Eco. Life. Style.

Kategorie: Living.

Der Brombeer-Balkon: Beere und Pilz?

Letztens gab es ein gutes Essen im Hause. Wir lieben jegliches Pilzgewächs, vorausgesetzt natürlich, der Genuss zielt nicht darauf ab, Menschen ums Leben zu bringen. Im Biomarkt unseres Vertrauens gab…

Letztens gab es ein gutes Essen im Hause. Wir lieben jegliches Pilzgewächs, vorausgesetzt natürlich, der Genuss zielt nicht darauf ab, Menschen ums Leben zu bringen. Im Biomarkt unseres Vertrauens gab es besonders schmackhaft aussehende braune Champignons. Verarbeitet wurden die Schwammerl zu einem Risotto. Eigentlich haben wir über Pilze noch nie viel nachgedacht. Gemüse, Kräuter und Beeren reichten uns in unserem Stadtgarten, vor allem nachdem wir wegen der Beeren am Balkon ja schon zur Genüge belächelt wurden. „Himbeeren und eine Stachelbeere im Topf? Das wird doch nichts.“ Und wie das was wird! Einzigartig, lecker und wunderschön ist es!

Doch letzte Woche geschah es. Nachdem es bereits außergewöhnlich warm ist, haben wir unsere Winterschlaf haltenden Pflanzen ein wenig abgedeckt, das Bett – ähm, Beet – gelüftet. Und siehe da, was finden wir unter Tannennadeln? Schwammerl, die so frech waren sich in unserem Töpfchen ihr Zuhause einzurichten!

Puh, also für mich war das kurz ein Schock. Von Natur aus bin ich ein eher skeptischer Mensch. Selbstgepflückte Pilze kann ich nicht essen, ich hänge einfach an meinem Leben. Außerdem haben wir beide keine Ahnung von Pilzen. Versteht sich also von selbst, dass diese Schwämme keinen Platz auf unseren Tellern finden. Und während ich noch darüber nachdenke, ob sie wenigstens weiter bei uns wachsen dürfen oder, ob ich sie ausreißen muss, überlegt D. bereits etwas ganz anderes: „Hmmm…, wenn Pilze von alleine in unserem Kisterl wachsen, müsste es doch möglich sein…, hmmm…, Könnte man nicht…, vielleicht…, Champignons? Hmmm…, vielleicht in einem kleinen Glashäuschen?“

Bin ich froh, dass mein Mann von einem Einfall zum nächsten springt, denn was das betrifft, bin ich einfach ein Schwammerl*.

 

*Schwammerl ist Österreichisch für Pilz. Und ein Schwammerl sein bedeutet unter anderem ungeschickt zu sein.

2 Kommentare zu Der Brombeer-Balkon: Beere und Pilz?

Matcha: Japanisches Teepulver im Trend

Was ist Matcha? Ich trinke wahnsinnig gerne und viel Tee, am liebsten Grüntee. Immer wieder mal bin ich in Teeläden auf das japanische Teepulver Matcha aufmerksam geworden und selbst der…

Was ist Matcha?

Ich trinke wahnsinnig gerne und viel Tee, am liebsten Grüntee. Immer wieder mal bin ich in Teeläden auf das japanische Teepulver Matcha aufmerksam geworden und selbst der doch recht hohe Preis hat mich nur kurze Zeit vom Kauf abhalten können. Bei Matcha handelt es sich um zu feinstem Pulver gemahlenen Grüntee, der in der japanischen Teezeremonie verwendet wird. Er hat eine starke grüne Farbe, die sich auch perfekt zum natürlichen Färben von Lebensmitteln – mehr Ideen weiter unten – eignet, und einen feinen, leicht herben Geschmack hat. Der für Matcha vorgesehene Grüntee stammt von Teesträuchern, die vor der Ernte mit Netzen beschattet werden, wodurch ein extrem delikates, dunkelgrünes Blatt entsteht. Nach der Ernte werden die Teeblätter gedämpft, getrocknet und nach Entfernung aller groben Blattgefäße in Steinmühlen zu feinem Pulver gemahlen. Es gibt verschiedene Qualitäten, je nachdem ob das komplette Teeblatt gemahlen wird, und abhängig vom Grad der Beschattung. Wenn ihr Matcha zum Kochen und Färben verwenden wollt, könnt ihr auch günstigeres Grünteepulver kaufen. Ich habe zu Hause meistens zweierlei Matcha-Pulver, ein feineres zum Trinken und ein günstigeres zum Backen.

Wie gesund ist Matcha?

Matcha ist die gesündeste Variante von Grüntee. Während der Ziehzeit eines aufgegossenen Grüntees lösen sich nur in etwa zehn Prozent seiner Inhaltsstoffe. Bei Matcha werden die Blattteile in Pulverform mit konsumiert, und somit mehr Vitamine (wie zum Beispiel Vitamin A, B1, B2, E und K), Antioxidantien und L-Theanin aufgenommen. Der Kombination aus L-Theanin und Koffein verdankt der Tee den beruhigenden und zugleich erfrischenden Effekt. Außerdem wird das im Grüntee enthaltene Koffein, anders als jenes des Kaffee, nur langsam vom Körper aufgenommen. Weiterführende Informationen können unter gruenertee.de/matcha nachgelesen werden.

Was kann man mit Matcha zubereiten?

Tee
In Japan wird das Matcha-Pulver in eine spezielle Schale gegeben, mit 70 bis 80 Grad heißem Wasser übergossen, und mit einem Bambusbesen schaumig geschlagen. Schmeckt lecker!

Shakes
Fertige Matcha-Shakes gibt es nicht nur in Japan, sondern diese werden auch manchmal in Österreich und Deutschland angeboten. Selber machen geht auch schnell: Einfach etwas vom Matcha-Pulver in Pflanzenmilch (Sojamilch, Mandelmilch, Hafer- oder Reismilch) einrühren, nach Geschmack etwas Süße (Agavendicksaft oder Zucker) dazugeben, und ordentlich verquirlen und aufschäumen. Ich trinke sehr gerne Matcha-Shakes, egal ob warm oder kalt. Dabei liebe ich den feinen, leicht herben Geschmack und spüre förmlich den Energie-Kick. Perfekt sind sie auch vor oder nach dem Sport.

Süßwaren
In Japan gibt es so ziemlich alles, was man sich nur vorstellen kann, angereichert mit Grüntee-Pulver. Das sieht nicht nur von der Farbe her interessant aus, sondern schmeckt auch angenehm fein. So werden zum Beispiel Kekse, verschiedenste Kuchen, Eis und sogar Schokoladen mit Matcha angeboten. Da sieht man, dass der Phantasie bei der Verwendung von Matcha-Pulver keine Grenzen gesetzt sind. Ich backe zum Beispiel gerne Kekse mit Matcha. Dazu einfach vor dem Backen etwas von dem Pulver unter den Teig mixen. Bei den fertigen Keksen muss man allerdings aufpassen, denn wenn man diese zu lange im Hellen liegen lässt, verblassen sie – also am Besten in einer lichtgeschützten Dose aufheben, falls es Reste geben sollte. Ein Rezept für Mochi (japanische Reisbällchen), die ich auch gerne mit Matcha färbe, werde ich euch demnächst vorstellen.

Wenn ich euch jetzt auf den Geschmack gebracht habe, findet ihr das Matcha-Pulver in Teeläden, oder auch im Internet. Ein Tipp: Die offene Packung Matcha verschließt ihr am besten gut und lagert sie im Kühlschrank, so wird das Aroma bewahrt.

3 Kommentare zu Matcha: Japanisches Teepulver im Trend

Vom Samen bis zur Ernte: Bienen

Bereits Albert Einstein sagte angeblich: „Wenn die Bienen verschwinden, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben.“ Dieses Mal werde ich mich also mit dem wichtigsten Nützling im Garten…

Bereits Albert Einstein sagte angeblich: „Wenn die Bienen verschwinden, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben.“ Dieses Mal werde ich mich also mit dem wichtigsten Nützling im Garten beschäftigen, der Biene. Aber davor habe ich eine Liste mit Pflanzen vorbereitet, die du ab April aussäen kannst:

Gemüse:
Säen: Erbsen, Gurken, Fenchel, Kohlrabi, Eis(berg)salat, Mangold, Melonen, Karotten, Radieschen, Rote Rüben/Beete
Pflanzen: Blumenkohl, Aubergine/Melanzani, Kartoffeln, Kopfkohl, Rosenkohl/Kohlsprossen, Kopfsalat, Tomaten, Pilze

Obst:
Bodenbearbeitung, Wildverbiss behandeln, Schorfbekämpfung beginnen, Erdbeeren säen

 

Die Honigbiene

Zurück zur beliebtesten Gartenhilfe, der Honigbiene. Bienen leben in einer bemerkenswerten Symbiose mit fast allen Pflanzen. Sie fliegen von Blüte zu Blüte um Nektar für ihren Honig zu sammeln, Pollen zu fressen und bestäuben beiläufig eine Blüte nach der anderen. Das funktioniert so gut, dass Pflanzen die von Bienen bestäubt wurden meistens mehr und größere Früchte tragen. Kein Wunder also, dass die Blüten um die Aufmerksamkeit der Biene konkurrieren. Deshalb haben die Bienen auch immer ein großes Angebot an verschiedenen Blüten zur Auswahl. Während sie an einer Blüte sammeln, regen sie diese durch Vibration an, damit sie besonders viel Pollen und Nektar abgeben. Aber das Leben einer Arbeiterin beginnt meistens nicht mit dem Sammeln von Nektar, sondern mit der Aufzucht der Brut. Junge, weibliche Bienen sind mit der Reinigung des Baus, der Brutpflege und dem Füttern der Königin beauftragt, dies findet im Herzen des Stocks statt und in unmittelbarer Nähe zur Königin. Diese kann ein vielfaches ihres eigenen Körpergewichts an Eiern pro Tag legen.

Der Bienenstock

Der Stock befindet sich im ständigen Wandel. Wenn die Eier und Larven mehr Platz brauchen, transportieren die Arbeiterinnen den Honig aus den zu Brutkammern nahen Waben zu weiter entfernten Waben um frischen Platz für die neuen Arbeiterinnen zu schaffen. Außerdem müssen ständig neue Waben gebaut werden um zusätzlichen Raum für neue Brut und Honig zu schaffen. Eine Menge Arbeit, denn um ein Volk mit bis zu 60.000 Bienen aufrecht zu erhalten müssen viele junge Bienen schlüpfen. Ein Stock produziert leicht 40 Kilogramm Honig pro Jahr, die besten schaffen bis zu 100 Kilogramm.

Wenn die jungen Arbeiterinnen älter werden, sind sie für den Schutz des Stocks zuständig. Erst gegen Ende ihres Lebens werden sie immer wieder aus dem Stock fliegen um Nektar zu sammeln. Ein genialer Karriereplan. Auf diese Art schaffen es die Bienenvölker den maximalen Nutzen aus dem Leben jeder einzelnen Biene zu ziehen.

bee-207725_640

Bild: jprohaszka / pixabay.com

Von Nektar und Sammlerinnen

Nektar wird bis zu zwei Kilometer vom Stock entfernt gesammelt. Um so weit zu kommen, müssen Bienen im Stock Honig aufnehmen, den sie auf dem Weg zu den frischen, vollen Blüten verbrauchen. Dabei legen Bienen weite Strecken zurück, sie können bis zu 1.000 Blüten pro Tag bestäuben und kennen den Weg zum Stock auswendig. Einen platzierten Stock darf man deshalb nicht einfach umstellen, sonst finden die Sammlerinnen nicht mehr zurück.

Bienen signalisieren ihren Artgenossinnen mit Flugmanövern und Pheromonen gute Plätze, oder warnen sie vor Gefahren. Den rohen Nektar übergeben die Bienen von Rüssel zu Rüssel, dabei verändert er sich jedes Mal ein wenig, bis er am Ende zu Honig wird.

Der Angst ins Auge sehen

All jenen, die sich vor Bienen fürchten, sei gesagt, dass Bienen sehr friedliche Lebewesen sind. Viele Imker verwenden gar keinen Schutz beim Umgang mit ihren Völkern – selbst wenn sie die Stöcke öffnen, bleiben die gold-schwarzen Insekten friedlich. Die Angst vor Stichen kommt häufig von Verwechslungen mit Wespen, die wesentlich aggressiver sind und dank ihrer Vorliebe für Süßspeisen und Säfte immer wieder sehr nah an den Menschen herankommen. Bienen konzentrieren sich aber vor allem auf Nektar und gelegentlich Wasser, sie stechen nur, wenn sie sich bedroht fühlen. Solange man rasche Bewegungen und Anblasen der Bienen vermeidet, kann man ihnen sogar sorglos bei der Arbeit zusehen. Man sollte also vermeiden vor ihnen zu flüchten oder sie mit der Hand zu verjagen! Gelegentlich verfangen sie sich in den Haaren, dann sollte man sie aber einfach so lange ignorieren bis sie sich von selbst entfernen. Versucht man sie mit der Hand zu verjagen, wird man mit Sicherheit gestochen. Häufiger kommt es auch zu Stichen, weil man auf eine tote Biene tritt. Aber auch hier gilt, nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich und nicht alles, was summt und sticht, ist auch eine Biene.

Wespen und Bienen sind in der Regel gleich groß, aber Bienen, oder Honigbienen, sind eher dicklich, während Wespen eher schlank aussehen. Außerdem haben Wespen eine wesentlich auffallendere Färbung, das Gelb wirkt schon fast leuchtend. Wespen wirken haarlos, während Honigbienen ein eher braunes, schwarzes oder auch graues Fell besitzen. Bienen ernähren sich von Nektar und Pollen, während Wespen geschickte Räuber sind. Deshalb können Wespen schneller und geschickter fliegen.

Fazit

Die Biene ist wahrscheinlich eines der wichtigsten Tiere für den Menschen. Sie übernimmt den größten Teil der Bestäubung bei Pflanzen und ohne sie könnten wir unseren Nahrungsbedarf nicht decken. Bitte denke daran, wenn du das nächste Mal einer Biene in deiner Wohnung begegnest. Keine Panik, ein Glas, ein bisschen flaches Material und ein wenig Geduld und du kannst sie leicht ins Freie schaffen. Let it bee!

Bis zum nächsten Mal. Ich hoffe, du bist jetzt mindestens ein so großer Fan der Biene wie ich! In meinem nächsten Beitrag beschäftige ich mich mit Kompost und Dünger. In den Kommentaren kannst du wie immer gerne Fragen, Anmerkungen und Kritik hinterlassen, ich werde sie gerne beantworten. Gutes Gelingen und lass dich nicht pflanzen!

 

Links zum Thema:
Honigbienen auf Wikipedia
Bienenstock auf Wikipedia
Buchtipp: Phänomen Honigbiene von Jürgen Tautz

1 Kommentar zu Vom Samen bis zur Ernte: Bienen

Meal Sharing: Essen beim Nachbarn – rund um den Globus

Ein schnelles Käse-Sandwich, labbriges Weißbrot oder eine Packung Chips – gesunde, ausgewogene Ernährung sieht anders aus. Doch gerade unterwegs kann es eine ziemliche Herausforderung sein, seinen Magen so zu füllen,…

Ein schnelles Käse-Sandwich, labbriges Weißbrot oder eine Packung Chips – gesunde, ausgewogene Ernährung sieht anders aus. Doch gerade unterwegs kann es eine ziemliche Herausforderung sein, seinen Magen so zu füllen, dass auch die Mama damit einverstanden wäre. Vor allem dann, wenn das Reisebudget nicht für das tägliche frische Essen im Restaurant reicht. Abgesehen davon, dass dieses selbst dem größten Gourmet irgendwann zum Hals heraushängt – buchstäblich. Aber eine gut ausgestattete Küche hat man im Urlaub selten zu Verfügung, und das Kochen in Hostels muss man mögen: Geschirrbergen von vorgestern und vollgestopften Kühlschränken mit ranzigen Essensresten sei Dank.

2013-03-16 20.20.10

Was gäbe man unterwegs für die Erbsensuppe von Oma?! Und auf das gemeinsame Abendessen mit den Geschwistern (inklusive der Streitereien um den letzten Schluck Wein) hätte man jetzt erst recht Appetit. So ähnlich muss es auch dem US-Amerikaner Jay Savsani ergangen sein, als er mit einem Freund in Kambodscha unterwegs war. Nachdem Not ja bekanntlich erfinderisch macht, wussten sich auch die beiden Jungs zu helfen: Sie haben einfach in ihrem Hotel nach einer Familie gefragt, die sie zum Essen zu sich nach Hause einladen würde. Heraus kam ein unvergesslicher Abend, bei dem nicht nur Gerichte aus dem Land serviert, sondern auch Geschichten aus den beiden Kulturen geteilt wurden. „Der beste Teil des Abends war, als unser Gastgeber sein Casio Keyboard hervorkramte und einige klassische kambodschanische Lieder zum Besten gab“, erklärt Jay.

Das muss wiederholt werden, waren sich sein Freund und er einig: Der Abend war der Beginn von Meal Sharing, einer Internet-Plattform, auf der Gastgeber Reisende an ihren Tisch bitten!

So funktioniert’s: 
Der Gastgeber oder Reisende erstellt ein Online-Profil, in dem er oder sie natürlich auch seine Essens-, respektive Kochvorlieben beschreibt und mit Bildern belegt. Dann beginnt das Warten – auf mögliche Interessierte. Und nach dem Treffen bewertet man den Abend und die Personen, schließlich ist Vertrauen(swürdigkeit) das höchste Gut in der Sharing Economy.

Die Plattform startete an Thanksgiving 2012. Was mit zwei Gastgebern in zwei Städten (Chicago und Berlin) begonnen hat, ist jetzt ein Netzwerk von über 6.000 Essensteilern in über 425 Städten auf der Welt. Über 1.000 Abendessen wurden – kostenlos – miteinander geteilt, die meisten davon in den USA und Deutschland. Und das ist erst der Anfang! 

2014.3.10 - Mealsharing with Guillermo Luengas - 021

Ich habe mit den Initiatoren der Plattform über die Idee gesprochen:

Erzählt einmal: was ist der Sinn hinter Meal Sharing? 

Jay Savsani, Gründer: Für mich ist ein hausgemachtes Abendessen mit jemandem gemeinsam genossen das intimste, was du mit einer Person machen kannst. Es ist nicht nur Zeit, neue Geschmäcker zu probieren, sondern auch neue Kulturen und Menschen kennen zu lernen. Auf Reisen – egal ob in Übersee oder in Chicago – gibt es keinen sichereren Weg mit neuen Menschen in Kontakt zu kommen als über den eines selbstgemachten Essens. Meal Sharing wurde als Brücke für diese Lücke gebaut und schafft ein sicheres Umfeld für Freunde und Familien, mit Fremden ein Mahl zu teilen.

Was war das bisher beste Essen, das du auf Reisen genossen hattest und warum? 

Ainara Del Valle, zuständig für Europa: Eine der besten Mealshare-Erfahrungen hatte ich mit Huan in Chicago. Sie ist eine Biologin aus China mit dem Herzen eines Chefkochs. Sie hatte fantastisches Essen gekocht, aber darum geht’s gar nicht. Jemanden mit so einem spannenden Arbeitsfeld kennen zu lernen und einem Background, der so anders ist als meiner, war unbeschreiblich bereichernd.

Jay Savsani: Ich erinnere mich an ein Mealshare mit zwei Ladies in einem Bootshaus, nahe einer Insel in London. Ich wusste noch nicht einmal, dass es Inseln in London gibt! Es war echt cool, die zwei Frauen kennen zu lernen und ihre Geschichten über London und deren Leben. Spannend. 

Warum ist das Teilen von Essen so bereichernd? 

Meal Sharing ist ein Weg, intensiver zu reisen. Es geht einfach nichts über die Erfahrung, in ein anderes Land zu reisen und einen Fremden kennen zu lernen. Es gibt dir eine ganz andere Sicht auf den Platz und die Kultur. Sogar in deiner eigenen Stadt ist das Treffen neuer Leute eine Art zu reisen. Wir möchten gern glauben, dass wir „Orte, an denen wir waren, zu den Menschen machen, die wir dort getroffen haben“. Meal Sharing macht die Welt einfach ein bisschen gemütlicher, und das zieht die Leute an.

Wird es eurer Erfahrung und Meinung nach in unserer Kultur immer wichtiger zu teilen? 

Natürlich! Zuerst einmal ist es ein Prozess, der bereits stattfindet. Die Sharing Economy entwickelt sich jeden Tag in neue Richtungen und wir sind dabei, wie wir der Gesellschaft am besten dienen und die Welt mit dem Service besser machen können. Die Notwendigkeit von geteilten Erfahrungen ist nicht exklusiv für unsere Zeit. Es ist etwas, was die Menschheit immer wollte und anstrebt. Wir erinnern uns nur wieder an dieses alte Paradigma und nutzen jetzt digitale Werkzeuge, um schneller und leichter zu teilen.

Wie geht es weiter, was ist euer Ziel mit und für mealsharing.com?

Das sehr ehrgeizige Ziel von Meal Sharing für die nächsten paar Jahre ist es, mehr Gastgeber weltweit zu haben als die drei Top-Fast-Food-Restaurants Filialen besitzen. Das würde wirklich bedeuten, dass wir erfolgreich sind. Dass die Welt aufgestanden wäre und sagen würde: „Ich vertraue eher meinem Nachbar in Sachen Essen als einer riesigen Nahrungsmittelfirma.“ Wenn es genug Meal-Sharing-Teilnehmer gibt, dann essen die Leute gesünder, verschwenden weniger Lebensmittel – und das alles, während sie kulturelle Barrieren überwinden.

Wir hören ständig auf unsere Gemeinschaft und stellen sicher, dass wir das tun, was sie von uns einfordern. Als Teil davon testen wir neue Möglichkeiten für Gäste, sich zum Beispiel an den Kosten für die Zutaten zu beteiligen. Auf diese Weise würden wir sicher stellen, dass uns nicht nur diejenigen bewirten könnten, die es sich leisten können, sondern alle, die es wollen.

2014.3.10 - Mealsharing with Guillermo Luengas - 158

Danke für das Gespräch! 

Ansätze wie Meal Sharing haben übrigens noch einen Vorteil: Sie haben den köstlichen Geschmack von Genuss mit gutem Gewissen – und diese Würze sollten wir öfter in unsere Küchen und auf unsere Tische lassen. Vor allem, aber nicht nur, 2014, dem europäischen Jahr gegen Lebensmittelverschwendung. Mahlzeit!

Keine Kommentare zu Meal Sharing: Essen beim Nachbarn – rund um den Globus

Wie trampen in Neuseeland dein Leben verändern kann

Gastbeitrag von Tanja, die seit September 2013 auf ihrem Blog Search for Happiness über ihre Reiseerlebnisse schreibt und Tipps und Tricks gibt, wie du deine eigene Langzeitreise planen kannst.  Dein Herz klopft…

Gastbeitrag von Tanja, die seit September 2013 auf ihrem Blog Search for Happiness über ihre Reiseerlebnisse schreibt und Tipps und Tricks gibt, wie du deine eigene Langzeitreise planen kannst. 

Dein Herz klopft wild gegen deinen Brustkorb, deine Hände schwitzen, dein Mund ist trocken. Ungewissheit kann manchmal der schlimmste Feind sein. Warum hast du dich nicht für den angenehmen Bus entschieden, nörgelst du innerlich mit dir selbst. Aber du wolltest etwas Einzigartiges erleben. Und sogar die Kiwis sagen, dass Trampen die Antwort darauf sei.

Nun stehst du hier am Straßenrand, streckst trotz aufkeimenden Muskelkrampfs brav einen Arm von dir weg, den Daumen in die Höhe und beobachtest die vorbeiziehenden Autos. Fühlst dich wie bestellt und nicht abgeholt. Weißt nicht, ob und wann du deine Destination erreichst und vor allem, wer für dich stehen bleibt. Was soll daran einzigartig sein?

About Me_Quadrat

Ein verlangsamtes Auto reisst dich aus deinen Gedanken. Fokussiert beginnst du zu lächeln, schließlich willst du dem Fahrer etwas verkaufen – dich selbst. Dein Lächeln steht für „Ich werde dir nichts tun“ oder „Ich kann dir lustige Geschichten über mein Heimatland erzählen“. Und tatsächlich hält er an. Dein nervöses Herzrasen verwandelt sich in einschleichende Panik. Wer ist das? Ist er nett oder gefährlich? Herzlich oder cholerisch?

Ein weißhaariger Mann mit mindestens 70 rüstigen Jahren Lebenserfahrung steigt aus und lächelt dich nett an. Seine freundlichen blauen Augen beruhigen dich, er grüßt dich sehr offen und hilft dir beim Verstauen deines Backpacks am Rücksitz.

Schon sitzt du am Beifahrersitz eines Fremden. Bist stolz auf dich, weil die erste Hürde geschafft ist. Und stellst dich nun auf den unausweichlichen, oberflächlichen Small Talk ein.

Wieso reist du?

Okay, diese Frage kam unerwartet. Du dachtest, du erzählst zuerst ein bisschen über dich, hast deinen Text schon vorbereitet, gleich einem Bewerbungsgespräch. Aber es stimmt – wieso reist du wirklich?

Weil ich unglücklich war.

Womit warst du unglücklich?

Noch eine gute Frage.

Eigentlich mit fast allem. Meinem Studium, meiner Beziehung. Ich war immer sehr unsicher und habe mich oft hinter anderen versteckt. Und jetzt versuche ich meine Antwort auf die Frage zu finden, was ich aus meinem Leben machen will.

Du staunst über deine Ehrlichkeit und deinen Willen, dir hemmungslos Schwäche und Fehler einzugestehen. Denn du weißt, dass du deinen Sitznachbarn höchstwahrscheinlich nie wieder siehst.

Dieser erzählt nun ein bisschen von sich. Du spürst die Trauer, als er von seinem verstorbenen Vater berichtet, den Stolz, wenn er über seine einzige Tochter erzählt, die Freude, wenn er dir ein Stückchen von seinem Leben preisgeben darf.

Per Anhalter durch Neuseeland - Tanja hat es gemacht. Foto: Tanja
Per Anhalter durch Neuseeland – Tanja hat es gemacht.

Die nächsten 150 Kilometer vergehen schneller als dir lieb ist. Mitten im Gespräch bist du schon angekommen und steigst beinahe widerwillig aus. „Danke für die Fahrt“, sagst du etwas nachdenklich. „Ist doch selbstverständlich“, entgegnet er.

Als du dich umdrehen möchtest, fügt er noch hinzu: „Vergiss nicht, dass du ein toller Mensch bist. Du kannst alles schaffen was du möchtest und gib dich nicht mit weniger zufrieden. Ich hoffe du findest dein persönliches Glück.“ Und schon fährt er weiter. Dein erstes Mal Trampen ist vorbei und du verstehst nun.

Nicht die Fahrt an sich macht es so besonders, sondern die Menschen, die das Fahrzeug bedienen. Innerhalb von zwei Stunden können sie mit ihren Ansichten, Überlegungen und Fragen dein Leben verändern. Sie denken anders als deine Freunde zuhause, sie unterscheiden sich von Herkunft, Alter und Erziehung. Und du weißt nie, wer deine nächste Bekanntschaft sein wird: Ein Pilot, ein LKW-Fahrer, eine Bäckermeisterin, eine Mutter, ein Schiffskapitän. Doch sie bringen dich zum Nachdenken, zum Hinterfragen, doch vor allem bestärken sie dich, in dem was du tust, denn so sind die Kiwis nun einmal. Und du wirst auch stärker, denn Trampen kostet jedes Mal Überwindung und Mut.

Und egal in welches Auto du steigst, du redest mit dem Fahrer über sehr Persönliches, weil seine Unbekanntheit dich überraschenderweise vertrauen lässt. Er wird dich nicht verurteilen. Im Gegensatz dazu erzählt er dir Geschichten über sein Land, sein Leben, seine Familie. Er zeigt dir eine Seite von Neuseeland, die du in einem Bus nie erfahren hättest: Echte, neuseeländische Kultur. Und das macht jedes Trampen in Neuseeland einzigartig.

Neuseeland wird durch die Augen der Einheimischen doppelt so schön. Foto: Tanja
Neuseeland wird durch die Augen der Einheimischen doppelt so schön.

Natürlich besteht beim Trampen immer ein gewisses Restrisiko, schließlich steigst du bei fremden Menschen ein. Jedoch musst du hier auf dein Bauchgefühl vertrauen. Fühlst du dich nicht wohl, fährst du einfach nicht mit und wartest auf den nächsten Fahrer. In Neuseeland gab es in den letzten Jahren keine unangenehmen Zwischenfälle mehr.

Als Frau ist es prinzipiell einfacher eine Mitfahrgelegenheit zu bekommen. Männer warten oft doppelt oder dreimal so lange. Wenn du alleine bist, hast du ebenfalls keine Probleme, zu zweit wird es schon etwas schwieriger, ist aber dennoch möglich.

Worauf du achten musst: Wenn du trampen willst, ist der richtige Warteplatz absolut notwendig. Stell dich zum Straßenrand in die richtige Richtung, naheder Hauptstraßenauffahrt. Vermeide jenen Straßenbereich, welcher am Rand mit gelben Strichen markiert ist, hier dürfen die Autos nicht stehen bleiben. Des Weiteren ist es ganz normal, dass du öfter mal umsteigen musst, da nicht jeder dieselbe Destination anfährt wie du.

Und nun, Daumen hoch!

1 Kommentar zu Wie trampen in Neuseeland dein Leben verändern kann

Vale Do Capão: Auszeit mit Zeus, Zirkus und einem Gefühl wie zuhause

Eigentlich heißt er ja Zeu. Für mich wird er aber immer der griechische Göttervater Zeus sein: Wie vom Himmel herab gestiegen ist er plötzlich vor mir gestanden oder besser gesessen in seinem…

Eigentlich heißt er ja Zeu. Für mich wird er aber immer der griechische Göttervater Zeus sein: Wie vom Himmel herab gestiegen ist er plötzlich vor mir gestanden oder besser gesessen in seinem verbeulten Kleinwagen, von dessen ursprünglich schwarzer Farbe dank der roten Erde hier im Nationalpark Chapada Diamantina kaum mehr etwas zu erkennen ist. „Ich habe noch ein Zimmer frei“, diese – englischen(!) – Worte klingen jetzt noch wie Musik in meinen Ohren.

Das Dorf von Capao ist klein, aber fein. Foto: Doris
Das Dorf von Capao ist klein, aber fein. Foto: Doris

Es ist nicht einmal 6.00 Uhr früh. Ich bin gerade mit dem Nachtbus aus Salvador samt Kleintransport aus der nächstgelegenen Stadt Palmeiras hier im Vale Do Capão angekommen und schnurstracks zu meiner Alberque gestapft. Dort hatte ich via Facebook ein Bett gemietet – 25 Reais mit Morgenkaffee hieß es, und die Empfehlung einer Rezeptionistin im Hostel El Misti tat ihr Übriges. Allein vom Besitzer ist keine Spur: Fünfmal bin ich vor der Alberque auf und ab gegangen, habe halb wache Gäste um Rat gefragt, an verschiedene Türen geklopft, die Nachbarin aus dem Bett geklingelt. „Er wird wohl noch schlafen“, so die lapidare Erklärung. Die hilft mir jetzt aber nichts: Ich bin hundemüde von 5 Stunden rumpeligem mehr Wach- als Schlafzustand. Ich will einfach nur ein, zwei Stündchen schlafen, in einem Bett!

Und dann kommt Zeu(s)! Anfangs bin ich skeptisch: Den Ratschlag, nicht mit Fremden mitzugehen, habe ich schon öfters missachtet – ein weiteres Mal zählt nicht mehr. In meinem Trance-Zustand steige ich also zu diesem bärtigen Brillenträger mit grauem Kraushaar, schlabbrigem Spagettihemd und kurzer Trainingshose ins Auto. „Wohin geht’s denn?“, frage ich noch kurz, schon ruckeln wir über die Sandstraße – asphaltierte Wege gibt es in Capao nur im Dorfzentrum – auf einen kleinen Hügel hinauf. „Chales do Zeu“ begrüßt uns ein Anschlagbrett mit bunter Schrift, das sich frech zwischen dem üppigen Grün der Büsche und Bäume ringsum seinen Weg geschlagen hat.

Darf ich vorstellen: Mein kleines Häuschen. Foto: Doris
Darf ich vorstellen: Mein kleines Häuschen. Foto: Doris

Das ist also mein Zuhause für die nächsten fünf Tage! Die Überraschung ist groß: Zimmer, nein, es ist ein kuscheliges, kleines Lehmhaus – eines von mittlerweile neun, das der Salvadorianer dort in den Hügeln über Capão gebaut hat. „Fünf Jahre bin ich immer wieder gekommen, bis ich so viel Geld angespart hatte, um mir den Grund zu leisten“, erklärt mir der Künstler später. Dass er sich in das Stückchen Erde verliebt hat, liegt vor allem am Ausblick – und ich kann es ihm nicht verdenken. Keine zwei Sekunden dauert es, bin auch ich voll entflammt: Gaskochnische, Badezimmer, ein tonerdener Wasserkrug mit Filter fürs Leitungswasser, ein Traumfänger über einem mit bunter Decke bestücktem Einzelbett … Das Beste aber befindet sich im zweiten Stock: Wer über die Holzleiter hinaufklettert, der wird dort nicht nur vom himmlischen Doppelbett mit Moskitonetz empfangen, sondern vor allem von einem Ausblick über das Tal, der mich von jetzt an Morgen für Morgen zweifeln lässt, ob ich überhaupt aufgewacht bin oder einfach nur weiter träume.

Der Blick am Morgen - aufwachen geht ganz leicht. Foto: Doris
Der Blick am Morgen – aufwachen geht ganz leicht. Foto: Doris

Ich bin angekommen! Genau von diesem Ort habe ich geträumt, als ich heute früh vor der Alberque gestanden und einen kurzen Blick in die winzigen, dunklen Kammern mit Stockbetten geworfen habe. Genau diesen Platz für mich, diese Auszeit habe ich gebraucht nach intensiven Arbeits- und Reisewochen hier in Brasilien. Hier kann ich entspannen und meditieren, meine Yoga-Matte ausbreiten und den Tag mit Sonnengrüßen beginnen. Hier kann ich mit einem frisch gebrühten Kaffee an der Feuerstelle draußen vor meinem blau bemalten Häuschen sitzen und ein Buch lesen. Oder einfach nur auf die grünen Berge rundherum starren und den dramatisch aussehenden Wolken, die ab und an einen Regenschauer rauslassen, beim Wandern zusehen. Pläne über Pläne… aber die müssen warten. Schlaf geht vor, ich falle wie tot ins Bett!

Rein ins eiskalte Nass - die beste Erfrischung nach dem Wandern. Foto: Doris
Ein Plan: Einfach nur ins Wasser starren oder rein ins eiskalte Nass – die beste Erfrischung nach dem Wandern. Foto: Doris

Zwei Stunden später bin ich dann startklar: Ich will ins Dorf, dessen bunte Häuser samt Hippie-Läden mich schon zuvor beim Aussteigen aus dem Bus neugierig auf mehr gemacht haben. Zum Einkaufen, Frühstücken, Wandertouren ausmachen. Es sollte wieder anders, viel besser nämlich, kommen! „Bist du Andrea?“, versuche ich mein Glück, als zeitgleich mit mir eine Frau die Stufen von Zeus anderen Chales hinuntersteigt. Die zierliche Blondine mit Kapperl, Schlabberpants und Boy-T-Shirt schaut zuerst etwas verblüfft, stottert ein paar Worte in Portugiesisch und grinst mich schließlich an: Tatsächlich, Zeu hat sich nicht geirrt! „In den Chales wohnt noch eine andere Österreicherin namens Andrea“, hat er mir auf der Fahrt zum Häuschen verraten. Ich habe an ihm gezweifelt! Österreicher!? Zwei an einem Ort?! Er wird sicher Australier meinen!? Doch nein, die gebürtige Oberösterreicherin ist wirklich seit zwei Wochen in Capão und wird gleich von mir zum Frühstück verschleppt. Bei Sucos, den großartigen frisch gepressten Fruchtsäften, die – wie in Kolumbien und Ecuador – auch hier in Brasilien auf meinem täglichen Speiseplan stehen, erzählen wir uns unsere Lebens- und vor allem Reisegeschichten. Zum vierten Mal ist die Lebens- und Sozialberaterin bereits in Brazil, zum zweiten Mal in Capão – und bei Zeu. „Es ist der beste Ort um aufzutanken“, meint sie – und ich spüre schon jetzt, dass sie damit auch für mich den Nagel auf den Kopf trifft.

Vogelgezwitscher unterhält uns beim Frühstück. Foto: Doris
Vogelgezwitscher unterhält uns beim Frühstück. Foto: Doris

„Woher aus Österreich seid ihr denn?“, kommt vom Nachbartisch eine männliche Stimme, „ich bin der Bernhard aus Niederösterreich.“ Langsam wird mir klar: Wundern darf ich mich hier in Capao über gar nichts. Tatsächlich sitzt neben uns ein weiterer Landsmann, ein junger Biobauer aus Hollabrunn, der jedes Jahr von Dezember bis März auf Reisen geht – und dafür vom Rest der Bauernbevölkerung für verrückt erklärt wird. „Dabei ist im Winter nichts am Hof zu tun“, meint er, der mit seinem kurzrasierten Kopf, von dem zwei kleine Dreads stehen, weniger auf ein Kartoffelfeld als hier in die backpackende Alternativ-Szene passt.

Immer wieder begegnen mir wunderschöne Wesen wie dieses. Foto: Doris
Immer wieder finden wundervolle Begegnungen statt. Foto: Doris

Ein reisender Bauer, drei Österreicher an einem Ort mitten in Brasilien… spätestens jetzt erinnere ich mich an Zeus Worte, die mir wie ein Versprechen scheinen: „Capão ist ein magischer Ort, hier ist alles im Fluss.“ Ich soll diese Wahrheit in den nächsten vier Tagen, die ich vor allem mit ausgedehnten Wandertouren in der Umgebung verbracht habe, noch öfters erfahren.

Immer wieder solche Ausblicke beim Wandern. Foto: Doris
Immer wieder solche Ausblicke beim Wandern. Foto: Doris
Der Blick auf den Morrao. Foto: Doris
Der Blick auf den Morrao. Foto: Doris
Wandergefährten beim Wasserfall Fumaca. Foto: Doris
Wandergefährten beim Wasserfall Fumaca. Foto: Doris

Zum Beispiel auch an meinem letzten Abend! „Wisst Ihr, wann die Vorstellung beginnt?“ Die Frage einer Amerikanerin, die sich an unseren Tisch gesellt, löst bei Andrea, unseren beiden polnischen Bekannten und mir mittlerweile nur noch Lachen aus. Seit drei Stunden sitzen wir bei Bier und hausgemachten Kuchen auf den selten unbequemen Steinstühlen im Freien. Und warten! Zwei Tage zuvor hat mir Andrea „ihr“ Capão gezeigt, in dem sie vor sechs Jahren zwei Monate gelebt und gearbeitet hat. Ein Schild hat meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen: „Zirkus“ steht darauf geschrieben. Wie, Capão hat einen eigenen Zirkus? Tatsächlich wird im kleinen Dorf, das aus sage- und schreibe drei Straßen besteht und noch immer keine Handymasten (dafür aber ein paar Internet-Cafés) aufgestellt hat, seit 16 Jahren ein Zirkus betrieben. Und wie es der Zufall (der Fluss?) will, findet eben heute – an diesem Samstag – dort eine Veranstaltung statt. Es ist das 8. Treffen einer Künstlergruppe, so kann Andrea dank ihres guten Portugiesisch herausfinden. Beginn: 18.00 Uhr.

Den Zirkus gibt es schon seit Jahren in Capao. Foto: Doris
Den Zirkus gibt es schon seit Jahren in Capao. Foto: Doris

Inzwischen ist es 21.00 Uhr, das rote Zirkuszelt ist beleuchtet, Leute kommen und gehen wieder … allein die Vorstellung hat noch nicht begonnen. „Sie warten, bis genug Publikum da ist“, hat eine der beiden Polinnen erfahren. Macht (brasilianischen) Sinn, den übrigens unser Co-Österreicher Bernhard bereits begriffen hat: Kaum taucht er um 21.15 Uhr auf, kommen auch schon Clowns aus dem Zelt und trommeln die Menschen zusammen. Es geht los, es geht los! Das Warten hat sich gelohnt, nicht nur wegen der großartigen Gesellschaft. Die Vorstellung treibt uns die Lachtränen in die Augen, lässt uns staunen, die Zeit wie im Flug vergehen. Italienische und argentinische (Gast-)Akrobaten wechseln sich mit einheimischen brasilianischen Musik-Gruppen ab, Clowns heizen dem Publikum mit portugiesischen Witzen und international verständlichem Slapstick ein. Vier Stunden lang, schließlich leben in und rund um Capão viele Künstler – und die können gar nicht aufhören zu performen und so dieser Gegend ihre Liebe sowie Dankbarkeit zu zeigen.

Er hat uns besonders beeindruckt. Foto: Doris
Er hat uns besonders beeindruckt. Foto: Doris
Zirkus-Akrobatik vom Feinsten. Foto: Doris
Zirkus-Akrobatik vom Feinsten. Foto: Doris
Eine Chilenin spielt Clown - und Akkordeon. Beides gut. Foto: Doris
Eine Chilenin spielt Clown – und Akkordeon. Beides gut. Foto: Doris
Die Bühne quillt über: Jeder ist ein Künstler! Foto: Doris
Die Bühne quillt über: Jeder ist ein Künstler! Foto: Doris

Ich kann sie verstehen. Auch ich ertappe mich in den vier Tagen immer wieder dabei, einfach nur dankbar zu sein – für die Auszeit, für die Leichtigkeit, für die Freundschaften, für die Energie an diesem Ort und dafür, wieder einmal zu erkennen, dass alles Sinn macht und so geschieht, wie es kommen soll.. „Normalerweise spreche ich niemanden auf der Straße wegen eines Zimmers an“, meint Zeu am letzten Tag beim Abschied, „du warst mein erstes Mal.“ Allein dafür wäre ich ihm am liebsten um den Hals gefallen, meinem göttlichen Retter!

Gleich am ersten Tag (und ausgerüstet) geht es zum Rio Preta, dem schwarzen Fluss. Foto: Andrea
Danke, dass ich da sein durfte! Foto: Andrea

Ein Chale von Zeu kannst auch du mieten: Kosten für eine Person für ein ganzes Häuschen 40 Reais!

Chales de Zeu - meine absolute Unterkunfts-Empfehlung in Capao. Foto: Doris
Chales de Zeu – meine absolute Unterkunfts-Empfehlung in Capao. Foto: Doris

 

Tages-Wandertouren, die ich gemacht habe und somit empfehlen kann:

  • 3 Stunden von Capão nach Aguas Claras
  • Kurze Tour (ca. 1 Stunde) von Capão nach Rio und Cachoeira Preta
  • 2,5 Stunden Wanderung nach Cachoeira da Fumaca
1 Kommentar zu Vale Do Capão: Auszeit mit Zeus, Zirkus und einem Gefühl wie zuhause

Von einer, die auszog, um mit Delphinen zu schwimmen

Es ist fünf Uhr morgens, und ich höre ihn. Den Ruf der Delphine. Auch wenn sich der für andere vermutlich wie das Klingeln des Weckers anhört, für mich ist es eindeutig: Es…

Es ist fünf Uhr morgens, und ich höre ihn. Den Ruf der Delphine. Auch wenn sich der für andere vermutlich wie das Klingeln des Weckers anhört, für mich ist es eindeutig: Es sind die Delphine, die mich aus dem Schlaf locken.

Seitdem ich denken kann, üben sie eine Faszination auf mich aus. Warum, weiß ich nicht. Ich bin nicht sonderlich tierlieb, bekomme beim Anblick von Hund oder Katz keine feuchten Augen – aber Delphine haben es mir angetan. Vielleicht habe ich irgendwann eine Überdosis „Flipper“ abbekommen? Was für andere Kamele oder Bären sind, sind für mich diese schönen Meeres-Wesen. Seit meinen ersten Reisen begleiten sie mich, oder vielmehr der Gedanke, Delphine einmal hautnah zu erleben und mit ihnen im Meer zu schwimmen. Bisher ist es mir nicht vergönnt gewesen: Weder vor zehn Jahren bei der Fahrt nach Kangaroo Island in Australien. Noch auf Teneriffa. Noch nicht mal bei der Fahrt über den Ganges. Alles Spots mit „100%iger Delphin-Garantie“. Tja, ich müsste wohl mal irgendwo reklamieren gehen …

So ein ganz normaler Strand in Brasilien. Foto: Doris
Delphin-Spotting in Brasilien. Foto: Doris

Und jetzt bin ich wieder an einem Ort, wo „man garantiert mit Delphinen schwimmen kann“, das sagt nicht nur der Lonely Planet über Praia de Pipa. „Willkommen Doris“, wenn man schon so von seiner „Gastmutter“ begrüßt wird (anders kann ich die Besitzerin der Pousada Xama, in die ich mich einquartiert habe, nicht bezeichnen), kann man sich nur wohlfühlen. Keine fünf Minuten vergehen, hat sie mir nicht nur gesagt, dass ausgerechnet heute – genauer gesagt in einer halben Stunde – das „Ereignis des Jahres“ – nämlich die Entlassung der frisch geschlüpften Baby-Schildkröten von Projeto Tamar ins Meer – stattfindet, sondern morgen gegen 16.00 Uhr auch ein perfekter Zeitpunkt ist, um mit den Delphinen zu schwimmen. Perfekt deshalb, weil nur zu den zweimal täglichen Ebbe-Zeiten der Strand Mirante dos Golphinos überhaupt zugänglich ist. Und noch perfekter, weil für morgen kühles, wechselhaftes Wetter angesagt ist. Das hat wiederum kaltes Wasser zufolge – und das lieben die Delphine.
Ich bin nervös…

In diesen geschützten Bereichen liegen die Nester der Schildkröten vergraben. Foto: Doris
In diesen geschützten Bereichen liegen die Nester der Schildkröten vergraben. Foto: Doris
Freiheit! Die Kleinen werden zum Meer entlassen … Foto: Doris
Freiheit! Die Kleinen werden zum Meer entlassen … Foto: Doris
Wer wohl aufgeregter war: Die Helfer, die Zuschauer oder doch die kleinen Schildkröten? Foto: Doris
Wer wohl aufgeregter war: Die Helfer, die Zuschauer oder doch die kleinen Schildkröten? Foto: Doris

Einige Stunden später weiß ich: Mit den Baby-Schildkröten hatte sie recht! Es war zwar nicht das „Ereignis des Jahres“, schließlich findet es von Dezember bis März regelmäßig statt, aber beeindruckend war es allemal, die kleinen gepanzerten Wesen ins Wasser zu begleiten.

Rausfahren mit dem (Paddel)Boot, um näher an die Delfine ranzukommen?! Angeblich nicht notwendig… mh.. Foto: Doris
Rausfahren mit dem Kajak oder den Motorboot, um näher an die Delfine ranzukommen?! Angeblich nicht notwendig, vor allem aber störend für die Tiere. Foto: Doris

Mit den Delphinen lag sie leider weniger richtig, soviel steht bei Anbruch der Dämmerung fest. Die haben sich nicht gezeigt (genauso wenig wie die Österreicherin namens Verena, die hier laut TripAdvisor Massagen gibt). Noch nicht – ich bin ja noch einige Tage hier in Praia de Pipa.

Auch wenn man keine Delfine erspäht, schön ist es hier allemal. Foto: Doris
Auch wenn man keine Delfine erspäht, schön ist es hier allemal. Foto: Doris

Neuer Tag, neues Glück?! Es ist ja nicht das erste Mal, dass ich der Delphine wegen früh aus dem Bett springe. Okay, vielleicht nicht springe…

„Ich wecke Euch gegen 4:00 Uhr auf“, hatte uns unser CouchSurfing-Host Jonathon vor drei Jahren auf Big Island nicht nur angekündigt, sondern diese Drohung auch wahr gemacht. Schließlich war es ja für einen „guten Zweck“: Er wollte uns den besten Spot zeigen, um mit Delphinen zu schwimmen – den Two-Step-Beach nahe der Kealakekua Bucht. Und er musste es wissen, war der Regisseur und Filmschaffende doch noch besessener von Delphinen als ich.  Eine ganze Dokumentation, „Na Nai’a. Legend of the Dolpins“, widmete er den schönen Meeressäugern – und als er mir damals die Leute aufzählte, die den Delphinen ihre Synchronstimmen geliehen hatten, blieb mir fast die Suppe im Hals stecken: Kate Winslet, Ellen Page, Gerard Butler, Megan Fox, Whoopie Goldberg, Julian Lennon, Isabella Rosselini, James Franko, Darryl Hannah ‒ wer war denn da bitte nicht dabei? Leider waren die Stars das Aufregendste an dem Film, den wir damals in einer Art „Preview“ in seinem Wohnzimmer sehen durften und an dessen Einzelheiten ich mich kaum noch erinnern kann. Dass unsere Mission damals aber leider nicht von Erfolg gekrönt war, das weiß ich noch all zu gut. Wir warteten, warteten, warteten – nur die Delphine ließen sich nicht blicken.

Morgenstimmung am Strand. Foto: Doris
Morgenstimmung am Strand. Foto: Doris
Da draußen in der Ferne sieht man angeblich Delphine. Foto: Doris
Da draußen in der Ferne sieht man angeblich Delphine. Foto: Doris

Genauso wie heute. „Zu dieser Jahreszeit ist das Wasser zu seicht, da bleiben sie weit draußen“, klärt mich ein Standbetreiber auf, vorausgesetzt, ich habe sein Portugiesisch richtig verstanden, „da braucht man viel Geduld, um sie zu erspähen.“ Es ist eindeutig: Die Idee vom Schwimmen mit den Delphinen kann ich für dieses Mal an den Nagel hängen. Bin ich enttäuscht? Keine Frage. Aber die Traurigkeit hält nicht allzu lang an: Wer könnte bei einem Morgenspaziergang am Strand schon die Schultern hängen lassen? Und außerdem … am Spruch von der Hoffnung, die zuletzt stirbt, an dem ist schon etwas Wahres dran …

Das ist und bleibt der einzige Delphin, den ich hier sehen werde. Foto: Doris
Das ist und bleibt der einzige Delphin, den ich hier sehen werde. Foto: Doris

Tipps, um nach Praia de Pipa zu kommen: 

Von Natal aus gibt es regelmäßig Busse (Fahrt: Ca. 1 Stunde), von Recife muss man mit dem Bus der Company Progresso bis Goianinha fahren (ca. 4 Stunden, nicht 3 Stunden lt. Internet). Dort warten Taxis, die nach Praia de Pipa bringen. Wir haben uns zu dritt eines für 40 Reais geleistet. Der Bus, der angeblich auch kommt, kostet pro Person um die 10 Reais. Normalerweise lädt einen der Taxifahrer im Ortszentrum ab – wer nett fragt, wird – wie ich – vielleicht bis zur Unterkunft gebracht. 

Ein Shuttle-Van fährt alle paar Minuten durch Praia de Pipa von einem Ende nahe Pousada Xama bis zu Praia do Madeira, wo z.B. die Schildkröten ins Meer gelassen werden. Kosten: 2 Reais. 

Pousada Xama: 
Liegt etwa 8 Gehminuten vom Ortszentrum entfernt, etwa 3 Gehminuten sind es zum Praia do Amor. Die Pousada ist im Lonely Planet gleich als 1. Empfehlung gelistet, hat aber (dennoch) nichts an ihrem Charme und ihrer Ruhe verloren.
Kosten: ab 70 Reais (inkl. großartigem Frühstück) für ein Doppelzimmer. 

Mein kleines Reich hier in Praia da Pipa. Foto: Doris
Mein kleines Reich hier in der Pousada Xama in Praia de Pipa. Foto: Doris

Pousada Xama ist die fünf Tage hier in Praia da Pipa ein echtes Zuhause. Foto: Doris

Keine Kommentare zu Von einer, die auszog, um mit Delphinen zu schwimmen

Eine Nacht in der Favela – ein Experiment

Wie durch Zahnstocher hochgezurrt stieren meine Augen an die Decke. Nicht ich starre, ich werde gestarrt. Denken kann ich schon lange nicht mehr, ich bin einfach nur müde. Alles an mir sehnt…

Wie durch Zahnstocher hochgezurrt stieren meine Augen an die Decke. Nicht ich starre, ich werde gestarrt. Denken kann ich schon lange nicht mehr, ich bin einfach nur müde. Alles an mir sehnt sich nach Schlaf, nach Erholung. Etwa dreißig Minuten lang habe ich es geschafft, doch jetzt liege ich bereits seit gefühlten Stunden hier – und jeder Versuch, endlich in die Ruhe zu fliehen, scheitert. Meine Augen füllen sich mit Tränen. Ich weiß nicht, was schlimmer ist: Meine Erschöpfung oder das Gefühl der Enttäuschung, die mit den Tränen hoch schwappt.

Von unten dringt Grölen und Lachen: Lautstark werden in gebrochenem Englisch Reisepläne ausposaunt. Aus britischen Antwortfetzen höre ich Partygeschichten von Rios Karneval. Es ist 2 Uhr morgens, verdammt, ich will einfach nur schlafen! Ich bin zu müde, um es nach unten zu schreien. Wozu auch, hat ja die letzten fünf Stunden nichts gebracht. Schweiß tropft mir von der Stirn. Ich mache mir gar nicht die Mühe, ihn mir abzuwischen: Es gibt keine Klimaanlage, keinen Ventilator im Gemeinschaftsraum des Hostels, auf dessen abgewetzter Plastik(?)-Couch ich hier liege. Nicht freiwillig. Oder doch?

Willkommen in Babilonia! Willkommen im Chill and Surf!

„Es ist alles voll. Ich kann dir nur noch die Couch oder die Hängematte zum Übernachten geben.“ Zuerst halte ich die Worte von Matthias für einen Witz, einen sehr schlechten. Ich war doch extra zwei Tage früher nach Rio de Janeiro zurückgereist, um in seiner Herberge „Chill and Surf“ zu schlafen – und darüber zu berichten. Schließlich ist es nicht irgendeine Unterkunft: „Ich habe einen Österreicher getroffen, der in einer Favela in Rio ein Hostel betreibt“, so hat sich mein Arbeitskollege vor meiner Abreise nach Brasilien bei mir verabschiedet, „willst du den Kontakt?“ Klar konnte ich da nicht widerstehen. Ein Österreicher. Ein Hostel. In einer Favela. In Brasilien. Die Kombination klang einfach zu interessant. Als ich dann noch bei Recherchen entdeckte, dass das Hostel-Gebäude von Star-Architekten Niemeyer erbaut wurde, war es komplett um mich geschehen. Das muss ich mir anschauen! Vor allem aber will ich mit österreichischen Betreiber, Matthias, sprechen.

chillchill2chill3

Wie hast du das Haus vor rund dreizehn Jahren überhaupt entdeckt? Wie bist du auf die Idee gekommen, in der Favela Babilonia ein Hostel zu starten? Arbeitest du mit den Bewohnern der Favela zusammen? Und wie findest du es, dass jetzt die Siedlungen, die früher der Inbegriff von Gewalt, Chaos, grenzenloser Armut und Drogenkriegen waren, immer häufiger Eingang in Reiseführer finden? Die Fragen türmen sich in meinem Kopf – auf die Antworten muss ich aber bis zum Ende meiner Reise warten. Erst dann ist Matthias wieder in Rio. 

Dann solle ich doch einfach ins Hostel kommen – und ja, auch dort zu übernachten wäre kein Problem. Kostenlos, wenn Platz ist. Das alles wird mir Stück für Stück durch Matthias‘ Bruder Phil, der in Portugal ein Hostel betreibt, per E-Mail ans Herz gelegt. Ich tue es und werfe meine Entscheidung über Bord, den Favela-Tourismus nicht zu unterstützen. Weil ich Sensations- und Katastrophen-Tourismus nicht mag. Weil ich nicht weiß, ob die Armut der Leute dadurch geringer wird. Weil ohnehin jeder, der nach Rio de Janeiro reist, automatisch mit den Favelas konfrontiert wird, den Armenbezirken, die die Hügeln über der Stadt besiedeln und somit für jeden sichtbar über dem Tal hängen.

Die Straße führt nach Babylonia. Foto: Doris
Die Straße führt in die Favela – nach Babilonia.

Die Zugänge zu den Favelas sind oft nahtlos, aber eindeutig spürbar – das stelle ich fest, als mich das Taxi hoch zum „Chill and Surf Hostel“ bringt: Da stehen in der Straße Nossa Senhora de Copacabana in jenem gleichnamigen Wohnbezirk schicke Häuser mit gepflegten Grünflächen hinter Stahlzäunen; während in der Nebenstraße die Häuser einfach, ihre Wände mit Graffiti beschmiert und die steilen Wege teils mit holprigem Beton ausgebessert sind. Arm ja, aber gefährlich? Nein, gefährlich scheint die Favela Babilonia nicht zu sein. Sie gehört schon lange zu den „befriedeten“ Favelas, jenen Siedlungen also, aus denen die Gewalt, die Drogen, das Chaos verbannt und in denen die „Ordnung“ durch Polizei-Stationen kontrolliert wurde.

Herzlich werde ich hier aber dennoch nicht willkommen geheißen. „Couch oder Hängematte“ – so lautet die Entscheidungsfrage. Matthias ist zwar glücklich darüber, dass ich über ihn schreiben will, möchte mich auch gern morgen durch die Favela führen – ein Bett hat er aber dennoch nicht für mich. Nicht einmal im Dorm. Ich darf auf der Couch im Gemeinschaftsraum schlafen, 40 Reais pro Nacht zahlen und – wenn niemand anderer kommt, der die zu Karneval verlangten 140 Reais für ein Dorm-Bett zahlt – vielleicht doch in einem der freien Betten schlafen. Ich bin völlig überrumpelt, mir versagen die Worte. Und ich bin müde: Gestern Nacht bei der Busfahrt habe ich kaum ein Auge zugemacht, ich will einfach nur ins Bett. Wenn es sein muss, auch auf die Couch.

„Das Management hier hat die letzten drei Jahre das Hostel schlecht gewirtschaftet“, erklärt mir später der französische Freund von Matthias, der mit Ringen unter den Augen mehr schlecht als recht Herr der Lage ist. Er wird die Couch mit mir teilen, meinte er, wie schon die letzten zwei Wochen. Zum Schlafen komme er ohnehin nicht viel, schließlich seien er und Matthias nur hierher gekommen, um das Hostel wieder zur Nummer eins in Babilonia zu machen. Koste es, was es wolle – meint er noch und zeigt mir sehnsüchtig Bilder von seinem Zuhause, dem Beach-Hostel in Kolumbien, wo Matthias und er normalerweise leben sowie arbeitet.  Ich merke, wie mir das Denken einen Streich spielt… Bett, Bett, Bett ist alles, was ich noch in meine Gehirnwindungen bringe. Morgen ist auch noch ein Tag.

Ein Morgen gibt es hier für mich nicht! Nach vier Stunden Quälerei auf der Plastik-Couch, in einem Hostel, das keine Ruhephasen kennt und dessen Besitzer sich offenbar nicht für seine Gäste interessiert, ist mir das klar. „Ich brauche ein Bett für die nächsten Nächte“, schicke ich ein Verzweiflungs-Email (immerhin, das WiFi funktioniert!) an Fabio, einen Bekannten aus Rio. Es ist Karneval! Wie aussichtslos die Situation ist, ist mir bewusst. Und doch bekomme ich keine fünf Minuten später ein Mail: „Ich habe etwas für dich.“ Was, das ist mir egal. Es kann nur besser sein als die Situation im „Chill and Surf“. Und schreiben möchte ich über das Favela-Hostel ohnehin nicht mehr, schade über die vertane Chance!

Zwei Stunden später liege ich in einem herrlichen, frisch gemachten, sauberen Bett im Botanic Hostel. Es gehört einem Bekannten von Fabio, hat vor drei Wochen aufgesperrt, ist auf Nachhaltigkeit ausgelegt und alle sind rundum bemüht, die Gäste zu versorgen – kurz, es ist perfekt! Besser, als ich es mir wünschen konnte.

Und die Moral von der Geschichte? War diese Begegnung eine Lektion in Sachen Grenzen? Oder war es eine Lernerfahrung in Sachen Scheitern? Sollte ich erfahren, dass ich für Geschichten doch nicht über Leichen gehe – schon gar nicht über meine eigene? „Dass ein Österreicher sich so respektlos einer Landfrau gegenüber verhält, versteh ich nicht. Aber du hast unglaubliches Glück“, kommentiert Fabio das Erlebte bei einem Abendessen, „du bist zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“

„Es zeigt die Gier der Menschen, die alles zerstört“, kommentiert mein Freund Matthias (nein, nicht der Hostel-Betreiber, ein anderer) eine Woche später in Berlin meine Erfahrung. Ich muss beiden Recht geben. Und beide sagten, ich sollte die Geschichte erzählen – einfach so. Das habe ich jetzt getan. Die Moral, die kenne ich aber bis heute nicht – vielleicht muss ich das ja auch gar nicht. Ich weiß nur, mein Experiment Favela-Nacht werde ich wohl so schnell nicht vergessen!

 

Lesenswerte Artikel von solchen, deren Experiment Favela weniger gescheitert ist:

Touristen in Favelas 
Das ganz normale Leben

Keine Kommentare zu Eine Nacht in der Favela – ein Experiment

Eli kocht vegan: Tofu als Basis für Mousse au Chocolat

Das ist vielleicht für einige schwer vorstellbar, ein veganes Schoko-Mousse auf Tofu-Basis. Vor mittlerweile drei Jahren, als ich versuchte von der vegetarischen Ernährung vermehrt zur veganen überzugehen und auch meinen…

Das ist vielleicht für einige schwer vorstellbar, ein veganes Schoko-Mousse auf Tofu-Basis. Vor mittlerweile drei Jahren, als ich versuchte von der vegetarischen Ernährung vermehrt zur veganen überzugehen und auch meinen Speiseplan erweitern wollte, habe ich einen Kochkurs mit dem klingenden Namen „Tofu, Seitan und Tempeh“ besucht. Die meisten der Gerichte, die wir als Hauptspeisen kochten, kannte ich vorher schon, doch das Mousse war für mich neu und ist seitdem eines meiner Lieblingsdesserts. Von der Vielzahl der erhältlichen Tofu-Varianten kannte ich vorher auch nur die schnittfesten in normaler oder geräucherter Art beziehungsweise mit allen möglichen Gewürzen und anderen Zutaten. Der Seidentofu ist viel weicher und eignet sich auch als Basis für vegane Dips und Saucen (zum Beispiel Aioli) und veganen Käsekuchen. Das eine oder andere Rezept mit Tofu werde ich hier noch vorstellen – also dranbleiben, nachkochen und genießen.

Beim ersten Nachkochen war mein Freund Cj noch etwas skeptisch, als der vegane Aspekt in Form von Tofu in Spiel gekommen ist – ob das wieder eines meiner Experimente sei, die manchmal von ihm als „interessant“, teilweise als „gewagt“ und selten aber doch als „genial“ bezeichnet werden. Das Mousse fiel nach einer ersten Verkostung in letztere Kategorie. Cj gefällt es, dass es leichter schmeckt als herkömmliche, weniger fettig, aber trotzdem sehr schokoladig, und man dadurch mehr davon essen kann – solange noch etwas da ist! Schon des Öfteren haben wir uns fast gestritten, wer die letzten Reste aus den Mixgefäß herausschlecken darf.

Wenn sich Besuch ankündigt, mache ich dieses Dessert gerne, da es sehr schnell zubereitet ist, nicht einmal fünf Minuten dauert es und es ist fertig, und ab in den Kühlschrank damit. Den Gästen sage ich zuerst nicht, worum genau es sich handelt, da doch der eine oder andere Vorurteile gegenüber normalem Tofu hegt (im besten Fall „geschmacksneutral-langweilig“, „komische Konsistenz“) – erraten woraus die Mousse ist, hat soweit noch niemand. Geschmeckt hat es allen. Darüber gefreut, dass sich in dieser Mousse keine rohen Eier oder Gelatine befinden, haben sich schon so manche FreundInnen.

Rezept (eifrei, laktosefrei, glutenfrei, nussfrei)

Zutaten

400g Seidentofu (z.B. von Demeter, erhältlich in Bio-Supermärkten wie Basic, Alnatura, etc.)
100g dunkle Schokolade (wenn vegan gewünscht wird, dann Schokolade ohne Milch, z.B. von Alnatura, GEPA oder Viana)
6 EL Rohrzucker
Nach Belieben etwas Vanille (aus einer Schote), ein Schuss Rum, Deko (wie Physalis, Kiwispalte, Mangosauce, etc.)

Werkzeug

Stabmixer oder ähnliches zum schnellen und gründlichen Pürieren

In einem Topf etwas Wasser erhitzen und die Schokolade in einer Tasse im Wasserbad schmelzen, dabei zwischendurch hin und wieder umrühren. Sobald die Schokolade schmilzt, den Rohrzucker dazugeben, nach Belieben etwas Vanille (bevorzugt aus einer Vanilleschote) oder einen Schuss Inländer-Rum dazu unterrühren für den Geschmack.

Den Seidentofu aus dem Kühlschrank öffnen, und falls sich etwas Flüssigkeit oben gebildet hat, diese vorsichtig abgießen. Den Tofu in Stücke schneiden und in einen Mixbecher geben. Kurz mit einem Stabmixer pürieren und dann muss es schnell gehen, da die Schokolade beim Auskühlen wieder fest wird: die Schoko-Zucker-Masse zum Seidentofu gießen und weitermixen bis alles cremig ist. Fertig – ab in den Kühlschrank. Es würde sich prinzipiell dort auch ein paar Tage halten, soweit ist es bei mir allerdings nie gekommen. Schwupps war alles leergeschleckt. Falls die Konsistenz noch fester gewünscht ist, einfach eine winzige Prise Johannisbrotmehl oder Guakernmehl mitmixen (zum Beispiel als Bindino erhältlich).

Die gut gekühlte Mousse au Chocolat anrichten: Mit einem Löffel Nockerl ausstechen, in Schälchen oder Teller geben und nach Belieben dekorieren (zum Beispiel mit einer Physalis, Kiwispalte, oder etwas Mangosauce).

Einen guten Appetit!

Keine Kommentare zu Eli kocht vegan: Tofu als Basis für Mousse au Chocolat

Wie in Trance: Bei einer afro-brasilianischen Kult-Zeremonie in Salvador

„Ich gehe jetzt einmal Abendessen und hole euch dann wieder ab“, spricht Armando. Wie, er ist jetzt weg? Er ist doch unser Guide! Ich habe doch eine Tour gebucht! Es ist…

„Ich gehe jetzt einmal Abendessen und hole euch dann wieder ab“, spricht Armando. Wie, er ist jetzt weg? Er ist doch unser Guide! Ich habe doch eine Tour gebucht! Es ist doch seine Aufgabe, uns alles über Cantomblé, die wilde, afro-brasilianische Religion, zu erklären! Bevor ich aber zum Protest ansetzen kann, ist er auch schon verschwunden! Wir bleiben auf den weißen Plastikstühlen zurück, ich und das Mädchen aus Mauritius, das in den nächsten drei Stunden zu meiner besten Freundin, Übersetzerin, Verbündeten wird.

Der Altar vor dem Cantomblé-Tempel. Foto: Doris

Der Altar vor dem Cantomblé-Tempel.

Dunkle Augenpaare starren uns neugierig von links wie rechts an – wir grinsen ihnen ein bisschen verkrampft entgegen. Angriff ist schließlich die beste Verteidigung, heißt es doch, oder? Dabei stehen wir gar nicht unter Beschuss – nur etwas unter Beobachtung, sind wir doch die einzigen „Anderen“ im Raum. Die einzigen Nicht-Brasilianer. Und auch wenn sich meine mauritianische Begleiterin mit ihrer dunklen Haut und ihrem gebrochenen Portugiesisch durchaus unbemerkt unter die für Salvador typischen Ur-, Ur-, Ur-, Ur-….-Enkel der Sklaven mischen könnte – ich falle definitiv aus der Reihe. Doch so unterschiedlich wir sind, eines haben wir alle gemeinsam: Wir warten!

Das Fest, das wir heute im Tempel feiern, findet nur einmal im Jahr statt. Foto: Doris

Das Fest, das wir heute im Tempel feiern, findet nur einmal im Jahr statt.

Cantomblé – das Wort hat mich magisch in den Bann gezogen, seitdem ich es im Lonely Planet zum ersten Mal entdeckt hatte. Es klingt so verführerisch, Geheimnis umwittert, verlockend! Es ist der Name der afro-brasilianische Religion, die mit den Sklaven ab dem 16. Jahrhundert nach Brasilien gebracht wurde und hier in Bahia, vor allem in Salvador, unter den Nachkommen der afrikanischen Immigranten noch immer praktiziert wird. Was damals vor den Katholiken verborgen und nur im Stillen ausgeübt werden durfte, ist heute der ganze Stolz der Afro-Brasilianer. Überall auf Plätzen, ja selbst in der Lagune von Salvador – dem Dique do Tororó – , stehen manns- beziehungsweise besser gesagt frau-hohe Abbilder der orixás, der Gottheiten; die farbenfrohen Bilder in den Straßen des touristischen centro historicos sind voll von ihnen, und Glücksbringer mit den meist weiblichen Figuren in ihren ausladenden, steifen Röcken hängen in jeder Auslage.

Jeder Mensch hat eine Gottheit, die ihn bewacht - so glaubt man im Candomblé. Foto: Doris

Jeder Mensch hat eine Gottheit, die ihn bewacht – so glaubt man im Candomblé.

Und dann sind da noch die Zeremonien: Fast wöchentlich findet irgendeine Feier zu Ehren einer Gottheit statt, die alle unterschiedliche Persönlichkeiten und Geschichten mit sich bringen. Das erzählt uns unser Guide während der Autofahrt zum Tempel, dem sogenannten terreiro. Die meisten wiederholen sich Woche für Woche, nicht aber diejenige, der wir in Kürze beiwohnen sollen: Die heutige Zeremonie zu Ehren der orixá Oshun (Oxun) – der Weg- und Metall-Göttin, so sagt Armando (Wikipedia sagt etwas Anderes) – findet nämlich nur einmal im Jahr statt.  „Wir haben so ein Glück“, flüstert mir die Mauritierin zum ersten Mal zu. Es sollte nicht das letzte Mal sein.

Die Zeremonie zu Ehren von Oxun ist in drei Teile geteilt und dauert über drei Stunden. Foto: Doris

Eigentlich ist Fotografieren nicht erlaubt (so sagte man uns vorab): Nachdem aber alle ungeniert mit Smartphone bewaffnet waren, habe ich mich nach zwei Stunden auch verleiten lassen und das iPhone gezückt. Hier die TänzerInnen und SängerInnen der Zeremonie.

Es ist diese Zeremonie, auf die wir im Tempel warten. Eben wurden wir noch vom Sohn der Priesterin höchstpersönlich begrüßt – dann kann es losgehen. „Es ist wie bei mir zuhause“, japst die Mauritierin, deren Name ich nie erfahren habe, „die gleichen Schritte, die gleiche Musik“, sagt sie und klatscht im Rhythmus mit. Ich mache es ihr gleich – wehren ist ohnehin zwecklos, zu mitreißend ist das Trommeln der Alabe (so der Name der männlichen Gruppe). Um die zwanzig Frauen und vier Männer, alle in Weiß gekleidet, die meisten davon in den bauschigen, weiten Röcken, bewegen sich zu den lauten, rhythmischen Trommeln gegen den Uhrzeigersinn im Kreis. Dabei schwingen sie die Hüften, schütteln die Busen, gestikulieren mit ihren Armen und bewegen ihre mehr als üppigen Körper so, wie man es angesichts der Leibesfülle niemals vermuten würde.

Abwechselnd trommeln die Mitglieder der Alambe den Rhythmus vor. Foto: Doris

Abwechselnd trommeln die Mitglieder der Alambe den Rhythmus vor.

Das ist erst der Anfang: Es sollte drei Stunden lang so weitergehen, was sag‘ ich: Mehr werden! Was wie Chaos und nach Leichtigkeit aussieht, verläuft offensichtlich nach einem strengen Protokoll. Dirigiert wird das Ganze vom Sänger und Alabe-Leader, der selbst in seinen Zigarettenpausen noch die Oberhand behält und genau weiß, wann er wieder ein „Kommando“ geben muss. Was genau gesungen wird, das können wir nicht einmal erahnen, wird die Zeremonie doch in der Yoruba-Sprache abgehalten.

Ein lauter Schrei dringt durch die Zuschauer: Alle Blicke richten sich auf eine gefärbte Blondine, die noch Minuten zuvor unbemerkt in der Ecke gelehnt hat. Jetzt schüttelt und beutelt es die Frau, dass es mich nicht wundert, dass die Katholiken im 16. Jahrhundert Cantomblé für eine Teufelssache gehalten haben. Der Schweiß tropft ihr von der Stirn. Das allein wäre aber nichts Außergewöhnliches, ist es doch unglaublich heiß in diesem kleinen Tempel. Und die vielen Menschen, das ständige Kommen und Gehen, machen es nicht besser. Doch im Fall der Blondine ist es anders: Wie sie fallen immer wieder Leute aus dem Publikum, aber auch TänzerInnen in Trance, werden von der Musik (von der Gottheit?) in Beschlag genommen, müssen sich austoben, gestikulieren wild herum und brüllen, kreischen, jauchzen, was das Zeug hält… und immer wieder werden sie von „Ordnungshütern“ aufgefangen und sanft hinaus geführt. Irgendwann tauchen sie dann erneut auf, ganz ruhig, so als wäre nichts geschehen. „Die Leute erinnern sich später an nichts mehr“, wird uns Armando später – nach seinem Abendessen, nach der Zeremonie – im Auto erklären.

Die Sorge habe ich auch. Nicht, dass ich mich nicht mehr an den Abend erinnern kann – zu unvergesslich, spannend, außergewöhnlich und einzigartig ist das Erlebnis. Ich habe Angst, die Details zu vergessen – die Gesten und Handbewegungen, die offenbar alle eine Bedeutung haben. Den Gesichtsausdruck der Priesterin, wenn sie eine Runde dreht, in einer Art Schlaf-Wach-Zustand die Menschen umarmt und alle mit einem Strahlen in den Augen zurücklässt. Die offenen Münder der kleinen Mädchen neben mir, die ihre Hälser strecken mussten, um einen Blick auf die tanzende Menge zu ergattern. Es sind einfach zu viele Sinneseindrücke in zu kurzer Zeit…

„Jetzt hole ich auch gleich mein iPhone heraus“, zischt mir die Mauritianerin zu. Eigentlich hat es geheißen: Fotografieren nicht erlaubt. Daran haben wir uns bis (fast) zum bitteren Ende gehalten, auch wenn ich sie schon anfangs angestupst hatte: „Schau mal, da filmt einer mit dem Tablet!“ Sie hatte es schon gesehen. Tatsächlich sind wohl selten Tanzschritte und Gebets-Gesänge aus dem 16. Jahrhundert mit so vielen Smartphones und iPhones in einem Raum wie an diesem Abend. Nachdem alle rundherum ungeniert filmen, halten wir es nicht mehr aus und greifen zu unseren iPhones. Mit einem unwohlen Gefühl in der Magengrube und schweißnassen Händen. Beides liegt aber eher an meinem schlechten Gewissen, gegen Regeln verstoßen zu haben als einem Trance-Zustand – bei mir zumindest.

Tipps

Laut Lonely Planet sind sämtliche Orixás, also Cantomblé-Zeremonie, auch online zu finden, aber die angegebene Website führt leider zu einer allgemeinen Salvador-Tipps-Seite. Auch die Recherchen meiner mauretanischen Kurzzeit-Freundin auf dem Markt ergab wenig: „Geh in die Straßen von Lapa“, hieß es da. Doch nachdem Orixás meist bei Nachteinbruch (zwischen 19 und 22 Uhr) stattfinden, würde ich keinem raten, allein durch die finsteren Straßen und Gassen Salvadors zu irren. Nehmt euch lieber einen Guide, so wie wir es getan haben.

Wenn ihr ebenfalls Larturismo kontaktieren möchtet, wendet euch per E-Mail an Armando: larturimso.vendas@gmail.com beziehungsweise larturismo.contato@yahoo.com.br. Die Tour startet offiziell um 18 Uhr und endet um 22 Uhr. Kosten: 70 Reais.

Zu bedenken ist: Schwarze Kleidung ist normalerweise nicht erlaubt, am besten trägt frau/man weiß! Fotoapparate sind eher unerwünscht, ein iPhone oder Smartphone darf aber zum Filmen gezückt werden. Vorher aber dennoch bitte fragen, schließlich handelt es sich um religiöse Zeremonien – und da sollte man Respekt zeigen. Es gibt auch bezahlte Orixá-Shows, die allerdings nichts mit den echten Feiern zu tun haben. Leicht erkennbar sind Erstere daran, dass beim Eintreten nochmals Geld verlangt wird. Ich denke nicht, dass sich diese Erfahrung lohnt, um ehrlich zu sein. Kehrt lieber um und wartet auf eine echte Zeremonie.

 

Offenlegung: Larturismo habe ich über das Hostel El Misti gebucht, das mir wiederum aufgrund einer Kooperation mit HostelClub eine Gratis-Unterkunft in Salvador ermöglicht hat. Danke dafür! Die Meinungen und Ansichten bleiben natürlich wie immer meine eigenen.

1 Kommentar zu Wie in Trance: Bei einer afro-brasilianischen Kult-Zeremonie in Salvador

Was möchtest du finden?