oftmals nicht sehr wertschätzen. Wer wohl glücklicher ist? Wir mit all unseren Errungenschaften, die den Alltag erleichtern oder Srey Ni und ihre Familie, die ohne Hektik irgendwo im Nirgendwo leben. Ich komme zu keiner Antwort. Vielleicht sollte ich Yogi auf ihrer nächsten Reise begleiten und Srey Ni selbst fragen.

Natürlich will ich wissen, wie es ist, wenn man nach so einer langen Reise wieder nach Hause kommt. „Ich war ein Jahr lang unterwegs. Wieder in Wien zu sein war schwierig, ich hatte es mir anders vorgestellt. Irgendwie hatte ich erwartet, dass ich nach meiner Rückkehr sesshaft werden würde. Dass ich eine neue Wohnung, einen guten Job und eine Partnerin finden würde. Doch es kam anders. Ich lebe immer noch in der gleichen Wohnung und fand weder Job noch Partnerin. Meine Reise war ein Selbstfindungstrip. Ich habe mich auch gefunden, in vielen Facetten erfunden und neu entdeckt. Aber kaum war ich zurück, habe ich mich gleich wieder verloren. Ich wusste nicht, wo ich hin wollte. Sollte ich in Wien bleiben? Zurück nach Asien gehen? In ein ganz anderes Land ziehen? Ich war überfordert von der Fülle an Möglichkeiten, die sich mir bot. Dass ich nicht gleich eine gute Arbeit gefunden habe, hat an meinem Selbstwertgefühl gekratzt. Ich habe mich gefragt, warum ich überhaupt wieder zurück gekommen bin, wo ich doch anscheinend komplett überflüssig war. Das war keine leichte Zeit. Die große Frage, die im Raum schwebte, war: Wenn das mein bestes Jahr war, was soll jetzt noch kommen? Wird alles nur noch halb so gut sein? Wovon soll ich jetzt noch träumen?“ Ich bin beeindruckt, dass Yogi so aufrichtig über diese schwierige Zeit redet. Ein Jahr lang dauerte diese Unsicherheit und Unwissenheit, zwölf Monate voller Selbstzweifel und unbeantworteter Fragen. „2013 endete damit, dass mir ein Bekannter zu Silvester sagte, dass dieses Jahr mein Übergangsjahr gewesen sei. Heute sehe ich das auch so. Die Leere nach meiner Rückkehr war komisch, ich habe lange gebraucht um damit zurechtzukommen. Mittlerweile bin ich aber wieder angekommen und fühle mich wohl in Wien. 2012 war definitiv eines der besten Jahre meines Lebens. Ich freue mich aber auf die, die noch kommen werden. Denn es werden noch viele fantastische Jahre kommen, da bin ich mir sicher.“

Nachdem mir Yogi ihre Geschichte erzählt hat, die nicht nur eine Geschichte ihrer Reise, sondern auch eine ihres Wachsens und Erwachsenwerdens ist, sitzen wir noch einige Zeit am Wasser und bewundern die Muster, die der Wind an der Wasseroberfläche zeichnet. Ich bin dankbar, dass sie mir von ihrem großen Abenteuer erzählt hat und erfreue mich an den vielen kleinen Glücksstrahlen, die aus den Erzählungen hervor blitzen. Yogi hat nicht nur eine zweite Familie und viele neue Heimaten gefunden, sondern auch ein Stück ihrer selbst. Die Erinnerungen, die Freundschaften, die Einblicke in fremde Kulturen und die Erkenntnisse über sich selbst sind für Yogi wie ein innerlicher Schatz, den sie hütet, aber auch für andere frei gibt.

Zum Abschluss unseres gemeinsamen Nachmittags stelle ich ihr drei Fragen. Immerhin gibt es nicht nur die reisende Yogi, sondern auch noch viele andere. Wer warst du, wer bist du, wer wirst du sein? Zeig mir deine Persönlichkeit, ich möchte wissen wer du bist. Sie beginnt mit der Gegenwart, das ist am einfachsten. „Ich bin eine selbstbewusste, ehrliche, mutige Weltenbummlerin, die ihr Leben nicht nach gesellschaftlichen Normen ausrichtet. Eine Freundin hat ein Wort für mich erfunden, schrillernd. Sie sagt, ich sei schrill und schillernd. Es kümmert mich nicht, wenn mich jemand komisch ansieht.“ Ich muss laut lachen, als ich die von der Freundin kreierte Beschreibung höre. Schrillernd. Schrill, schräg und schillernd. Ja, das passt wunderbar. Während ich mich über die Wortschöpfung amüsiere, sucht sie nach Antworten auf meine beiden anderen Fragen. „Ich war das kritische, alles hinterfragende Leitschaf und auch ein Klassenclown. Schulsüchtig war ich auch, aber nur, weil ich ständig in meine Lehrerinnen verknallt war.“ Die Frage nach der zukünftigen Yogi ist wohl am schwierigsten zu beantworten. „Ich werde erfolgreich sein, erfahren und wissend und die Welt gesehen haben. Letzteres habe ich ja auch jetzt schon erreicht. Am wichtigsten ist mir, dass ich mich auch in Zukunft immer selbst zu schätzen weiß und mein Leben lang so schrillernd bleibe wie ich jetzt bin.“ Beim letzten Satz lächelt sie ob der Gewissheit, dass es tatsächlich so sein wird. Ein Glück, wenn man sich selbst gefunden hat. Ein größeres Glück, wenn man sich selbst gefunden hat und noch dazu gut leiden kann.

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Wie in Trance: Bei einer afro-brasilianischen Kult-Zeremonie in Salvador

„Ich gehe jetzt einmal Abendessen und hole euch dann wieder ab“, spricht Armando. Wie, er ist jetzt weg? Er ist doch unser Guide! Ich habe doch eine Tour gebucht! Es ist…

„Ich gehe jetzt einmal Abendessen und hole euch dann wieder ab“, spricht Armando. Wie, er ist jetzt weg? Er ist doch unser Guide! Ich habe doch eine Tour gebucht! Es ist doch seine Aufgabe, uns alles über Cantomblé, die wilde, afro-brasilianische Religion, zu erklären! Bevor ich aber zum Protest ansetzen kann, ist er auch schon verschwunden! Wir bleiben auf den weißen Plastikstühlen zurück, ich und das Mädchen aus Mauritius, das in den nächsten drei Stunden zu meiner besten Freundin, Übersetzerin, Verbündeten wird.

Der Altar vor dem Cantomblé-Tempel. Foto: Doris

Der Altar vor dem Cantomblé-Tempel.

Dunkle Augenpaare starren uns neugierig von links wie rechts an – wir grinsen ihnen ein bisschen verkrampft entgegen. Angriff ist schließlich die beste Verteidigung, heißt es doch, oder? Dabei stehen wir gar nicht unter Beschuss – nur etwas unter Beobachtung, sind wir doch die einzigen „Anderen“ im Raum. Die einzigen Nicht-Brasilianer. Und auch wenn sich meine mauritianische Begleiterin mit ihrer dunklen Haut und ihrem gebrochenen Portugiesisch durchaus unbemerkt unter die für Salvador typischen Ur-, Ur-, Ur-, Ur-….-Enkel der Sklaven mischen könnte – ich falle definitiv aus der Reihe. Doch so unterschiedlich wir sind, eines haben wir alle gemeinsam: Wir warten!

Das Fest, das wir heute im Tempel feiern, findet nur einmal im Jahr statt. Foto: Doris

Das Fest, das wir heute im Tempel feiern, findet nur einmal im Jahr statt.

Cantomblé – das Wort hat mich magisch in den Bann gezogen, seitdem ich es im Lonely Planet zum ersten Mal entdeckt hatte. Es klingt so verführerisch, Geheimnis umwittert, verlockend! Es ist der Name der afro-brasilianische Religion, die mit den Sklaven ab dem 16. Jahrhundert nach Brasilien gebracht wurde und hier in Bahia, vor allem in Salvador, unter den Nachkommen der afrikanischen Immigranten noch immer praktiziert wird. Was damals vor den Katholiken verborgen und nur im Stillen ausgeübt werden durfte, ist heute der ganze Stolz der Afro-Brasilianer. Überall auf Plätzen, ja selbst in der Lagune von Salvador – dem Dique do Tororó – , stehen manns- beziehungsweise besser gesagt frau-hohe Abbilder der orixás, der Gottheiten; die farbenfrohen Bilder in den Straßen des touristischen centro historicos sind voll von ihnen, und Glücksbringer mit den meist weiblichen Figuren in ihren ausladenden, steifen Röcken hängen in jeder Auslage.

Jeder Mensch hat eine Gottheit, die ihn bewacht - so glaubt man im Candomblé. Foto: Doris

Jeder Mensch hat eine Gottheit, die ihn bewacht – so glaubt man im Candomblé.

Und dann sind da noch die Zeremonien: Fast wöchentlich findet irgendeine Feier zu Ehren einer Gottheit statt, die alle unterschiedliche Persönlichkeiten und Geschichten mit sich bringen. Das erzählt uns unser Guide während der Autofahrt zum Tempel, dem sogenannten terreiro. Die meisten wiederholen sich Woche für Woche, nicht aber diejenige, der wir in Kürze beiwohnen sollen: Die heutige Zeremonie zu Ehren der orixá Oshun (Oxun) – der Weg- und Metall-Göttin, so sagt Armando (Wikipedia sagt etwas Anderes) – findet nämlich nur einmal im Jahr statt.  „Wir haben so ein Glück“, flüstert mir die Mauritierin zum ersten Mal zu. Es sollte nicht das letzte Mal sein.

Die Zeremonie zu Ehren von Oxun ist in drei Teile geteilt und dauert über drei Stunden. Foto: Doris

Eigentlich ist Fotografieren nicht erlaubt (so sagte man uns vorab): Nachdem aber alle ungeniert mit Smartphone bewaffnet waren, habe ich mich nach zwei Stunden auch verleiten lassen und das iPhone gezückt. Hier die TänzerInnen und SängerInnen der Zeremonie.

Es ist diese Zeremonie, auf die wir im Tempel warten. Eben wurden wir noch vom Sohn der Priesterin höchstpersönlich begrüßt – dann kann es losgehen. „Es ist wie bei mir zuhause“, japst die Mauritierin, deren Name ich nie erfahren habe, „die gleichen Schritte, die gleiche Musik“, sagt sie und klatscht im Rhythmus mit. Ich mache es ihr gleich – wehren ist ohnehin zwecklos, zu mitreißend ist das Trommeln der Alabe (so der Name der männlichen Gruppe). Um die zwanzig Frauen und vier Männer, alle in Weiß gekleidet, die meisten davon in den bauschigen, weiten Röcken, bewegen sich zu den lauten, rhythmischen Trommeln gegen den Uhrzeigersinn im Kreis. Dabei schwingen sie die Hüften, schütteln die Busen, gestikulieren mit ihren Armen und bewegen ihre mehr als üppigen Körper so, wie man es angesichts der Leibesfülle niemals vermuten würde.

Abwechselnd trommeln die Mitglieder der Alambe den Rhythmus vor. Foto: Doris

Abwechselnd trommeln die Mitglieder der Alambe den Rhythmus vor.

Das ist erst der Anfang: Es sollte drei Stunden lang so weitergehen, was sag‘ ich: Mehr werden! Was wie Chaos und nach Leichtigkeit aussieht, verläuft offensichtlich nach einem strengen Protokoll. Dirigiert wird das Ganze vom Sänger und Alabe-Leader, der selbst in seinen Zigarettenpausen noch die Oberhand behält und genau weiß, wann er wieder ein „Kommando“ geben muss. Was genau gesungen wird, das können wir nicht einmal erahnen, wird die Zeremonie doch in der Yoruba-Sprache abgehalten.

Ein lauter Schrei dringt durch die Zuschauer: Alle Blicke richten sich auf eine gefärbte Blondine, die noch Minuten zuvor unbemerkt in der Ecke gelehnt hat. Jetzt schüttelt und beutelt es die Frau, dass es mich nicht wundert, dass die Katholiken im 16. Jahrhundert Cantomblé für eine Teufelssache gehalten haben. Der Schweiß tropft ihr von der Stirn. Das allein wäre aber nichts Außergewöhnliches, ist es doch unglaublich heiß in diesem kleinen Tempel. Und die vielen Menschen, das ständige Kommen und Gehen, machen es nicht besser. Doch im Fall der Blondine ist es anders: Wie sie fallen immer wieder Leute aus dem Publikum, aber auch TänzerInnen in Trance, werden von der Musik (von der Gottheit?) in Beschlag genommen, müssen sich austoben, gestikulieren wild herum und brüllen, kreischen, jauchzen, was das Zeug hält… und immer wieder werden sie von „Ordnungshütern“ aufgefangen und sanft hinaus geführt. Irgendwann tauchen sie dann erneut auf, ganz ruhig, so als wäre nichts geschehen. „Die Leute erinnern sich später an nichts mehr“, wird uns Armando später – nach seinem Abendessen, nach der Zeremonie – im Auto erklären.

Die Sorge habe ich auch. Nicht, dass ich mich nicht mehr an den Abend erinnern kann – zu unvergesslich, spannend, außergewöhnlich und einzigartig ist das Erlebnis. Ich habe Angst, die Details zu vergessen – die Gesten und Handbewegungen, die offenbar alle eine Bedeutung haben. Den Gesichtsausdruck der Priesterin, wenn sie eine Runde dreht, in einer Art Schlaf-Wach-Zustand die Menschen umarmt und alle mit einem Strahlen in den Augen zurücklässt. Die offenen Münder der kleinen Mädchen neben mir, die ihre Hälser strecken mussten, um einen Blick auf die tanzende Menge zu ergattern. Es sind einfach zu viele Sinneseindrücke in zu kurzer Zeit…

„Jetzt hole ich auch gleich mein iPhone heraus“, zischt mir die Mauritianerin zu. Eigentlich hat es geheißen: Fotografieren nicht erlaubt. Daran haben wir uns bis (fast) zum bitteren Ende gehalten, auch wenn ich sie schon anfangs angestupst hatte: „Schau mal, da filmt einer mit dem Tablet!“ Sie hatte es schon gesehen. Tatsächlich sind wohl selten Tanzschritte und Gebets-Gesänge aus dem 16. Jahrhundert mit so vielen Smartphones und iPhones in einem Raum wie an diesem Abend. Nachdem alle rundherum ungeniert filmen, halten wir es nicht mehr aus und greifen zu unseren iPhones. Mit einem unwohlen Gefühl in der Magengrube und schweißnassen Händen. Beides liegt aber eher an meinem schlechten Gewissen, gegen Regeln verstoßen zu haben als einem Trance-Zustand – bei mir zumindest.

Tipps

Laut Lonely Planet sind sämtliche Orixás, also Cantomblé-Zeremonie, auch online zu finden, aber die angegebene Website führt leider zu einer allgemeinen Salvador-Tipps-Seite. Auch die Recherchen meiner mauretanischen Kurzzeit-Freundin auf dem Markt ergab wenig: „Geh in die Straßen von Lapa“, hieß es da. Doch nachdem Orixás meist bei Nachteinbruch (zwischen 19 und 22 Uhr) stattfinden, würde ich keinem raten, allein durch die finsteren Straßen und Gassen Salvadors zu irren. Nehmt euch lieber einen Guide, so wie wir es getan haben.

Wenn ihr ebenfalls Larturismo kontaktieren möchtet, wendet euch per E-Mail an Armando: larturimso.vendas@gmail.com beziehungsweise larturismo.contato@yahoo.com.br. Die Tour startet offiziell um 18 Uhr und endet um 22 Uhr. Kosten: 70 Reais.

Zu bedenken ist: Schwarze Kleidung ist normalerweise nicht erlaubt, am besten trägt frau/man weiß! Fotoapparate sind eher unerwünscht, ein iPhone oder Smartphone darf aber zum Filmen gezückt werden. Vorher aber dennoch bitte fragen, schließlich handelt es sich um religiöse Zeremonien – und da sollte man Respekt zeigen. Es gibt auch bezahlte Orixá-Shows, die allerdings nichts mit den echten Feiern zu tun haben. Leicht erkennbar sind Erstere daran, dass beim Eintreten nochmals Geld verlangt wird. Ich denke nicht, dass sich diese Erfahrung lohnt, um ehrlich zu sein. Kehrt lieber um und wartet auf eine echte Zeremonie.

 

Offenlegung: Larturismo habe ich über das Hostel El Misti gebucht, das mir wiederum aufgrund einer Kooperation mit HostelClub eine Gratis-Unterkunft in Salvador ermöglicht hat. Danke dafür! Die Meinungen und Ansichten bleiben natürlich wie immer meine eigenen.

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Ökologische Internetsuche mit Ecosia

Seit langer Zeit bereits benutze ich als Startseite die, wie ich finde, wunderbare Suchmaschine Ecosia – auffindbar unter ecosia.org. Sie ist eine willkommene Alternative zum populären Giganten. Ecosia verfolgt nachhaltige…

Seit langer Zeit bereits benutze ich als Startseite die, wie ich finde, wunderbare Suchmaschine Ecosia – auffindbar unter ecosia.org. Sie ist eine willkommene Alternative zum populären Giganten. Ecosia verfolgt nachhaltige Ziele und spendet 80 Prozent der Einnahmen für Aufforstungsprojekte in Brasilien. Die restlichen 20 Prozent werden nicht minder interessant für die Kohlenstoffdioxid-Neutralisation und die Begleichung laufender Rechnungen verwendet. Der Gedanke hinter der CO2-Neutralisation ist, die von Ecosia verursachten Emissionen auszugleichen, indem das tree-planting project in Burkina Faso in Afrika unterstützt wird. Zu den Emissionen gehören die Ausstöße der Büros, der Stromverbrauch der Server bis hin zu den Endgeräten der Nutzer. Und das ergibt am Ende des Tages ganz schön hohe Schätzungen: 0,7g pro Suchanfrage. Für Ecosia bedeutet das 14 Tonnen CO2-Ausstoß bei 20 Millionen Suchanfragen pro Monat! Darüber, aber auch zu anderen spannenden Themen rund um Ecosia, gibt es auf der Homepage Videos mit ausführlichen Beschreibungen, es werden häufige Fragen beantwortet und das Team stellt sich vor.

Pro Suchanfrage werden ungefähr 0,5 Cent durch Suchanzeigen, also Werbeeinschaltungen, eingenommen. Derzeit wird alle 35 Sekunden ein Baum durch Ecosia gepflanzt, summa summarum wurden bislang 293.607 Bäume gesetzt! Ein gepflanzter Baum kostet ungefähr einen US-Dollar. Mir persönlich gefällt auch gut, dass jeder Nutzer selbst ablesen kann, wie viele Bäume durch seine Hilfe bereits gepflanzt wurden. Bei mir sind es gerade 336. Abgesehen davon besteht die Möglichkeit, einige Einstellungen wie Sprache, Art der Suchergebnisse und Ähnliches individuell einzurichten. Dadurch, dass zusätzlich auf die Ergebnisse großer Suchmaschinen und Drittanbieter zurückgegriffen wird, erhält jeder Nutzer eine große Auswahl an angebotenen Internetseiten. Wie sich unschwer erkennen lässt, bin ich von dieser grünen Suchmaschine angetan und kann sie jedem von euch nur ans Herz legen! Denn wer pflanzt nicht gerne Bäume durch die simple Suche im Internet? Ausprobieren lohnt sich.

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Die nächsten sechs Wochen im Land mit B…

Ich kann nichts dafür, Indien ist schuld. Ich schwöre! Daran, dass ich gleich ein paar Wochen nach meiner Ankunft sofort wieder eine Reise geplant habe. Daran, dass ich mir erneut längere Zeit…

Ich kann nichts dafür, Indien ist schuld. Ich schwöre!

Daran, dass ich gleich ein paar Wochen nach meiner Ankunft sofort wieder eine Reise geplant habe. Daran, dass ich mir erneut längere Zeit – sprich sechs Wochen – zu Beginn des Jahres freigeschaufelt habe, um unterwegs sein zu können. Daran, dass mich die Reiselust wieder gepackt hat!

Aber nicht die Lust an „irgendeinem Reisen“, sondern am längeren Unterwegssein, am Eintauchen in eine Kultur, am freien Entscheiden je nach Gemütslage, wohin es weitergeht, am sogenannte „Zufälle“ auskosten und tief in mir drinnen wissen, dass es die gar nicht gibt. Am Finden von Freunden inmitten von Unbekannten, am Über-Bord-Werfen von Glaubenssätzen, am Eingehen von Risiken und auf meinen Hausverstand vertrauen… Kurz: Am Reisen, so wie ich es in Indien wieder für mich entdeckt habe – oder war es doch umgekehrt, und es hat mich wieder gefunden? Das ist wohl gar nicht wichtig.

Wichtiger ist: Ab dem 22. Januar bin ich in… BRASILIEN!

Endlich schaffe ich es, meine Freunde aus CouchSurfing-Zeiten in Sao Paulo, Rio de Janeiro (und vielleicht auch Recife) zu besuchen! Die Flüge waren überraschend günstig – und Karneval wollte ich – nach Rijeka im letzten Jahr – ohnehin wieder einmal in Südamerika verbringen.

Fragt mich bitte noch nicht nach meiner Reiseroute: Die wird sich ergeben genauso wie alles Andere – auch wenn von überall heiße Tipps auf mich einprasseln. Klar, dass die Liste der Must-Sees – wie üblich – mit jedem Gespräch und jeder gelesenen Zeile der Reiseführer länger wird, aber eines davon kann ich mir diesmal immerhin „ersparen“: Die Wasserfälle von Iguazu habe ich bei meinem achtmonatigen Südamerika-Aufenthalt bereits gesehen. Da kommt man nämlich leicht via Busshuttle von der argentinischen Seite auf die Brasilianische und erhält so einen ganz anderen Blick auf die grandiose Wasserpracht!

Ich bin jedenfalls schon ziemlich auf den Geschmack gekommen und voller Vorfreude – auf unglaubliche Naturspektakel in den Nationalparks, die Traum-Stadt Rio, Ausgehen in Sao Paulo, die Strände und Inseln – vor allem aber auf die Leichtigkeit des Seins, in dem die Brasilianer ja Könner sein sollen.

Also: Carpe diem … oder was auch immer das auf Portugiesisch heißen mag.

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Das kleine 3 Mal 3 für Tramper zur See

Gastbeitrag von Timo Peters von Bruder Leichtfuß An die letzte Adventszeit denke ich in diesen Tagen ziemlich häufig, denn letztes Jahr steckte ich gerade in dem größten Abenteuer meines Lebens: Ich…

Gastbeitrag von Timo Peters von Bruder Leichtfuß

An die letzte Adventszeit denke ich in diesen Tagen ziemlich häufig, denn letztes Jahr steckte ich gerade in dem größten Abenteuer meines Lebens: Ich war unterwegs irgendwo auf dem Atlantischen Ozean – als Tramper zur See. Am Ende war ich mit verschiedenen Segelyachten einmal per Anhalter über den Atlantik gereist, von Spanien nach Brasilien.

Das hört sich vielleicht erst einmal an, als ob man dafür irgendetwas Besonderes können muss, das stimmt aber nicht. Man muss nicht einmal segeln können. Ich hatte vorher ein bisschen gesegelt, aber an Bord und in den Atlantikhäfen einige Tramper kennen gelernt, die vorher noch nie auf einen Fuß auf ein Segelboot gesetzt hatten.

Damit vielleicht auch ihr einmal so ein Abenteuer erleben könnt, habe ich hier mein kleines drei Mal Drei für Tramper zur See:

Drei Gründe für das Mitsegeln:
– Du bist abenteuerlustig! Wenn ich eines über meinen Trip im letzten Jahr sagen kann, ist es: Das war ein echtes Abenteuer, mit dem ich noch meine Enkel nerven werde, falls mal welche kommen.
– Du liebst die Natur und das Meer! Die hohe See ist einer der letzten Orte, an denen wir noch echte Wildnis erleben können – oft sind Delfine oder sogar Wale inklusive. Oft allerdings auch Plastikmüll, meist in Tütenform.
– Du bist philosophisch angehaucht! Tausende Seemeilen vom nächsten Festland lässt es sich gut philosophieren und nachdenken. Ich glaube, dass ich nichts kenne, was inspirierender ist als das endlose Blau der See.

Drei Orte zum Mitsegeln:
– Im Herbst verlassen die meisten Segler das Mittelmeer und verlegen ihre Boote in wärmere Gefilde. Einen Ort passieren sie auf dem Weg auf jeden Fall: Gibraltar ist zwischen September und November voll mit Segelyachten auf dem Weg gen Süden.
– Von dem Atlantik in den Pazifischen Ozean kommt man auf genau zwei Wegen. Entweder man umsegelt das stürmische und berüchtigte Kap Hoorn, oder man fährt durch den Panamakanal. Deshalb ist hier die Wahrscheinlichkeit recht hoch, eine Mitsegelgelegenheit zu finden.
– Die Ostsee ist eines der schönsten Segelreviere der Welt und deshalb sind hier jede Menge Boote unterwegs. Bei handgegenkoje.de kann man wunderbar einfach in Kontakt zu Skippern kommen, die MitseglerInnen oft auch nur für einen Wochenendtörn suchen (hier gibt’s mehr Crewbörsen).

Drei Gründe, warum Skipper dich mitnehmen:
– Unterhaltung: Alleine auf hoher See kann es recht schnell einsam werden. Du spielst ein Musikinstrument, bist ein lustiger Vogel oder mit dir kann man einfach super quatschen? Spitze!
– Sicherheit: Damit das Segelboot auf hoher See keinen herumtreibenden Container, andere Boote oder das Land rammt, ist es praktisch, wenn einer immer guckt. Auch, wenn der Skipper gerade mal schläft. Logisch, oder?
– Komfort: Du kannst gut kochen? Kannst Dinge reparieren oder hast medizinisch was drauf? Du kannst die Kinder des Skippers an Bord unterrichten oder dem Käpt’n unterwegs eine neue Sprache beibringen? Herzlich willkommen an Bord!

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