“Ich bringe dich jetzt einmal zu deiner Familie.”, Nayan nimmt mir meinen Rucksack aus der Hand, und ich habe zum x-ten Mal ein fürchterlich schlechtes Gewissen, dass aus meinem Vorsatz des “packing light” auch in Indien wieder nichts geworden ist. Beinahe verschlucke ich mich am Tee, den er mir in seinem Büro serviert hat, nur um schnell genug zu sein, dem Inder zu folgen.

Mit meinen fast 35 Jahren ist es bereits das dritte Mal, dass ich adoptiert werde: Nach meinen Ersatzeltern in Australien – Freunden meiner Eltern -, der Familie in Bogotá, bei der ich drei Monate lang mein Zuhause gefunden hatte, sind jetzt die Lamas dran. Die Lamas, das sind Bharati, ihr Mann Pema, die 16-jährige Ashwini und ihre neunjährige Schwester Anjalina samt Großeltern. Zwei Tage lang wohne ich bei ihnen, bei meinem ersten richtigen “Homestay” hier in den Bergen Darjeelings. Genauer gesagt rund 15 Minuten von der Stadt Kurseong entfernt, im Dorf, das zur gleichnamigen Teeplantage Makaibari gehört.

Teil des Hauses der Lamas. Foto: Doris

Teil des Hauses der Lamas.

Ein Teil meiner Gastfamilie: Großmutter und Anjalina beim morgendlichen Flechtritual. Foto: Doris

Ein Teil meiner Gastfamilie: Großmutter und Anjalina beim morgendlichen Flechtritual.

Mein Zimmer für 2 Tage. Foto: Doris

Mein Zimmer für zwei Tage.

Großvater beim Lesen. Foto: Doris

Großvater beim Lesen.

Auch wenn ich nicht adoptiert worden wäre, die Makaibari Teeplantage wäre sicher auf meiner Must-See-Liste gelandet. Sie ist nämlich etwas Besonderes: 1999 war sie die erste Teeplantage in der Region, die auf Bio-Produktion – also alles handgepflückt und ohne chemische Zusatzstoffe behandelt – gesetzt hat. Tut sie noch immer, Demeter zertifiziert, aber inzwischen als eine unter vielen. Denn mittlerweile sieht man überall die Schlagworte “eco” und “organic” vor dem Wort “Tea” – Makaibari ist dennoch etwas Besonderes geblieben. Homestay nämlich bietet (noch immer) keine andere Teeplantage in Darjeeling an. Und auch sonst wird das Wort in Indien gern für vieles eingesetzt – mit dem Leben bei einer Familie hat das Meiste davon nichts zu tun.

Makaibari Teeplantage, die erste, die auf Bioproduktion gesetzt hat. Foto: Doris

Makaibari Teeplantage, die erste, die auf Bio-Produktion gesetzt hat.

Hier wird noch per Hand gepflückt. Foto: Doris

Hier wird noch per Hand gepflückt.

Anders in Makaibari: Seit 2005 wird hier das Wohnen bei einer der rund 125 Familien des Orts angeboten, der ausschließlich von der Teeplantage (und eben jetzt vom Tourismus) lebt. Was damals mit fünf Haushalten begonnen hatte, ist mittlerweile auf 24 angewachsen. Für läppische 600 Rupies (nicht einmal 10 Euro) kann man seither bei Einheimischen übernachten, bekommt drei Mahlzeiten am Tag und natürlich jede Menge Tee. In allen Varianten: Vom feinen Grün-, Schwarz- oder weißen Tee über die übliche Milchteemischung mit ganz viel Zucker oder aber auch Tee mit Salz. Letzteres trinken die Einheimischen nämlich dann, wenn sie besonders ausgelaugt sind von der Arbeit. Ein für mich ziemlich gewöhnungsbedürftiger Energy-Drink, aber noch immer besser als Red Bull und Co.

Tee in allen Varianten wird in Makaibari produziert. Foto: Doris

Tee in allen Varianten wird in Makaibari produziert.

Um die 60 bis 70 Prozent dieser 600 Rupies erhalten die Familien selbst, 20 Prozent bekommt das Office, das auch Menschen wie den Volunteer Coordinator Nayan oder den Tourguide Doda beschäftigt, und 10 Prozent werden für wohltätige Zwecke wie Altersvorsorge, Gratis-Wasser, ein Tutorial-Programm für Kinder, eine eigene Krankenstation und und und eingesetzt. Klingt alles gut und schön? Ist es – zumindest größtenteils – auch: Wenn die Verdienste für das Gebotene noch immer viel zu wenig sind, können sich Familien wie die Lamas durch das Homestay leisten, ihre Töchter zur Uni zu schicken. Und Sozialleistungen wie die ständig besetzte Krankenstation, in die einmal pro Woche auch ein Arzt kommt, oder der Kinderhort für den Nachwuchs der Arbeiterinnen sind eine große Bereicherung fürs Dorf.

Hier lebt man vom Tee und vom Tourismus. Foto: Doris

Hier lebt man vom Tee und vom Tourismus.

Ja, Makaibari ist in diesem Sinn eine kleine Insel der Seligen in der Teewelt von Darjeeling, wo Teepflückerinnen nur 90 Rupies pro Tag für eine achtstündige harte Arbeit in der Sonne bekommen. Das ist um die Hälfte weniger als die Arbeiterinnen in Assam für den gleichen Knochenjob erhalten – und wie öd und hart der ist, davon kann sich jeder überzeugen, der so wie ich die Teeplantage besucht und auf den Terrassen für ein, zwei Minuten selbst Hand anlegt.

Beim Besuch der Teeplantage darf man auch mal mitpflücken. Foto: Doris

Beim Besuch der Teeplantage darf man auch mal mitpflücken.

Die "Guten" ins Körbchen, die Schlechten... Foto: Doris

Die „Guten“ ins Körbchen, die Schlechten…

...werden später aussortiert. Foto: Doris

…werden später aussortiert.

Letzteres gehört zum “Standardprogramm” von allen, die in Makaibari beherbergt werden. Schließlich geht es ja darum, die Kultur der Teegärten kennen zu lernen. Auch wenn das Homestay-Konzept den Titel “Volunteer Program” trägt, bleiben die Meisten ohnehin nur ein paar Tage im kleinen Dorf, das mittlerweile den Großteil der – europäischen oder amerikanischen – Touristen nach Kurseong führt. Nur wenige nutzen die Chance, länger auf den Plantagen zu arbeiten, sich zum Teeexperten ausbilden zu lassen oder auf andere Art und Weise Teil des Dorfs zu werden. Wie die Deutsche Ricarda.

Ricarda treff ich in "ihrer Ordi" in Makaibari. Foto: Doris

Ricarda (rechts außen)  treff ich in „ihrer Ordi“ in Makaibari.

“Heute habe ich es zum ersten Mal geschafft, selbst einen Teller abzuwaschen.”, erzählt die Kölnerin mir bei unserem ersten Treffen in Makaibari stolz. 2012 hat die Optikerin das Dorf bei ihrem fünftägigen Homestay kennen gelernt – in diesem Jahr ist sie wieder gekommen: Ein Monat lang hat sie freiwillig und ehrenamtlich ihren Urlaub dafür genutzt, den Einheimischen des Dorfs aus Deutschland gespendete Brillen anzupassen und sie kostenlos mit Sehbehelfen zu versorgen.

Ricardas Variante des Sehtests - für Analphabeten, wie es sie sehr häufig noch in Indien gibt. Foto: Doris

Ricardas Variante des Sehtests – für Analphabeten, wie es sie sehr häufig noch in Indien gibt.

Wenn es Ricarda nach vier Wochen für einen “Sieg” hält, endlich einmal ihr Geschirr selbst wegzuräumen, kann man sich vorstellen, wie es mir ergangen ist! Schon allein der Versuch, beim abendlichen Kochen meiner Gast”mutter” Bharati – oder sollte ich eher sagen Gastschwester, denn mit ihren 38 Jahren ist sie nur ein wenig älter als ich – zu helfen, ist zum Scheitern verurteilt. Leider, ich hätte ihr einfach bei der Zubereitung der für mich fremden Gemüsesorten aus dem heimischen Garten geholfen. Nix da: Gast ist Gast!

Isgus, Gemüsesorten, die in Bharatis Garten wachsen. Foto: Doris

Isgus, Gemüsesorten, die in Bharatis Garten wachsen.

Indisches Frühstück bei den Lamas. Foto: Doris

Indisches Frühstück bei den Lamas.

Wenn auch aus dem gemeinsamen Kochen nichts geworden ist, das Zusammensitzen abends hat einiges wett gemacht. Dann, wenn Ashwini und Anjalina aus der Schule nach Hause gekommen sind und Übersetzerinnen dafür gespielt haben, was weder Bharatis etwas mangelhaftes Englisch noch unsere Hand-und-Fuß-Kommunikation untertags geschafft haben. Und an einem dieser Abende habe ich die Mädels sogar ziemlich beeindrucken können: Dann nämlich, als ich meinen Laptop ausgepackt und Fotos gezeigt habe. Von meiner Reise ins Königreich Bhutan, dem sich die Leute in Darjeeling viel zugehöriger fühlen als Indien, und von mir im Dirndl. Dass wir in Österreich keine Saris oder Kurtas tragen, das konnte sie nämlich nicht glauben, meine liebe indische Familie.

Auch ein Teil der Familie ;-) Foto: Doris

Auch ein Teil der Familie.