„Scheitern ist ein Umweg, keine Sackgasse.“ Als ich vor einigen Jahren während meiner Recherchearbeiten für ein Seminar an der Uni über dieses Zitat des mir gänzlich unbekannten Autors und Motivationstrainers Zig Ziglar gestolpert bin, wusste ich noch nicht all zu viel damit anzufangen. Scheitern war keine wünschenswerte Option. Scheitern war das so genannte „worst case scenario“. Ich erinnere mich gut an meine Studienzeit, an einige der Prüfungen, die ich nicht beim ersten Versuch bestanden habe. An Hausarbeiten, die mit dem Auftrag sie noch einmal komplett zu überarbeiten, an mich zurück gesandt wurden. Sogar solche Kleinigkeiten wie erfolglose Anmeldeversuche zu Pflichtveranstaltungen oder Prüfungen, sind mir im Gedächtnis geblieben. Aber nicht nur an der Uni boten sich massenhaft Möglichkeiten zu scheitern. Ich erinnere mich an misslungene Versuche, mit dem Auto bergauf mit angezogener Handbremse wegzufahren. An Bewerbungsschreiben, die unbeantwortet blieben. An Beziehungen, die nicht für die Ewigkeit gemacht waren. All diesen Erinnerungen wohnt ein bitterer Beigeschmack bei. „Ich habe es nicht geschafft. Ich habe versagt.“

Seit circa einem halben Jahr lasse ich mich zur Mediatorin ausbilden. Gemeinsam mit einigen anderen TeilnehmerInnen beschäftige ich mit Konflikten aller Art und vor allem auch mit meinem eigenen Konfliktverhalten. Im Rahmen dieses Lehrganges gewinnt das Scheitern nun eine ganz neue Bedeutung. Scheitern ist erlaubt, ja sogar erwünscht. Zu Beginn war das für mich unvorstellbar. Warum sollte man scheitern wollen? Erfolg ist doch das Ziel, auf das wir alle hinarbeiten. Erfolg ist unsere Motivation. Das lernen wir von Kindesbeinen an. „Sei fleißig, dann wirst du dein Ziel erreichen. Streng dich an, dann wirst du erfolgreich sein.“ Erfolgreich sein möchte ich auch in der Mediation. Nicht nur um mein selbst gestecktes Ziel zu erreichen, sondern insbesondere auch um meinen KlientInnen hilfreich sein zu können. Mit diesen Gedanken wagte ich mich am vergangenen Ausbildungswochenende zum ersten Mal in die Rolle der Mediatorin. Es kam, wie es kommen musste. Trotz guter Vorbereitung und bester Absichten wurde ich innerhalb von Minuten aus der Position der Unterstützerin in die Rolle der hilflosen Beobachterin gedrängt. Während sich meine Klientinnen eine verbale Schlacht auf Leben und Tod lieferten, konnte ich nichts anderes tun als machtlos dazusitzen und sie anzustarren. Was für ein Schauspiel! 

Meine Mutter hätte dieses Szenario wohl als „mit Bomben und Granaten durchgefallen“ bezeichnet. Womit sie nicht ganz falsch liegen würde. Ich bin tatsächlich auf ganzer Linie gescheitert. Nicht nur, dass meine Klientinnen ihren Konflikt nicht lösen konnten, er verschlimmerte sich sogar noch. Da saß ich nun mit meiner Idealvorstellung vom Erfolg und von den zufriedenen und wieder versöhnten Klientinnen, die überhaupt nicht der Realität entsprach. Ein worst case scenario wie es im Buche steht. Das Spannende aber war, dass es mir nicht als ein solches erschien. Ja, mein Versuch den Konflikt zu lösen, ist nicht geglückt. Ein einziger Versuch. Bin ich deshalb erfolglos? Soll ich deshalb aufgeben und den Kopf in den Sand stecken? Soll deshalb meine Motivation verloren gehen und mit ihr der Glaube an mich selbst? Was bedeutet es, wenn mein Lösungsansatz nicht geklappt hat? Dass ich nicht gut genug bin? Dass ich versagt habe? Nichts von alledem. Wenn mein Lösungsansatz nicht geklappt hat, bedeutet es genau das. Dieser eine Ansatz hat nicht funktioniert, diesen kann ich ausschließen. Übrig bleibt eine Vielzahl anderer und neuer Möglichkeiten, die auf ihre Nützlichkeit getestet werden wollen. Mittlerweile verstehe ich meine Trainer, wenn sie uns einladen unser Glück zu versuchen und zu scheitern. Gerade das Scheitern in einem geschützten Rahmen, wie ihn mein Lehrgang darstellt und auch die Universität, ermöglicht es mir, meine Flügel in alle Richtungen auszustrecken. Ich darf mich ausprobieren, darf kreativ sein und meinem Bauchgefühl folgen. Ich darf Fehler machen, meine Meinung und Perspektive ändern und das allerwichtigste, ich darf aus jedem Scheitern meine eigenen Lehren ziehen. 

Das mag nun alles leicht und nachvollziehbar klingen, wenn ich vom Scheitern im geschützten Rahmen schreibe. Die Vermutung liegt nahe, dass es draußen, „in der richtigen Welt“, im Beruf, in der Beziehung anders ist. Dem ist nicht so. Wenn mir im Beruf etwas nicht gelingen mag, weiß ich zumindest, dass ich es beim nächsten Mal anders machen werden. Aus meinem Misserfolg lerne aber nicht nur ich. Auch mein Vorgesetzter hat die Möglichkeit, aus einem gescheiterten Projekt etwas mitzunehmen. Vielleicht ändert er beim nächsten Mal die Rahmenbedingungen, vielleicht stellt er mehr Ressourcen zur Verfügung. Auf beiden Seiten bieten sich Optionen, die sich ohne das Scheitern womöglich nie aufgetan hätten. 

Noch schwieriger ist es, das Scheitern einer Beziehung als positiv zu sehen. Wie soll man auch etwas Gutes darin sehen können, dass etwas zu Ende geht, von dem man gedacht hat, es wäre für immer? Eine liebe Freundin von mir hat einmal gesagt „Meine Beziehung ist nicht gescheitert. Wir haben viele Jahre zusammen gelebt, haben zwei wundervolle Kinder und eine großartige Zeit miteinander verbracht. Wie könnte ich von Scheitern reden? Unsere Beziehung hat sich erfüllt.“ Manchmal erreicht man gemeinsam eine Kreuzung, an der man sich dankbar in die Arme schließt und in unterschiedliche Richtungen davon geht. Mit dem Wissen im Herzen, dass man einander gegeben hat, was zu geben war.

So viele Arten gibt es zu scheitern und jede einzelne macht uns ein Stück weiser. Jeder kleine Umweg, den wir gehen, führt uns auf Wege, die wir anders vielleicht nie gefunden hätten. Oder die wir aus Angst vielleicht nie zu beschreiten gewagt hätten. Mancher Umweg wird uns vielleicht an einer Bank vorbei führen, auf der ein Mensch sitzt, der uns ein Stück des Weges begleitet. Ein anderer wird vielleicht zu einem weiteren Umweg führen. Jeder einzelne aber bringt uns ein Stück näher ans Ziel. Gut, dass wir genug Zeit haben um auch die Blumen am Wegesrand zu bewundern.

Wie geht ihr mit Misserfolgen um? Seht ihr das Scheitern auch als Möglichkeit, Neues zu probieren? Habt ihr vielleicht sogar Tipps, wie es leichter fällt einen Misserfolg positiv zu betrachten? Ich freue mich auf eure Kommentare!